​​Der FC Bayern München hat sich mit dem 3:0 im Hinspiel gegen Bayer Leverkusen eine perfekte Ausgangssituation verschafft. Trotzdem ist der Einzug in das Viertelfinale noch längst nicht sicher – aus mehreren Gründen.​

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Oliver Jensen sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eigentlich spricht alles dafür, dass der FC Bayern München in das Viertelfinale der Champions League einzieht. Nachdem sie das Hinspiel in der vergangenen Woche mit 3:0 gewannen, müsste Bayer Leverkusen im Rückspiel (Dienstag, 21 Uhr) mit drei Toren Vorsprung gewinnen, um auch nur die Verlängerung zu erreichen.

Mehr News zum FC Bayern München

Und doch gibt es mehrere Gründe dafür, dass sich der FC Bayern nicht zu sicher sein darf.

1. Bayer Leverkusen gewann erst im Februar 2024 mit 3:0 gegen Bayern

Bayer Leverkusen hat bereits bewiesen, dass sie in einem Heimspiel mit 3:0 gegen Bayern München gewinnen können. Dieses Kunststück vollbrachten sie in der Bundesliga erst im Februar 2024.

Von den elf Spielern, die damals bei Leverkusen in der Startelf standen, sind zehn noch immer für Bayer Leverkusen aktiv. Nur Rechtsverteidiger Josip Stanisic kehrte nach seiner Ausleihe von Leverkusen nach München zurück. Der Grossteil des Kaders von Leverkusen weiss also, dass ein Drei-Tore-Sieg gegen Bayern möglich ist.

2. Es gab schon viele verrückte Comebacks

In der Geschichte der Champions League gab es schon viele Mannschaften, die nach dem Hinspiel nahezu sicher in der nächsten Runde standen – und dennoch ausgeschieden sind. Das Paradebeispiel war Paris Saint-Germain in der Saison 2016/17. Nachdem sie im Champions-League-Achtelfinale das Hinspiel mit 4:0 gewonnen hatten, verloren sie das Rückspiel mit 1:6 und schieden aus.

Drei-Tore-Rückstände, wie es nun bei Leverkusen gegen München der Fall ist, wurden in der Geschichte der Champions League (bzw. dem Europapokal der Landesmeister) sogar 13 Mal aufgeholt. Zuletzt gelang dies dem FC Liverpool in der Saison 2018/2019. Nachdem sie das Halbfinal-Hinspiel gegen Barcelona mit 0:3 verloren hatten, siegten sie im Rückspiel 4:0.

3. Bayern-Torwart Jonas Urbig fehlt die Erfahrung

Jonas Urbig erlebte ein unglückliches Startelf-Debüt beim FC Bayern München. Am Samstag kassierte er drei Gegentore, sodass der deutsche Rekordmeister überraschend mit 2:3 gegen den VfL Bochum verlor. Zwar war der 21-Jährige an keinem Gegentreffer schuld. Sein Selbstvertrauen dürfte das trotzdem nicht gestärkt haben.

Der frühere Bayern-Spieler Lothar Matthäus sieht in Urbig ein Risiko, weil in einem Rückspiel der Champions League die Erfahrung "keine unwichtige Rolle" spielt - "diese hat Urbig nicht. Auch der Gegner weiss natürlich, dass im Tor jetzt kein Neuer steht. Urbig ist zwar ein guter Torhüter, aber auf dieser Bühne hat er sich noch nicht bewiesen", sagte Matthäus gegenüber "Sky". "Wie geht er beispielsweise mit dem Druck um? Er hatte die letzten Monate auch keine Spielpraxis sammeln können. Aus dieser Perspektive ist es eine ganz klare Schwächung für Bayern München."

4. Trainer Xabi Alonso könnte taktisch voll auf die Stürmer setzen

Im Hinspiel verzichtete Leverkusen-Trainer Xabi Alonso auf einen Stürmer in der Startelf. Patrik Schick wurde erst in der 80. Minute eingewechselt, Victor Boniface kam überhaupt nicht zum Einsatz. Diesen Fehler wird Alonso wohl kein zweites Mal machen.

Vermutlich wird er zunächst mit einem Stürmer beginnen, also mit Schick oder Boniface. Er könnte aber auch die beiden Torjäger zusammen stürmen lassen. Diese Taktik wendet Alonso nur selten an: Seitdem Boniface im Sommer 2023 nach Leverkusen wechselte, standen die beiden erst in fünf Partien gemeinsam auf dem Platz – und zwar für insgesamt 143 Minuten.

Dabei sind die beiden gemeinsam sehr torgefährlich. In dieser kurzen Zeitspanne gelangen Boniface drei Tore, Schick zwei Tore und eine Vorlage. Heisst also: Rein rechnerisch treffen Schick oder Boniface alle 24 Minuten, wenn sie gemeinsam stürmen. Warum also nicht gegen Bayern?

5. Bayern kann mit Rückschlägen nur schlecht umgehen

Der FC Bayern ist an guten Tagen dazu in der Lage, jeden Gegner an die Wand zu spielen. Allerdings können sie nur schlecht mit Rückschlägen umgehen. Dies zeigte sich auch am Samstag gegen den VfL Bochum. Sie führten 2:0 und schienen die Partie im Griff zu haben. Dann der Bruch: Innerhalb von elf Minuten kassierten sie erst den Anschlusstreffer, dann mussten sie auch noch die Rote Karte für João Palhinha hinnehmen. Die Folge: Sie verloren die Partie mit 2:3.

Auch die 0:3-Niederlage gegen Feyenoord Rotterdam oder die 1:4-Pleite gegen den FC Barcelona bewiesen, dass die Bayern nicht immer eine gefestigte Mannschaft sind. Vor allem ihre Konteranfälligkeit zieht sich durch die komplette Saison.

6. Unterbewusst könnte sich Bayern doch zu sicher sein

Die Spieler und die Verantwortlichen des FC Bayern unterstreichen immer wieder, dass das Viertelfinale noch nicht erreicht ist. "Wir haben einen guten Vorteil durch das 3:0", sagte Serge Gnabry gegenüber "Bayern TV" (Bezahlinhalt). "Aber nichtsdestotrotz wird das ein schweres Spiel. Sie haben nichts mehr zu verlieren und werden alles versuchen. Wir müssen trotzdem ein gutes Spiel abliefern, um in die nächste Runde zu kommen."

Unterbewusst allerdings könnte der eine oder andere Spieler doch denken, dass nicht mehr viel schiefgehen kann. Dies wäre gefährlich: Ein Platzverweis oder ein, zwei schnelle Gegentore könnten den Spielverlauf auf den Kopf stellen.

Sportvorstand Max Eberl warnt: "Ich glaube, dass es sehr, sehr hitzig und emotional wird. Leverkusen wird mit aller Macht versuchen, Tore zu machen – aus ihrer Sicht am liebsten ein frühes Tor. Und wir müssen von Anfang an extrem mannhaft dagegen auftreten, verteidigen und trotzdem auch Fussball spielen."

Tut der FC Bayern das nicht, könnte es im Rückspiel enger werden als gedacht.

Verwendete Quellen