Wäre dieses 1:1 zwischen dem FC Bayern und Bayer Leverkusen ein Schwergewichtsboxkampf gewesen, dürfte sich der Rekordmeister von der Isar wohl als Punktsieger fühlen. Der K.O. blieb aus, aber Bayern zeigte gegen stark verteidigende Leverkusener über weite Strecken ein überraschend dominantes Spiel mit wenigen defensiven Wacklern.

Steffen Meyer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es ist erstaunlich, wie weit die Münchner nach wenigen Wochen unter dem neuen Coach Vincent Kompany bereits sind. Gerade der Vergleich mit der 0:3-Niederlage gegen Leverkusen in der Vorsaison, die schliesslich Thomas Tuchels Ende in München einleitete, ist frappierend.

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Zwar standen auf beiden Seiten weitgehend die gleichen Spieler auf dem Feld, doch legt man beide Spiele übereinander hat, man das Gefühl, es mit zwei völlig unterschiedlichen Mannschaften zu tun zu haben. Kompany hat nach wenigen Wochen geschafft, was Tuchel in über einem Jahr nicht gelungen ist: einen Spielstil zu etablieren, der unabhängig vom Gegner dominant sein kann. Selbst gegen Xabi Alonsos Leverkusen.

Kompany hatte Spass am Topspiel – Sorgen um Kane?

Es war nicht das erwartete Spektakel - und doch hatte Vincent Kompany seine Freude an dem 1:1 im Spitzenspiel zwischen Bayern München und Bayer Leverkusen. Sorgen macht sich der Coach des Rekordmeisters um seinen Toptorjäger Harry Kane, der in der Schlussphase angeschlagen vom Feld musste.

Neuer Spielaufbau besteht den Härtetest

Anders als bei der Niederlage im Februar hatte Bayern nicht nur mehr Ballbesitz als Leverkusen, sondern auch Hoheit über das Spiel. Das hat viel damit zu tun, wie Kompany das Aufbauspiel im Vergleich zu Thomas Tuchel verändert hat. Manuel Neuer rückt immer wieder zwischen die Innenverteidiger und agiert im Spielaufbau wie ein echter Feldspieler.

Gerade einmal 67 Prozent seiner 28 Pässe brachte Neuer beim Duell 10. Februar 2024 zum Mitspieler. Der Grund: Viele unkontrollierte lange Bälle, die Leverkusen mit seinem starken Pressing erzwang. Am 28. September 2024 war Neuer viel involvierter (42 Pässe) und brachte über 85 Prozent seiner Bälle zum Mitspieler. Neuers neue Rolle macht es allen einfacher das Leverkusener Pressing zu umspielen.

Leverkusen bekommt Kimmich nicht in den Griff

Auch gegen Joshua Kimmichs neue Positionierung fand Leverkusen kein echtes Mittel. Kimmich lässt sich aus dem zentralen Mittelfeld immer wieder nach hinten rechts abkippen und kann so das Spiel ordnen und sortieren. Es war im Vorfeld mit Spannung erwartet worden, ob sich diese Variante auch gegen einen Topgegner wie Leverkusen durchziehen lässt.

Ganz offensichtlich ja. Während beim 0:3 im Frühjahr noch Verteidiger Eric Dier die Hauptlast im Spielaufbau trug, was kein gutes Zeichen ist, gestaltete Kimmich dieses Mal das Spiel nach seinen Vorstellungen. 124 Pässe mit 96 Prozent Passquote, darunter vier Pässe, die zu einem Torschuss führten, sprechen Bände.

Zudem ist Torschütze Alexander Pavlovic inzwischen ein gestandener Partner, der ausser einem Fehlpass vor der Ecke zum 0:1 auch unter hohem Druck ruhig bleibt. Immer wieder kombinierten sich die Münchner spielerisch leicht weit in die Leverkusener Hälfte. Das ist es, was Kompany will. Man kann festhalten: Bayerns neuer Spielaufbau ist topspielfähig.

Bayerns Defensive funktioniert auch ohne "Holding Six"

Kompany liess auch gegen Leverkusen mutig verteidigen und schaffte es so, dass der deutsche Meister sein eigenes Spiel kaum entfalten konnte. Die durchschnittliche Ballbesitzzeit der Leverkusener lag über weite Strecken der Partie unter 15 Sekunden. Spätestens dann schnappte das Münchner Pressing zu. Bayern hatte meist mehr als doppelt so viel Zeit mit dem Ball, bis die Leverkusener einmal dazwischen kamen.

Die Folge: Leverkusens Unterschiedspieler in der Offensive kamen überhaupt nicht zum Zug. Florian Wirtz, der beim 3:0-Sieg seiner Mannschaft im Februar mit 71 Ballkontakten mit Abstand die meisten Ballberührungen hatte und immer wieder Angriffe einleitete, war dieses Mal nur 45-mal am Ball. Am Ende standen nur drei Torabschlüsse der Leverkusener. Beim 3:0 im Februar waren es 14.

Upamecano und Kim überzeugen

Auch die inzwischen eingespielte Innenverteidigung Upamecano und Kim hielt dem Härtetest stand. Vor allem der viel gescholtene Upamecano bewies nach einer frühen gelben Karte Disziplin und spielte praktisch fehlerlos. Victor Boniface blieb bei einem einzigen Abschluss und der war ziemlich ungefährlich.

Bayern hatte eine der besten europäischen Offensivmannschaften des vergangenen Jahres komplett im Griff. Und das ohne klassischen Defensivsechser, den Tuchel immer wieder eingefordert hatte und an dem die Defensivprobleme des Vorjahres immer wieder festgemacht wurden. Kompany hat mit ähnlichem Spielermaterial das Spiel verändert.

Die Überlegenheit muss sich auch in Toren widerspiegeln

Der einzige Wermutstropfen - neben dem Ergebnis - ist die Tatsache, dass Bayern insgesamt aus seiner Überlegenheit etwas zu wenig machte. Leverkusen verteidigte ab etwas 30 Meter vor dem Tor hervorragend und machte es Bayern sehr schwer, durchzukommen. Bayern nahm im Vergleich zu den Spielen der Vorwochen ein wenig Risiko raus, was die Positionierungen anging. Die Aussenverteidiger blieben relativ klar auf den Aussen, und auch die zentralen Mittelfeldspieler rückten seltener an den Strafraum mit vor. Das ist gegen einen starken Gegner wie Leverkusen nachvollziehbar.

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So fehlte es jedoch etwas an Manpower im Strafraum. Kane mühte sich meist allein gegen zwei oder drei Verteidiger. Olise, der wieder viele gute Ansätze zeigte, fehlte ein wenig der Partner für Dribblingaktionen. Der Franzose wurde zudem - ähnlich wie Musiala - im Zweifel auch mal recht früh gefoult, um einen Durchbruch zu verhindern.

Kaum hochkarätige Abschlüsse für den FC Bayern

18 Abschlüsse gegen Leverkusen sind mehr als in Ordnung. Mehr als drei, vielleicht vier Hochkaräter waren aber nicht dabei. Hier gilt es, weiter die richtige Balance zwischen Absicherung und Risiko zu finden - gerade, wenn der Gegner so tief steht und gleichzeitig individuell so stark ist wie Leverkusen.

Insgesamt kann der FC Bayern nun hinter die erste Saisonphase mit sieben Pflichtspielen, 30 Toren und einer deutlich verbesserten Spielweise einen grünen Haken machen. Kompanys Bayern sind besser und weiter als es wohl alle vor dem Saisonstart erwartet haben. Gewonnen ist damit noch nichts. Aber nach der Schmach im Vorjahr unter Tuchel war das 1:1 gegen Leverkusen trotzdem ein gefühlter Sieg für FC Bayern, der für das Selbstvertrauen der Mannschaft am Ende vielleicht sogar mehr Wert sein kann als die verpassten drei Punkte.

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