Nach einem furiosen Start werden die Bayern und ihr Interimstrainer Hansi Flick derzeit wieder eingebremst. Das liegt an einigen alten Problemen und der Tatsache, dass den Bayern in den Topspielen die nötige Spur Variabilität abgeht.

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In den sozialen Medien geht das so: Teile der Bayern-Fans sind so verärgert und enttäuscht über die Leistungen der Mannschaft unter Trainer Niko Kovac, dass sofort Weltuntergangsszenarien gesponnen werden.

Teile der Bayern-Fans sind so elektrisiert und verzückt über die Leistungen der Mannschaft unter Trainer Hans-Dieter Flick, dass sofort über den Gewinn der Champions League schwadroniert wird.

Und nun, die Kleinigkeit von 20 Spieltagen vor dem Ende der Saison und nach zwei eher unglücklichen Niederlagen, haken Teile der Bayern-Fans diese Saison bereits ab.

FC Bayern mit wankelmütiger Saison

Platz sieben mag der Sehnsuchtsort für die halbe Liga sein, weil man von dort aus mit ein bisschen Glück, sprich: der entsprechenden Konstellation im DFB-Pokalfinale, sogar noch ins europäische Geschäft schlüpfen kann.

Für die Bayern ist er aber das reinste Grauen. Vermutlich wird diese Platzierung ausserhalb des Europa-Territoriums die viel zitierte Momentaufnahme bleiben. Sie stellt die wankelmütige Saison der Münchener bisher aber auch recht plastisch zur Schau.

Hansi Flick: Messias oder Notlösung?

Nach dem Kovac-Aus wurde mit Flick eine schnelle wie preiswerte Übergangslösung gefunden, die dann mit einem fulminanten Start sogar Hoffnungen weckte: Vielleicht ist ja der eher unscheinbare ewige DFB-Co-Trainer, just vor der Saison erst zu den Bayern gestossen, die ebenso naheliegende wie vernünftigste Lösung jenes Problems, das nach Siegen unter den Teppich gekehrt wird – nach zwei Pleiten zuletzt dann aber plötzlich wieder auftaucht.

Unverschuldet oszilliert Flick gerade zwischen Messias und Notlösung. Das 1:2 gegen Bayer Leverkusen verhinderte die vorzeitige Heiligsprechung, die Niederlage im nächsten Topspiel gegen Mönchengladbach ruft nun die Zweifler und Nörgler wieder auf den Plan.

Denen tritt die Vereinsführung mit der Verkündung eines klaren Fahrplans entgegen. "Wir haben am 21. Dezember das letzte Spiel gegen Wolfsburg. Entweder an diesem Samstag oder am Tag danach werden wir uns treffen und eine Entscheidung fällen", verkündete Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge via "Sport-Bild".

Somit wissen alle Bescheid, inklusive Flick. Er selbst kann gar nichts dafür, nach nur zwei Pleiten schon wieder angezählt zu werden. Auch die Bayern selbst sind dieses eine Mal nicht schuld daran.

Das von grossen Teilen der Medien gezeichnete Bild des Trainers war dann schlicht wohl doch ein bisschen zu gross und spektakulär ausgefallen.

Vier teilweise spektakuläre Siege reihte Flick mit seiner Mannschaft in Folge aneinander. Das Team spielte nach der Kovac-Lethargie spätestens ab der zweiten Partie unter Flick wie befreit auf. Die kleinen taktischen Richtungsänderungen des Trainers griffen perfekt und Robert Lewandowski schoss halt auch weiterhin alles kurz und klein.

Kleinere Probleme der Bayern kaschiert

Die kleineren Problemchen wurden besser kaschiert als unter Kovac. Das Pressing der Bayern funktionierte nicht nur deutlich besser, sondern setzte den Gegnern schon viel höher im Feld zu als in den Monaten zuvor.

Die Bayern kamen und kommen dadurch zu deutlich mehr Umschaltaktionen. Sie müssen den Gegner nicht mühselig auseinanderspielen. Das sind alles wichtige positive Faktoren, die Flick in immer noch relativ kurzer Zeit verändert hat. Die Mannschaft spielt, auch bei den beiden Niederlagen zuletzt, befreit auf.

Aber jetzt, da die Ergebnisse nicht passen und das Spitzen-Duo aus Gladbach und Leipzig immer weiter enteilt, werden auch die latent schwelenden Probleme wieder sichtbarer. Die konnte auch Flick bisher nicht abstellen.

Irgendwo hakt's immer

Die Chancenverwertung war zuletzt ein veritables Problem. Möglichkeiten in Hülle und Fülle verballerten die Bayern gegen Leverkusen und Gladbach. Genug, um damit vier oder fünf Spiele zu gewinnen.

Aber gegen Leverkusen war die Konterabsicherung nicht nur bei beiden Gegentoren schlecht. Das ist ein Kollateralschaden des mutigeren Pressings. Die Veteranen hinten in der Abwehr kommen dann mit ihren flinken Gegenspielern schlicht nicht mehr mit.

Jerome Boateng und Javi Martinez müssen fast alles mit ihrem Stellungsspiel und ihrer Routine regeln. In direkten Laufduellen gibt es für die beiden Granden kaum noch etwas zu holen.

Und dann schleichen sich auch individuelle Fehler ein. So wie bei Martinez' viel zu ungestümer Grätsche gegen Gladbachs Marcus Thuram, die den Bayern wenigstens das hochverdiente Remis im Borussia Park kostete.

Es ist das Generalproblem: Den Bayern gelingt es gegen bessere Gegner als es Piräus oder Belgrad waren, immer noch nicht, 90 Minuten lang konzentriert ihre Leistung abzuliefern. Sowohl jedem Einzelnen nicht als auch der Mannschaft als Ganzes.

"Viel machen wir nicht falsch, aber das reicht, um die Spiele nicht zu gewinnen", sagte Manuel Neuer nach dem Spiel in Gladbach in der ARD. Irgendwo hakt's immer bei diesem unergründlichen FC Bayern.

Wo sind die Impulse von der Bank des FC Bayern?

Und es gibt noch eine andere Sache, die so gar nicht zum Selbstverständnis der Bayern passt – und die tatsächlich einzig und allein auf Flick zurückfällt: Gegen Gladbach war es offensichtlich, dass das Spiel der Bayern in zwei Teile zu zerlegen war.

Die erste Stunde war aus spielerischer Sicht fast herausragend gut. Die Bayern dominierten den Spitzenreiter in dessen Stadion fast nach Belieben und hätten längst höher als 1:0 führen müssen. Die Bayern waren für den Gegner nicht zu greifen und schlüpften bis zu diesem Zeitpunkt ein ums andere Mal durch das Pressingnetz der Borussia.

Dann aber stellte Gladbachs Trainer Marco Rose die Grundordnung seiner Mannschaft um und liess anders pressen als zuvor. Gladbach verwarf sein 4-4-2 mit der Raute im Mittelfeld und stellte auf zwei Sechser im Zentrum um – und sofort war es vorbei mit der bayerischen Herrlichkeit. Gladbach drehte die Partie förmlich auf links.

Das neue Anlaufverhalten der Gastgeber setzte den Bayern brutal zu. Die Positionen rechts in der Viererkette (Kimmich) und im Zentrum (Thiago) waren zugestellt und Bayerns Angriffsschwung versiegte fast komplett.

Ein ähnliches Phänomen war auch schon in Paderborn und vor allen Dingen beim Topspiel zu Beginn der Saison in Leipzig zu erkennen: Sobald der Gegner sich eingestellt und seine Formation passend auf die Bayern umgestellt hat, fehlt es an der entsprechenden Gegenreaktion von der Münchner Bank.

Flick reagiert nicht auf Umstellung des Gegners

In Leipzig war das unter Kovac' Anleitung ebenso frappierend wie nun in Gladbach. Flick war nicht in der Lage, von aussen einen entscheidenden Impuls zu vermitteln.

Stattdessen spulen die Bayern vergleichsweise stur ihr Pensum runter. Es fehlt an taktischer Flexibilität. Das kann gegen bessere Gegner – und wenn Lewandowski nicht trifft – unangenehm werden.

Flick ist dafür nur teilweise verantwortlich, immerhin darf er erst seit ein paar Wochen die Entscheidungen treffen. Aber spätestens zur Rückserie sollten die Bayern auch im sogenannten Ingame-Coaching ein paar Lösungsmöglichkeiten präsentieren. Die Gegner in der Champions League dürften dann nicht schlechter als Leipzig oder Gladbach sein.

In der Champions League haben die Bayern am Mittwoch im ergebnistechnisch bedeutungslosen Spiel gegen Tottenham Hotspur die Möglichkeit zur Wiedergutmachung vor den eigenen Fans. Der berauschende 7:2-Hinspielsieg macht Hoffnung.

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