Das Spitzenspiel gegen Hoffenheim am kommenden Samstag könnte für den FC Bayern ein Blick in die eigene Zukunft sein. Julian Nagelsmann ist der Favorit auf die Nachfolge von Carlo Ancelotti.

Steffen Meyer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Öffentlich würden es alle Beteiligten empört zurückweisen. Das ist auch ihre Pflicht. Und doch gilt es als eines der schlechtest gehüteten Geheimnisse der Branche: Julian Nagelsmann ist der Top-Favorit auf die Nachfolge von Carlo Ancelotti.

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Lob ist nicht übertrieben

Schon 2015 wollte der FC Bayern den damals 28-Jährigen nach München holen. Als Nachwuchstrainer mit der Perspektive auf mehr.

Es wurde nichts daraus. Dietmar Hopp hatte grosse Pläne mit dem Trainertalent, das kurze Zeit später die erste Mannschaft der TSG 1899 Hoffenheim im Abstiegskampf übernahm. Viel ist seitdem über den jüngsten Cheftrainer der Bundesligageschichte geschrieben worden.

Die Lobhudelei aus dem In- und Ausland war dabei nicht übertrieben.

Nagelsmann vereint eine bemerkenswerte Mischung aus taktischer Finesse, modernen Trainingsmethoden und herausragender Mannschaftsführung. Er ist ein aktiver, progressiver Trainer, der auch während des Spiels taktisch eingreift und anpassungsfähig ist.

Darum ist Nagelsmann attraktiv für Bayern

Es ist aussergewöhnlich, wie Nagelsmann der TSG Hoffenheim mitten im Abstiegskampf selbstbewusste, offensive Automatismen eingetrichtert hat und so mit den üblichen Mechanismen der Branche brach.

Schaut man Hoffenheim beim Fussballspielen zu, sieht man überall auf dem Feld kleine und grosse einstudierte Läufe und häufig gegenläufige Bewegungen, die jedem Hoffenheimer Spieler selbst in Drucksituationen helfen, durch wiederkehrende Muster Situationen positiv aufzulösen.

Selbst in der Champions League-Qualifikation gegen Liverpool schafften es die Hoffenheimer so, sich gegen die individuell weit überlegene und taktisch gut eingestellte Klopp-Truppe immer mal wieder vom eigenen Tor bis ganz nach vorn durchzukombinieren.

Genau das macht Nagelsmann auch so attraktiv für Bayern. Ballbesitz- und Positionsspiel sind enorm wichtige Eckpfeiler für den Rekordmeister, der durch seine Favoritenrolle beinahe immer gezwungen ist, das Spiel mit dem Ball zu gestalten und am Ende auch zu entscheiden.

Trainer, die konstruktives Ballbesitzspiel in Verbindung mit defensiver Stabilität beherrschen und vermitteln können, sind rar gesät.

Selbst Louis van Gaal ist daran letztlich recht schnell in München gescheitert. Nagelsmann hat hier einen Vorteil gegenüber anderen hochgehandelten Trainern wie Ralph Hassenhüttl, dessen Spielstil zumindest auf dem Papier nur bedingt zum FC Bayern passt.

Ancelotti als Mann des Übergangs

Carlo Ancelotti hat beim FC Bayern noch Vertrag bis 2019. Die Erwartungen an den hochdekorierten Coach sind nach wie vor hoch.

Dass hier und da rund um den Verein ein Murren über Trainingsintensität, Trainingsinhalte und die mangelnde Entwicklung junger Spieler zu vernehmen ist, entspricht der Wahrheit, kann aber vernachlässigt werden.

Ancelotti kam nicht als gewiefter Taktik-Spezialist, sondern als pragmatischer Teammanager, der aus einer Ansammlung von hochqualifizierten Spielern das Beste herauskitzeln soll.

Ancelotti ist noch keine 60. Heynckes war bei seinem Triple-Gewinn mit den Münchnern fast 70. Und doch ist Ancelotti schon jetzt eher ein Mann des Übergangs. Der FC Bayern wird schon bald darauf angewiesen sein, die finanziellen Nachteile im europäischen Kampf um die besten Spieler durch andere Vorzüge wett zu machen.

Durch bessere Nachwuchsarbeit, aber zum Beispiel auch durch einen Vorteil auf der Trainerposition.

Zwei Mal hat es der FC Bayern in der Vergangenheit verpasst, herausragende deutsche Trainer zu verpflichten.

Hoeness hätte 2008 gerne Jürgen Klopp aus Mainz geholt. Am Ende wurde es ein anderer Jürgen.

Nagelsmann-Verpflichtung nur eine Frage der Zeit

Einige Jahre später warb Pep Guardiola dafür, dass ihn Thomas Tuchel einmal beerben sollte. Weil der Platz in Dortmund frei wurde, bevor Guardiolas Zeit in München abgelaufen war, wurde dieses Thema niemals ernst.

Natürlich ist auch jetzt noch lange nichts ausgemacht - auch wenn unter Fussball-Journalisten bereits über mögliche "Absprachen" getuschelt wird. Im Fussball kann immer viel passieren und dazwischen kommen.

Hoeness liess bereits durchblicken, dass er es begrüssen würde, wenn Nagelsmann noch einige Jahre Erfahrungen in Hoffenheim sammelt, ehe er den Sprung zu einem Top-Club wagt.

Doch perfekt planen lässt sich so etwas im schnelllebigen Profigeschäft ohnehin nicht.

Nagelsmann hat in Hoffenheim noch bis 2021 Vertrag. Die Freundschaft zwischen Uli Hoeness und Dietmar Hopp wird sicher nicht ausreichen, um diesen Vertrag zu lösen. Und doch lege ich mich heute mal fest: Der FC Bayern muss ein grosses Interesse daran haben, einen der begehrtesten jungen Trainer des europäischen Fussballs frühzeitig an den Verein zu binden.

Die spannende Frage ist deshalb nicht, ob Julian Nagelsmann einmal Carlo Ancelotti beerbt, sondern wann.



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