Thomas Müller ist beim FC Bayern eine Identitätsfigur. Aber sein Vertrag läuft bald aus. Wer übernimmt dann seine Rolle als Volksheld? Die Antwort hängt nicht zuletzt von Joshua Kimmichs Entscheidung über die Vertragsverlängerung ab.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Es wird vermutlich nur ein kurzes Weilchen dauern, bis Bayern München die Vertragsverlängerung mit Jamal Musiala verkündet und das nächste Zeitalter im Verein ausruft. Vielleicht stösst Florian Wirtz dazu, sonst ein anderer, aber davon wird die Zukunft des Rekordmeisters nicht abhängen.

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Uli Hoeness und Nachfolger haben immer die Stars geholt, die sie zum Meistertitel brauchten. Was man aber nicht mit Geld bekommen kann, ist: Identität.

Thomas Müller, ein Kapitän ohne Spielführerbinde, wurde jahrelang für seine Unberechenbarkeit auf dem Rasen und zuletzt für sein Joker-Dasein fürstlich entlohnt. Unbezahlbar ist seine Rolle als Identitätsfigur: Mit seinem bayerischen Mundwerk samt Feuerwerk an Sprüchen und Spitzfindigkeiten vereint er alles, was die Marketing-Abteilung des FC Bayern im Wortspiel "Mia San Mia" auszudrücken versucht. Wie aber ersetzt man einen, der nicht zu ersetzen ist?

Die Leute lieben Müller, obwohl er kaum spielt

Das Beste wäre wohl, wenn man Thomas Müller nach dessen Karriere-Ende schon aus Prinzip in den Kader beriefe und auf der Bayern-Bank platzierte. Als lebendes Denkmal sozusagen.

Denn diesen Stellenwert hat der Volksheld längst erreicht: Die Leute lieben ihn, obwohl er kaum spielt. Sowas haben die Bayern ganz früher bei Sepp Maier erlebt: Irgendwann kann die tatsächliche Spielzeit den Status im Verein und ausserhalb nicht mehr verkratzen.

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Trotzdem kommen die Bayern-Bosse nicht an der entscheidenden Frage vorbei: Wer hält den Laden zusammen, wenn Thomas Müller seine Stimme nicht mehr in der Umkleidekabine erheben oder Spannungen im Mannschaftsgefüge entkrampfen wird?

Aus dem Hintergrund höre ich schon Stimmen aus der Playstation-Generation, dass im modernen Fussball Zwischenmenschliches durch Taktik-Anpassungen verdrängt worden ist. Diese These ist falsch.

Man braucht Führungsspieler, die nicht nur an sich denken

Spitzentrainer wissen nur zu gut, dass sie zwar taktisch und medizinisch alles aus ihren Athleten herausholen können. Aber die letzten Prozentpunkte, die über Sieg und Niederlagen entscheiden, bringt das Miteinander im Team: Wie formt man aus zwei Dutzend Ich-AGs eine schlagfertige Mannschaft?

Das kann das Trainerteam alleine nicht leisten. Man braucht dazu Führungsspieler, die nicht nur an sich denken. Thomas Müller ist so einer.

Kollege Tobias Holtkamp traut im Fever Pit’ch Podcast am ehesten Joshua Kimmich die Müller-Rolle beim FC Bayern zu. Dessen Attribute sind ja auch augenscheinlich Bayern-like: zielorientiert, erfolgshungrig, zugänglich.

Man kann auch Gegenteiliges auflisten: unwitzig, verbissen, Schwabe. Jedenfalls: Es käme auf einen Versuch an. Diese Woche wurde er 30. Genau das richtige Alter, um den letzten Bayern-Vertrag zu unterschreiben und Kultstatus zu erreichen.

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fussball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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