- Holger Seitz war Sportlicher Leiter der Nachwuchsabteilung des FC Bayern München und trainiert nun die 2. Mannschaft des FC Bayern in der Regionalliga.
- Im Exklusiv-Interview mit unserer Redaktion spricht er über die Erfolgsbeispiele Jamal Musiala und Alphonso Davies und über zu viel Luxus im Nachwuchsbereich.
Herr Seitz, die Nachwuchsarbeit soll beim FC Bayern München eine grosse Rolle spielen. Fünf Talente waren mit den Profis im Trainingslager in Katar. Arijon Ibrahimovic erzielte kürzlich im Testspiel gegen RB Salzburg ein Tor. Wie gut ist der FC Bayern im Nachwuchs aufgestellt?
Holger Seitz: Ich denke, das Testspiel gegen Salzburg hat erneut gezeigt, dass wir sehr gut aufgestellt sind und uns am Campus auf dem richtigen Weg befinden. Für die jungen Talente besteht nun die Herausforderung darin, sich an das höhere Tempo und die höhere Athletik zu gewöhnen. Der Sprung von unserer U19 oder U23 zur 1. Mannschaft ist sehr gross, weil dort die Besten der Besten spielen. Aber unsere jungen Spieler haben das Talent, um sich an das Niveau anzupassen.
Beispiele wie
Dass er den Durchbruch bei uns schaffen würde und dazu in der Lage ist, zu den ersten Elf beim FC Bayern München zu gehören, haben wir ihm hier beim Campus alle zugetraut. Jamal ist nun einmal ein absolutes Ausnahmetalent. Aber ich bin ganz ehrlich: Dass er so schnell in der Bundesliga und sogar der Champions League zurechtkommen würde, habe ich damals nicht voraussehen können.
Auch
Alphonso sollte sich bei uns damals auf und neben dem Platz akklimatisieren und die Spielidee des FC Bayern München mit viel Ballbesitz kennenlernen. Dass ihm die Integration auf und neben dem Fussballplatz sehr schnell gelungen ist, hängt meiner Meinung nach auch mit seinem gesamten Werdegang zusammen. Er ist mit seiner Familie von seiner Heimat in Afrika nach Kanada ausgewandert und hat sich auch dort sehr schnell zurechtgefunden.
"Phonzie" ist ein richtig guter Typ und mit einem sehr guten Charakter! Er ist sehr geerdet, extrem bodenständig und arbeitet sehr intensiv an sich. Zudem hat er natürlich eine hohe fussballerische Qualität.
Seitz: "Für uns ist die zweite Mannschaft unbedingt notwendig"
In den vergangenen Jahren wurde viel über den Sinn einer 2. Mannschaft diskutiert. Einige Vereine wie zum Beispiel RB Leipzig oder Bayer Leverkusen haben ihre 2. Mannschaft abgeschafft. Der FC Bayern nicht. Wie wichtig sind die Amateure für Ihren Verein?
Ich habe eingangs schon aufgelistet, welche späteren Klub-Legenden zunächst bei unseren Amateuren gespielt haben. Für uns ist die zweite Mannschaft unbedingt notwendig. Es sind zwei völlig unterschiedliche Aufgaben, mit der U19 in der Junioren-Bundesliga und mit der 2. Mannschaft in der Regionalliga zu spielen. In der Regionalliga treffen unsere jungen Spieler auf abgezockte und erfahrene Herren-Fussballspieler von Mannschaften wie der SpVgg Unterhaching oder den Würzburger Kickers.
Die Zweikampf-Führung ist eine völlig andere als in der Jugend-Bundesliga. Ausserdem ist es eine gute Erfahrung für unsere jungen Spieler, Auswärtsspiele vor vielen gegnerischen Fans zu bestreiten und auch den damit verbundenen Druck kennenzulernen.
Im Sommer 2019 stiegen Sie mit den Bayern-Amateuren in die 3. Liga auf. Dort gewann die Mannschaft ein Jahr später sogar die Meisterschaft, stieg allerdings eine weitere Saison später wieder ab. Ist die Rückkehr in die 3. Liga mittelfristig wieder ein Ziel?
Es ist unser Ziel, immer ganz vorne zu stehen und wieder in die 3. Liga zu gelangen. Allerdings ist uns der Weg dahin wichtig. Wir möchten keinen Aufstieg erkaufen, indem wir zu viele externe und erfahrene Spieler dazu holen. Wir haben mit Timo Kern (der Kapitän ist 33 Jahre alt, Anm.d.Red.) nur einen erfahrenen Spieler in der Mannschaft. Alle anderen Spieler sind sehr jung, könnten vielfach noch in der U19 spielen und wurden frühzeitig hochgeschoben, um sich an den Herren-Fussball zu gewöhnen.
Der deutsche Fussball hat speziell auf der Position des Mittelstürmers und des Aussenverteidigers seit mehreren Jahren ein Problem. Wo sehen Sie die Ursachen dafür?
Wir am Campus haben spannende Spieler für diese Positionen, zum Beispiel Ibrahimovic, der in der Offensive mehrere Positionen einnehmen kann. Auch in den unteren Jahrgängen haben wir immer einen Mittelstürmer in der Mannschaft. Aber wir müssen diese Jungs weiter fördern, damit sie zu einem echten Stossstürmer werden. Das ist bei den Aussenverteidigern genauso.
Es ist aber offensichtlich, dass allgemein diese Spielertypen in Deutschland fehlen. Es gab eine Zeit, in der zu viele zentrale Mittelfeldspieler ausgebildet wurden. Da nehmen wir uns nicht aus. Aber ich glaube, alle Vereine und Nachwuchsleistungszentren haben das Problem seit längerem erkannt. Ich gehe davon aus, dass es in den nächsten Jahren auf diesen Positionen wieder mehrere gute Spieler geben wird.
Nachholbedarf bei Innenverteidigern
Gibt es noch weitere Positionen, auf denen Deutschland Nachholbedarf hat?
Fussball-Deutschland hat sich über viele Jahre auch durch Innenverteidiger ausgezeichnet, die sehr stark im Zweikampf waren. Ich habe jedoch das Gefühl, dass die Innenverteidiger in den vergangenen Jahren vor allem hinsichtlich der Spieleröffnung eine grosse Bedeutung zugeteilt bekamen. Das war grundsätzlich auch gut, weil sich der Fussball weiterentwickelt hat.
Aber meiner Meinung nach ging dadurch ein bisschen die Kernaufgabe des Innenverteidigers verloren, nämlich das Verteidigen und die richtige Zweikampf-Führung im Eins-gegen-Eins. Darauf gilt es nun wieder vermehrt den Fokus in der Ausbildung zu legen.
Als Sportlicher Leiter des FC Bayern Campus waren Sie auch für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Fussballspieler mit zuständig. Ein häufiger Vorwurf lautet, dass jungen Spielern insgesamt zu viel abgenommen wird und kaum noch echte Persönlichkeiten hervorkommen. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Ja, kann ich. Wenn man sich anschaut, was unseren Nachwuchsspielern insgesamt alles zur Verfügung gestellt wird, ist das sehr beachtlich. Ich spreche aus eigener Erfahrung: Als junger Trainer neigt man dazu, den Spielern bestmögliche Rahmenbedingungen zu bieten, damit sie sich voll auf den Fussball konzentrieren können und sich weiterentwickeln.
Heute glaube ich, dass das nicht der richtige Weg ist. Weniger ist manchmal mehr. Die Jungs müssen für ihre Persönlichkeitsentwicklung lernen, mit Problemen alleine zurechtzukommen - auf und vor allem abseits des Platzes. Daher ist es als Trainer wichtig zu erkennen, wann man den Spielern helfen muss und wann nicht.
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