Der FC Bayern taumelt durch die Krise, in Bochum kassiert der Rekordmeister die dritte Niederlage in Folge. Trainer Thomas Tuchel darf weitermachen, ein uneingeschränktes Vertrauen wird ihm durch Klubboss Jan-Christian Dreesen aber nicht ausgesprochen. Es läuft auf ein Endspiel gegen Leipzig hinaus. Bis dahin muss Tuchel Antworten auf viele Fragen finden.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Frage nach dem Gemütszustand kam immerhin zuerst. So viel Höflichkeit musste in der Mixed Zone des Bochumer Ruhrstadions dann doch sein. "Beschissen" gehe es ihm, gab Bayern-Boss Jan-Christian Dreesen ehrlich zu. Er durfte danach umgehend beantworten, wie die Zukunft von Trainer Thomas Tuchel aussieht. Die stand nach der dritten Niederlage innerhalb von einer Woche mal wieder im Mittelpunkt. Und Dreesen liess Raum für Spekulationen. "Ich halte nichts von diesen monströsen Trainer-Unterstützungsbekundungen", sagte er nach dem 2:3 der Bayern beim VfL Bochum.

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Er könne das sagen, was man hören wolle, so Dreesen, "aber diese Treueschwüre sind ja dann meistens nach einer Woche wieder vorbei. Deswegen sage ich es auf meine Art und Weise: Das ist kein Thema, mit dem wir uns aktuell beschäftigen." Das heisst, Tuchel ist zumindest nächste Woche noch Trainer des FC Bayern? "Selbstverständlich." Eine Aussage, die sich trotzdem nach einem Endspiel gegen RB Leipzig am kommenden Samstag anhört. Was nicht verwundern würde, denn im Grunde war die Pleite bei den abstiegsbedrohten, aber aufopferungsvoll kämpfenden Bochumern das grösste Alarmsignal der Pleitewoche neben den Niederlagen in Leverkusen und bei Lazio Rom. Denn die Münchner Qualität hat sich von der Bochumer Mentalität den Schneid abkaufen lassen.

Die Bayern in einem Horrorfilm

"Es fühlt sich im Moment an wie ein Horrorfilm, der irgendwie nicht aufhört. Es läuft einfach alles gegen uns", sagte Mittelfeldmann Leon Goretzka bei DAZN: "Und es fühlt sich wahnsinnig strange an, dass alles gegen uns läuft. Im Moment müssen wir alles hinterfragen." Da gibt es nach der Pleite, durch die die Bayern nach 22 Spieltagen nun acht Punkte Rückstand auf Tabellenführer Bayer Leverkusen haben, einige Fragen, auf die es Antworten braucht.

Zum Beispiel, warum Joshua Kimmich und Zsolt Löw so aneinandergeraten sind, dass der Co-Trainer dem Mittelfeldmann gut sichtbar für alle Zuschauer nach dem Schlusspfiff auf dem Weg in die Kabinen an den Kragen wollte? Tuchel versuchte, mit dem Verweis auf die Emotionalität des Fussballspiels, keine grosse Sache daraus zu machen. Das sei im Rahmen geblieben und zudem nichts für die Öffentlichkeit, betonte er. Doch das Gesamtbild ist verheerend.

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Warum kippt das Spiel nach der Unterbrechung?

Fraglich bleibt auch, warum sich der Rekordmeister im Gegensatz zu den Bochumern von der ersten Pause durch die Protest-Aktion der Anhänger komplett aus dem Rhythmus bringen liess. Bis dahin hatten die Münchner den Gegner im Griff, führten 1:0, spielten phasenweise ansehnlich. Doch danach kippte das Spiel. Warum, das bleibt unklar. Dass Dreesen festhielt, man habe sich mal wieder den Schneid abkaufen lassen, ist korrekt, und daher ein Armutszeugnis. "Wir können uns jetzt natürlich hinstellen und wieder sagen, dass wir gut ins Spiel gekommen sind. Stimmt ja auch. Aber da kommt man sich mittlerweile auch bescheuert vor", sagte Goretzka, der für den Einbruch auch keine Erklärung hatte.

In dem Zusammenhang noch wichtiger: Warum haben sich die Führungsspieler nicht zum ersten Mal in dieser Saison zum völlig falschen Zeitpunkt eine Auszeit genommen? Tuchel hat die Partie ziemlich treffend als "Pokalspiel" bezeichnet. Es war regnerisch, windig, es herrschten widrige Bedingungen. Es war dazu auch emotional, das Publikum war positiv aufgeheizt beim Duell Underdog gegen Rekordmeister. Es war eine Partie, wie gemacht für spezielle Tugenden. Für Macher, für Führungsspieler, für Akteure wie Kimmich, Goretzka, Harry Kane, Thomas Müller oder Matthijs de Ligt, die den Anspruch haben, voranzugehen. Die selbst den Unterschied machen wollen.

Keine Antworten gefunden

Doch verbunden mit der sportlichen Situation der Bayern, der unruhigen Vorgeschichte rund um die Müller-Kritik ("Da fehlen mir die Eier") und dem wackelnden Trainer ist es bezeichnend, wenn die Bayern den Kampf nicht annehmen und die vermeintlichen Führungsspieler abtauchen. "Wir machen zu viele individuelle Fehler in den letzten Wochen", moniert Goretzka. "Das 1:1 von Bochum ist wie aus dem Lehrbuch. Genauso spielen sie Fussball, das wussten wir. Wir haben uns vorher eigentlich Antworten dazu überlegt. Und die haben wir in dem Moment nicht gefunden."

Doch Antworten sind essenziell. Schnelle Antworten. Auf dem Platz, aber auch abseits des Rasens. Tuchel spürt die Unterstützung, er kennt das Geschäft aber auch. "Ja, ich spüre sie auf jeden Fall. Ob sowas hilft, dass die (Trainerdiskussion, Anm. d. Red.) nicht geführt wird, wage ich mal zu bezweifeln", sagte er. Aber das sei kein Problem, so Tuchel: "Das könnt ihr machen. Das ist das Geschäft. Ich weiss auch, wie wir zusammenarbeiten, ich kenne mein Verhältnis zu Jan. Deshalb weiss er auch, wie sehr mich das wurmt und was wir investieren."

Thomas Tuchel lobt seine Mannschaft

Interessanterweise fand Tuchel, dass seine Mannschaft viel investiert hatte und bezeichnete die Niederlage als "extrem unglücklich und unverdient". Man habe zu den letzten beiden Spielen nicht die Energie und den Zugriff verloren, nie aufgehört, zusammenzuarbeiten und daran zu glauben, auch nicht in Unterzahl, so Tuchel. Mit ein bisschen Glück wäre angesichts der guten Chancen in der Schlussphase tatsächlich noch ein Remis möglich gewesen, doch selbst der sonst so verlässliche Bayern-Dusel ist weg.

"Für mich ist es eine andere Niederlage als die letzten. Ich weiss, dass natürlich die dritte in Folge ist, das ist extrem bitter, aber diesmal war es nicht verdient", so Tuchel. Er führte seine inzwischen lieb gewonnene Statistik der "Expected Goals" an, und betonte: "Wenn wir das Spiel noch fünfmal spielen, glaube ich, dass wir es fünfmal gewinnen."

Konjunktiv gewinnt keine Spiele

Das Problem in diesem Geschäft und in Tuchels Situation: Hätte, wäre, wenn – der Konjunktiv gewinnt keine Spiele. Und ob verdient oder nicht, ist dann irgendwann ziemlich egal bei der Bewertung der Zukunft des Trainers. Parallel dazu wird es immer schwieriger, zu verhindern, dass die Mannschaft nicht endgültig in einen negativen Strudel gerät. "Das ist jetzt schon eine Kunst, im nächsten Spiel wieder positiv zu sein, Selbstvertrauen auszustrahlen und es wieder auf den Platz zu bekommen. Da werden jetzt ein paar kleine Schritte nötig sein", sagte Tuchel. Sonst ist die Antwort auf die vielen Fragen am Ende ein Trainerwechsel.

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