Der frühere Bayern-Spieler und heutige Sky-Experte Didi Hamann spricht im Interview mit unserer Redaktion über das Top-Spiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München (Samstag, 18:30 Uhr), die Zukunft von Jamal Musiala und die schwierige Situation von Mathys Tel.

Ein Interview

Herr Hamann, Uli Hoeness hat bereits die Meisterschaft des FC Bayern München versprochen. Stimmen Sie ihm zu?

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Didi Hamann: Momentan ist es schwer, einen echten Konkurrenten zu finden. Der FC Bayern spielt ordentlich, kassiert wenig Gegentore – und die Verfolger haben alle ihre Probleme. Dortmund tut sich oft in den Auswärtsspielen schwer, Bayer Leverkusen kommt nicht so richtig ins Laufen, RB Leipzig funktioniert in der Champions League überhaupt nicht und war auch in der Bundesliga zuletzt nicht so gut. Ein Konkurrent müsste in Schlagdistanz sein, damit dieser eine mögliche Schwächephase des FC Bayern nutzen kann. Das schafft momentan keiner. Aber ich glaube, Dortmund hat eine gute Chance, die Bayern am Samstag ins Wackeln zu kriegen.

Warum glauben Sie, dass Dortmund gegen Bayern eine gute Chance hat?

Vor einer Woche hätte ich das nicht gesagt, aber die letzten beiden Spiele haben mir Hoffnung gegeben. Gegen Freiburg haben sie ein richtig gutes Spiel gemacht und eine gute Mannschaft von Anfang bis Ende dominiert. Sie waren unheimlich aggressiv und gaben dem Gegner keinen Raum. Genau das hatte zuvor in vielen Auswärtsspielen gefehlt. Und auch in der Champions League haben sie gegen Dinamo Zagreb ein richtig gutes Spiel gemacht. Das Selbstvertrauen wird gross sein. Sie haben eine Chance, mit einem Sieg gegen den FC Bayern die vielen Diskussionen der vergangenen Wochen – auch rund um den Trainer – vergessen zu machen. Das ist eine grosse Chance.

FC Bayern seit sieben Spielen ohne Gegentor

Der FC Bayern hat seit sieben Pflichtspielen kein Gegentor mehr kassiert. Ist die Abwehr so stark oder waren die bisherigen Gegner vielfach zu schwach?

Man muss es erst einmal schaffen, sieben Spiele kein Gegentor zu bekommen. In der Bundesliga waren die Gegner vielleicht nicht der Gradmesser, aber in der Champions League waren immerhin Benfica Lissabon und Paris Saint-Germain dabei. Es hat sicherlich geholfen, dass zuletzt João Palhinha als defensiv denkender Spieler auf dem Platz stand. Aber der grösste Unterschied ist, dass die Innenverteidiger Dayot Upamecano und Min-jae Kim keine Fehler machen. Das hat Trainer Vincent Kompany gut hinbekommen. Das waren die beiden besten Spieler der letzten Wochen, zudem hat auch Konrad Laimer als Rechtsverteidiger gegen Paris ein super Spiel gemacht. Hinzu kommt, dass sie bei Standardsituationen sehr stabil sind. Man hat nicht das Gefühl, dass hinten etwas passieren könnte.

Unterscheiden sich Bayern-Trainer Vincent Kompany und Dortmunds Nuri Sahin vor allem durch die Erfahrung, die Kompany zuvor bereits in England und Belgien gesammelt hat?

Kompany hat natürlich die bessere Mannschaft, das darf man nicht vergessen. Aber es ist richtig, dass er auch mehr Erfahrung hat. Er ist in England aufgestiegen und war ein Jahr Trainer in der Premier League, davor in Belgien. Er strahlt sehr viel Ruhe aus, macht das wirklich hervorragend. Er scheint mit den Spielern sehr gut umzugehen.

Und wie schätzen Sie BVB-Trainer Sahin ein?

In diesem Job muss man schnell lernen. Sahin hat die einmalige Chance bei einem grossen Verein bekommen, die er nutzen muss. Das Fachliche ist die eine Sache. Aber man muss auch dazu in der Lage sein, eine Mannschaft und somit Menschen zu führen. Ob er das kann, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.

"Möglicherweise haben sie das Gefühl, besser zu sein, als sie in Wirklichkeit sind."

Didi Hamann über Borussia Dortmund

Ist das grosse Verletzungspech der Hauptgrund dafür, dass Dortmund in dieser Saison bereits einige Rückschläge kassierte?

Es ist mir zu einfach, dies auf das Verletzungspech zu schieben. Sie haben auch Spiele verloren, als sie noch alle Mann an Bord hatten. Ich habe das Gefühl, dass sie manchmal in einigen Spielen denken, 80 Prozent würden reichen. Möglicherweise haben sie das Gefühl, besser zu sein, als sie in Wirklichkeit sind. Wenn sie mit 100-prozentigem Einsatz, Lauf- und Kampfbereitschaft spielen, ist das eine richtig gute Mannschaft. Daher lasse ich auch nicht gelten, dass der Kader nicht gut ist. Ich glaube, dass sie einen hervorragenden Kader haben. Aber wenn sie nicht von der ersten Sekunde an da sind, ist es schwer, den Schalter noch einmal umzulegen. Ich hoffe, dass ihnen das nicht gegen Bayern passiert.

Dortmund hatte in den vergangenen Jahren oftmals junge Spieler, die sich beim BVB zu Weltstars entwickelten – zum Beispiel Erling Haaland oder Jadon Sancho. Könnte Jamie Gittens der nächste Spieler dieser Kategorie sein?

Ich glaube, dass er am weitesten ist. Wenn er gesund bleibt, kann er in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle in Dortmund und auch in der englischen Nationalmannschaft spielen. Maximilian Beier ist das auch zuzutrauen. Aber Gittens ist momentan am weitesten. Er ist bereits in jungen Jahren in der Lage, Spiele zu entscheiden – genauso wie früher Sancho. Er ist ein toller Spieler, dem alle Wege offenstehen.

Der FC Bayern München versucht, den Vertrag mit Jamal Musiala zu verlängern. Sollte die Vereinsführung dazu bereit sein, über die finanzielle Schmerzgrenze zu gehen und vielleicht 20 oder sogar 25 Millionen Euro im Jahr zahlen?

Grundsätzlich wollen sie die Gehälter ein bisschen zurückschrauben. Aber sie haben in den letzten Wochen immer wieder betont, dass er das Gesicht des FC Bayern für die nächsten Jahre werden soll. Dadurch haben sie sich in eine Situation hineinmanövriert, aus der sie nur schwer rauskommen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie schon eine Schmerzgrenze haben, aber dass die Seite von Musiala diese ausreizen wird.

Sie haben vor einigen Wochen angemerkt, dass Musiala kein richtiger Spielgestalter sei. Aber dafür entwickelt er sich immer mehr zum Torjäger. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?

Wir müssen abwarten, wie in einigen Monaten seine Zahlen sind. Einer meiner Hauptpunkte war ja, dass er zu wenig Assists und Tore macht. Das hat sich jetzt geändert. In den letzten Wochen war er der absolut dominierende Spieler.

Und die anderen Spieler in der Offensive?

Harry Kane macht natürlich viele Tore, aber es sind auch viele Elfmeter dabei. Die Flügelspieler haben zwar das Potenzial, Spiele zu entscheiden – aber das haben sie in letzter Zeit nicht mehr gemacht. Michael Olise hat gut angefangen, aber wurde zuletzt etwas ruhiger. Leroy Sané ist bemüht, Kingsley Coman ist okay, Serge Gnabry kam zuletzt nicht mehr richtig ins Spielen. Bayern ist sehr effizient, aber sie haben die Gegner in den letzten Wochen auch nicht vom Parkett gespielt. Musiala war der einzige Spieler, der für Überraschungsmomente gesorgt hat.

Die Verträge von Leroy Sané, Thomas Müller und Manuel Neuer enden nach dieser Saison. Sollte der FC Bayern die Verträge verlängern?

Ich würde erst einmal abwarten, weil ich bei den Dreien noch keinen Handlungsbedarf sehe. Es gibt keinen Grund, jetzt schon etwas zu entscheiden. Neuer spielt mir mit zu viel Risiko, das war gerade auch wieder gegen Paris zu beobachten. Manchmal spielt er dem Gegner auch den Ball in Fuss. Auch bei Sané sollte man abwarten, wie er in den nächsten Wochen spielt. Bei Müller ist es etwas anders. Wenn er wirklich so wichtig für die Mannschaft ist, kann man den Vertrag noch einmal verlängern. Auch wenn in den letzten Wochen klar ersichtlich war, dass sein sportlicher Einfluss immer mehr abnimmt. Das ist aufgrund des Alters auch ganz normal.

Wie könnte der FC Bayern mit Offensiv-Talent Mathys Tel verfahren?

Solange Harry Kane in München spielt, wird er nicht genügend Spielzeit bekommen. Tel hat immer wieder klargestellt, dass er in München bleiben möchte. Das verstehe ich nicht. Ich hätte bereits im Sommer über eine Ausleihe nachgedacht. Ich könnte mir vorstellen, dass jetzt im Winter der Punkt erreicht ist, weil er ansonsten nicht weiterkommt. Er kam mit grossen Erwartungen nach München. Und ich glaube nicht, dass ein Hugo Ekitike viel besser ist als Tel. Aber wenn man sieht, wie er sich entwickelt hat, seitdem er zu Frankfurt kam, dann besteht ein grosser Unterschied zu Tel. Wenn man kaum spielt – und das ist momentan der Fall – muss er woanders hingehen.

Sehen Sie den FC Bayern München momentan mit den besten Vereinen der Welt auf Augenhöhe?

Für mich sind momentan der FC Liverpool und der FC Bayern die besten Vereine. Vom Kader her braucht sich der FC Bayern vor keinem Gegner zu verstecken. Natürlich kann in einem Spiel immer alles passieren. Und wir müssen schauen, wie der FC Bayern im März und April in Form sein wird. Aber Stand heute fällt mir bis auf Liverpool keine Mannschaft ein, die ich gegen Bayern favorisieren würde.

Über den Gesprächspartner

  • Dietmar "Didi" Hamann" (Jahrgang 1973) spielte von 1993 bis 1998 für den FC Bayern München, wechselte daraufhin nach England und war für Newcastle United, den FC Liverpool, Manchester City und Milton Keynes Dons aktiv, ehe er im Jahre 2011 seine Laufbahn beendete. Heute ist er als Experte bei Sky tätig.
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