Knapp zwei Wochen vor dem Saisonstart tüftelt Thomas Tuchel mit seinem FC Bayern an Taktik und Form. Wir analysieren die drei grössten Baustellen.
Die Erwartungen sind mal wieder riesig. Erstmals hat
Bisher war Tuchels Zeit in München geprägt davon, Komplexität herauszunehmen. Er übernahm im März eine Mannschaft von
Tuchel will das Spiel einfacher machen
Tuchel beschränkte sich in seiner Anfangszeit darauf, die Stabilität zu erhöhen. Mehr Positionstreue. Die Rückkehr zu einer klaren Viererkette mit zudem sehr zurückhaltenden Aussenverteidigern. Das Spiel sollte für die Bayern-Profis wieder einfacher werden. Der Erfolg war mässig. Von der emotionalen Last-Minute-Meisterschaft mal abgesehen, konnten die Münchner auch unter Tuchel nicht konstant überzeugen. Das soll sich jetzt mit mehr Vorlaufzeit ändern.
Tuchel coacht über Prinzipien, weniger über eine konkrete Formation oder einen unverwechselbaren Spielstil wie Klopp oder Guardiola. Dazu zählen bestimmte Muster im Spielaufbau und vor allem eine klare Ordnung, die es den Bayern ermöglichen soll, ihre meist überlegene individuelle Qualität auszuspielen. Komplexe Formationswechsel, Positionsrochaden sind gerade in der Startphase mit einem neuen Team nicht zu erwarten.
Zur Mitte der Vorbereitung lassen sich bereits erste Schlüsse ziehen. In den hochkarätigen Testspielen gegen Manchester City (1:2) und den FC Liverpool (4:3) offenbarten die Münchner ein paar altbekannte Schwächen und einige neu gewonnene Stärken. An drei Dingen muss Tuchel bis zum Saisonstart besonders weiterarbeiten.
1. Defensive Stabilität
Es bleibt die grosse Baustelle für den Rekordmeister. Der FC Bayern schafft es eigentlich schon seit der Zeit unter
Doch Tuchel hat das Risiko durch mehr situatives Pressing und zurückhaltende Positionierungen deutlich heruntergeschraubt. Trotzdem gibt es nach wie vor viele gegnerische Chancen und Gegentore. Es ist zu leicht, dies allein auf die Innenverteidiger abzuwälzen. Auch Neuzugang Kim, der viele gute Ansätze zeigte, war gegen Liverpool und Manchester machtlos, wenn er in Unterzahl gegen drei durchbrechende Angreifer agieren musste.
Tuchel setzt in der Vorbereitung gegen den Ball auf ein sehr klassisches 4-2-3-1 mit zwei Sechsern (Kimmich, Laimer), die fast auf einer Linie agieren. Das soll sicherstellen, dass in der gefährlichen Zone vor der Viererkette mehr Breite abgesichert werden kann und die Innenverteidiger nicht allzu riskant herausrücken müssen. Trotzdem wurde sichtbar, warum sich Tuchel sehnlichst einen echten defensiv-orientierten Sechser wünscht. Er hat im Zentrum mit Kimmich und Goretzka zwar ordentliche Zweikämpfer und mit Laimer einen Balljäger, der sehr geschickt Bälle wegspitzelt oder abfängt.
Ein defensiver Sechser ist aktuell nicht zu haben
Aber es fehlt ein robuster Weltklasse-Zweikämpfer, der allen anderen mehr Luft zum Atmen gibt und vor allem Kimmich mehr Möglichkeiten bietet, sich auf seine Stärken zu konzentrieren. Kimmich macht gern alles, ist aber am wertvollsten, wenn er sich auf eine Rolle als Stratege und Offensivinitiator konzentrieren kann - eine Art emotionalerer Toni Kroos. Und der war auch am stärksten, wenn ein Spieler wie Casemiro neben ihm für Ruhe sorgte.
Es kann jedoch gut sein, dass ein solcher defensiver Sechser schlicht nicht zu haben ist aktuell. Es kommen ohnehin nur wenige Namen infrage, die den Ansprüchen des FC Bayern genügen. Und diese sind international begehrt. Dann muss Tuchel mit dem bestehenden Spielermaterial Lösungen finden und über eine klare Ordnung die Mannschaft unterstützen. An einer deutlichen Weiterentwicklung der defensiven Stabilität wird Tuchel in den nächsten Monaten massgeblich gemessen werden.
2. Ungefährliche Ecken
Seit Jahren ein Dauerthema in München. Keine andere Bundesligamannschaft schoss in der vergangenen Saison laut Whoscored.com so viele Ecken wie der FC Bayern. 229 waren es nach 34 Spieltagen. Daraus machten die Münchner mickrige sieben Tore. Das heisst, der FC Bayern schlägt über 32 Ecken in den Strafraum, bis daraus ein Tor entsteht. Hier werden viel zu viele Chancen auf leichte Torchancen verspielt. In der Bundesliga ist das ein unterer Mittelfeldplatz, obwohl der FC Bayern mit seinen Innenverteidigern und Goretzka starke Kopfballspieler hat.
Co-Trainer Anthony Barry, den Tuchel extra vom FC Chelsea loseisen liess, gilt als Spezialist für Standards. Bei Freistössen blitzte dies zuletzt schon das ein oder andere Mal auf. Bei Ecken gibt es dagegen bisher wenig vielversprechende Muster wie einstudierte Laufwege oder das Stellen von Blöcken.
Immerhin bemühte sich Standardschütze Kimmich zuletzt, häufiger den Ball bewusst weit auf den zweiten Pfosten zu schlagen, statt wie in der Vergangenheit oft auf den ersten. So gibt er den aufgerückten Verteidigern zumindest eine Chance, ein Kopfballduell zu führen. Hier ist weiter viel Luft nach oben. Auch über einen Wechsel des Schützen sollte Tuchel nachdenken.
3. Einbindung des Mittelstürmers
Es ist nach wie vor unklar, ob Harry Kane zum Saisonstart tatsächlich das Bayern-Trikot tragen wird. Klar scheint aber schon jetzt, dass Tuchel mit einer echten Neun spielen und hier keine grossen Experimente wagen wird. Tel, Choupo-Moting, Gnabry. Vielleicht auch mal Müller. Das sind die Alternativen, die Tuchel aktuell bereitstehen.
In der Schlussphase der Vorsaison klappte die Einbindung des Neuners nicht immer optimal. Choupo-Moting war häufig verletzt. Tel war nach seinen Einwechslungen zwar sehr bemüht und mit guten individuellen Momenten, aber nie komplett ins Spiel eingebunden. Mit Serge Gnabry passte es am Ende der Vorsaison noch am besten.
Ohne einen körperlich starken und kopfballstarken Stürmer ist der Weg in den Strafraum jedoch eingeschränkt. Durchbrüche über Aussen verpuffen häufig. Es bleiben dann Chancen im Umschaltspiel oder Durchstecker durch die Mitte, um den Neuner vor dem Tor freizuspielen. Die Kreativspieler Musiala und Sané können das, aber gegen häufig tiefstehende Gegner wird es so an der Strafraumgrenze oft umständlich und kompliziert. Geht der Ball in zentraler Position verloren, ist zudem die Gefahr für einen Konter noch einmal deutlich höher.
Was wird aus Tel?
Auffällig ist, wie viel besser dies in den bisherigen Vorbereitungsspielen mit dem jungen Mathys Tel geklappt hat. Tel ist nicht nur schnell, sondern kann sich auch gegen physisch starke Innenverteidiger im Strafraum behaupten . Es scheint, dass sich seine Mitspieler zunehmend an Tels Spielweise gewöhnen. Dass er gegen Liverpool, Kawasaki und City nur einmal traf, lag nicht an fehlender Einbindung, sondern an Pech und Unvermögen im Abschluss.
Trotzdem war das sehr vielversprechend. Darauf lässt sich aufbauen. In dieser Form könnte er ein perfekter Backup für
Verwendete Quellen:
- whoscored.com
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