Thomas Helmer spielte früher selber für den FC Bayern München und ist heute als Moderator tätig. Im Interview mit unserer Redaktion ordnet er die angebliche Freistellung von Julian Nagelsmann beim FC Bayern ein und spricht über dessen möglichen Nachfolger Thomas Tuchel.

Ein Interview

Herr Helmer, wie überrascht sind Sie von der wahrscheinlichen Freistellung von Julian Nagelsmann?

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Thomas Helmer: Ich glaube, es gibt niemanden, der davon nicht überrascht ist. Wenn es an der sportlichen Situation liegen soll, frage ich mich, warum das nicht gleich am Montag nach der Niederlage gegen Leverkusen gemacht wurde. Vermutlich wird man sagen, man habe Bedenkzeit gebraucht.

Aber eigentlich hat der FC Bayern ja noch alles in der eigenen Hand. Wenn man gegen Dortmund gewinnt, führt man die Tabelle wieder an. Und die Champions-League-Spiele gegen Paris haben sie mit Bravour gemeistert, das war praktisch die Reifeprüfung. Aus sportlicher Sicht ist das schwer zu verstehen. Ich weiss nicht, was da vorgefallen ist.

Fehlte Julian Nagelsmann für den FC Bayern vielleicht die Erfahrung?

Nein, dieser Vorwurf würde in die falsche Richtung gehen. Das hat man ja vorher gewusst. Er hat grundsätzlich ja auch gute Arbeit geleistet. Ich bewerte seine Arbeit positiv.

Allerdings gewann Nagelsmann in seiner ersten Saison lediglich die Meisterschaft. Hing ihm das vielleicht nach?

Natürlich ist die Meisterschaft alleine nicht der Anspruch des FC Bayern - und das Ausscheiden gegen Villareal ebenfalls nicht. Aber dann hätte man ihn gleich nach der letzten Saison entlassen sollen. Und er hat in dieser Saison ja auch noch die Chance auf alle drei Titel gehabt.

Helmer: "Brutale Erwartungshaltung an den Trainer"

Welches Fazit ziehen Sie aus der Personalie Nagelsmann?

Der letzte Trainer, der beim FC Bayern entlassen wurde, war Niko Kovac. Und der hatte in seiner ersten Saison sogar zwei Titel geholt. Das zeigt, wie brutal die Erwartungshaltung an den Trainer ist. Im Falle von Nagelsmann war der Vertrag über fünf Jahre aber eigentlich ein Vertrauensbeweis. Das war also langfristig angelegt.

Daher ist die Verwunderung auch so gross. Zumal der FC Bayern in jeder Saison auch mal eine schlechte Phase hat. Aber so richtig schlecht sehe ich den FC Bayern momentan gar nicht.

Könnte das für die Trainerkarriere von Nagelsmann ein Bruch sein?

Ich glaube nicht. Ich denke, dass er wieder bei einem Top-Verein unterkommen wird. Er ist so ehrgeizig, dass ich überhaupt kein Problem sehe. Auch Carlo Ancelotti wurde beim FC Bayern entlassen, räumt sonst aber bei jedem Verein die Titel ab.

Thomas Tuchel soll der Nachfolger beim FC Bayern sein. Wie sehen Sie ihn?

Die sportlichen Erfolge sprechen für ihn. Ganz besonders die Arbeit, die er beim FC Chelsea geleistet hat. Und wenn man ehrlich ist, gibt es für den FC Bayern auch nicht viele Alternativen zu Tuchel. Er ist für mich der logische Kandidat. Er hat schon einige gute Stationen hinter sich.

Er hatte aber bei Borussia Dortmund und beim FC Chelsea offenbar auch zwischenmenschliche Probleme mit den Verantwortlichen und dürfte kein einfacher Charakter sein.

Ja, aber das schadet nicht unbedingt. Ein Trainer muss sich nicht alles gefallen lassen und muss das umsetzen, was er machen möchte. Er wird sich auch beim FC Bayern nicht alles gefallen lassen. Da kann es durchaus auch einmal Reibereien geben.

Helmer: "Die Partie gegen Dortmund ist das wichtigste Spiel"

Geht der FC Bayern mit dem Trainerwechsel ein Risiko ein?

Ich gehe davon aus, dass die Verantwortlichen das gut abgewogen haben. Aber natürlich ist immer ein Risiko dabei. Die Partie gegen Dortmund ist das wichtigste Spiel. Trotzdem bin ich mir sicher, dass sich Tuchel, wenn das wirklich so kommt, relativ schnell einfinden wird. Daher ist das Risiko für den FC Bayern wahrscheinlich minimiert.

Aber welchen Einfluss kann Tuchel in dieser kurzen Zeit nehmen?

In dieser kurzen Zeit kann er keinen grossen Einfluss nehmen. Die Spieler kommen ja erst am Mittwoch oder Donnerstag alle wieder zusammen. Er wird darauf aufbauen, was Julian gemacht hat. In der Regel dauert es, bis ein Trainer seine Handschrift auf die Mannschaft übertragen kann. Wobei es beim FC Bayern etwas schneller geht, weil die Spieler sehr viel Qualität haben.

Wen sehen Sie dann im Top-Spiel zwischen Bayern München und Borussia Dortmund in der Favoritenrolle?

Ich sehe den FC Bayern weiterhin in der Favoritenrolle - auch wenn Dortmund sehr stabil ist und sehr konstant gepunktet hat. Bayern ist eigentlich immer stark, wenn sie gewinnen müssen.

Über den Experten: Thomas Helmer war vom Jahre 1984 bis 2000 Fussball-Profi und spielte für Arminia Bielefeld, Borussia Dortmund, den FC Bayern München, Hertha BSC und den englischen Verein AFC Sunderland. Mit der deutschen Nationalmannschaft wurde er 1996 Europameister. Danach begann er seine Fernseh-Laufbahn als Moderator bei Sport1.
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