Manuel Neuer spielt aktuell seine 14. Saison beim FC Bayern. Seine Statistiken sind dabei so schlecht, wie wohl noch nie. Sollte der FC Bayern den Vertrag mit seiner Nummer eins nochmal verlängern oder neigt sich die Ära Neuer in München ihrem Ende entgegen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Ludwig Horn sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Manuel Neuer ist der "Torwart-GOAT", der Grösste aller Zeiten. Da sind sich die meisten Experten und Fussballfans einig. Seine Titelsammlung mit unter anderem elf Meisterschaften, zwei Champions-League-Siegen und einem WM-Sieg spricht für sich. Und auch in seiner 14. Saison beim FC Bayern ist Neuer natürlich die Nummer 1. Bei aller Ehrfurcht vor Neuer und seiner Leistung wird langsam aber auch Kritik laut: Neuer halte zu wenige Bälle, seine Passquote sei in den Keller gerauscht, seine Ausflüge aus seinem Tor zu riskant.

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Aus der deutschen Nationalmannschaft ist Neuer nach der Heim-EM bereits zurückgetreten. Beim FC Bayern hingegen steht der 38-Jährige weiterhin zwischen den Pfosten. Eine Verlängerung seines im kommenden Sommer auslaufenden Vertrages um ein weiteres Jahr soll nur eine "Formsache" sein. Doch gibt das Sinn für den FC Bayern? Immerhin gehört Neuer in München, wo sie sich bei den Gehältern einen Sparkurs auferlegt haben, zu den Topverdienern.

Manuel Neuer der schlechteste Torhüter der Liga?

Ein Blick auf die aktuellen Statistiken lässt einen zumindest zweifeln. Laut dem "Kicker" hat Neuer nur 50 Prozent der Schüsse, die in der Bundesliga auf sein Tor abgegeben wurden, abgewehrt. Das ist der schwächste Wert unter den Stammtorhütern der 18 Bundesligisten. Insgesamt sieben Tore kassierte Neuer in seinen sieben Einsätzen, dreimal hielt er seinen Kasten sauber.

Zum Vergleich: In der Vorsaison wehrte Neuer 64,5 Prozent der Schüsse auf sein Tor ab. Seinen Top-Wert in der Liga erreicht er in der Saison 2013/14 unter Trainer Pep Guardiola. Ganze 80,2 Prozent der Schüsse, die auf sein Tor kamen, wehrte er damals ab. Am Ende kassierte er in 31 Spielen nur 18 Gegentore und spielte 15-mal zu null.

In der Champions League ist die Neuers Quote noch schlechter. In zweieinhalb Spielen (am ersten Spieltag gegen Dinamo Zagreb wurde Neuer zur Halbzeit ausgewechselt) konnte Neuer bisher überhaupt nur eine Parade zeigen. Seine Quote bei abgewehrten Bällen liegt gerade einmal bei 17 Prozent.

Im DFB-Pokal hingegen sieht die Bilanz immerhin deutlich besser aus. In den Spielen gegen den SSV Ulm (4:0) und gegen Mainz 05 (4:0) kommt Neuer auf 100 Prozent abgewehrte Bälle und bei den langen Pässen auf eine Erfolgsquote von 86 Prozent.

Leidet Neuer unter Bayern Münchens Spielstil?

Zu Neuers Verteidigung muss man ausserdem sagen, dass der FC Bayern unter seinem neuen Trainer Vincent Kompany wieder deutlich riskanter und offensiver spielt, als noch unter dessen Vorgänger Thomas Tuchel. Neuer muss, weil seine Abwehrkette sehr hoch steht, wieder einen deutlich grösseren Raum abdecken und dabei selbst oft weit vor dem eigenen Tor stehen. Dass sich das rächen kann, hat das Champions-League-Spiel gegen Aston Villa (0:1) gezeigt, als Stürmer Jhon Duran aus grosser Entfernung den Ball einfach über Neuer hinweg ins Tor schiessen konnte.

Auch führt die hohe Abwehr dazu, dass immer wieder gegnerische Offensivspieler, wenn sie freigespielt werden können, allein auf Neuer und sein Tor zulaufen können. Für jeden Torhüter wird es dann schwer, einen Treffer noch zu verhindern. Als Beispiel dafür dient das Spiel in der Königsklasse beim FC Barcelona (1:4): Bereits in der ersten Spielminute läuft Raphinha ohne ernsthafte Bedrängnis auf Neuer zu, kann an ihm vorbeilaufen und dann ins leere Tor einschieben. Neuer kann man dabei nicht wirklich einen Vorwurf machen.

Problematisch für Neuer wird es dann eher beim nächsten Barça-Tor, als er sein Tor verlässt, aber nicht rechtzeitig am Ball ist, womit Robert Lewandowski unbedrängt treffen kann. An den beiden weiteren Treffern von Raphinha trifft Neuer dann erneut keine Schuld. Der Brasilianer zeigte sich an diesem Tag eiskalt vor dem Tor. Und dennoch bleibt der Eindruck: Hätte Neuer solche Bälle früher nicht auch mal gehalten? Einen Weltklassetorhüter macht doch gerade aus, dass er die Unhaltbaren hält. Dieses Gefühl hat man bei Neuer aktuell nicht.

Matthäus mit deutlichem Urteil zu Neuer

Ähnlich sieht das auch TV-Experte Lothar Matthäus. Gegenüber "Bild" sagte er nach den Spielen in Barcelona, Neuer sei im Moment "nicht der Rückhalt für die Mannschaft, wie er es in der Vergangenheit war. Manuel Neuer ist gerade nicht mehr Manuel Neuer. Denn er hält nicht die unhaltbaren Bälle, sein Torwartspiel hat sich verändert." Früher habe Neuer "jede Situation antizipiert, er hatte den 360-Grad-Blick, hat schon mit einem Aufbaupass Angriffe eingeleitet. Aktuell gibt er der Abwehr keine Sicherheit", so Matthäus‘ deutliches Urteil.

Auch beim Passspiel, vor allem bei langen Pässen, zeichnet sich eine Verschlechterung bei Neuer ab. In der laufenden Bundesliga-Saison kommen lediglich 44 Prozent von Neuers langen Pässen bei einem Mitspieler an. In der Vorsaison waren es noch 50 Prozent, in der bereits erwähnten Saison 2013/14 waren es 69 Prozent. Auch das einstige Alleinstellungsmerkmal - Neuers Ruf als ein herausragender mitspielender Torwart - kommt aktuell also weniger zum Tragen.

Immer wieder, wenn von Neuers Form die Rede ist, wird an seine schwere Verletzung im Dezember 2022 erinnert. Bei einer Skitour hatte er sich einen Schien- und Wadenbeinbruch zugezogen und war erst rund zehn Monate später auf den Rasen zurückgekehrt. Für einen Sportler in dem Alter – Neuer war zum Zeitpunkt der Rückkehr bereits 37 Jahre alt – war es durchaus keine Selbstverständlichkeit, sich auf dieses hohe Niveau zurückzukämpfen. Und dennoch sehen einige in der schweren Verletzung wortwörtlich einen Bruch im Spiel von Neuer.

Soll Neuer nun also einen neuen Vertrag bekommen und damit auch in der kommenden Saison weiter beim FC Bayern die Nummer eins bleiben? Schwer vorstellbar, dass er sich als Nummer zwei auf die Bank setzen würde. Wie die "Sportbild" berichtet, gab es über eine Verlängerung des Vertrags bereits erste informelle Gespräche. Intern werde die Angelegenheit als "Formsache" bezeichnet: Neuer soll bislang rund 20 Millionen Euro pro Jahr verdienen. Laut "Sportbild" könnte sein Gehalt künftig ähnlich hoch bleiben, allerdings solle dabei das Basisgehalt verringert und die leistungsbezogenen Bezüge im Gegenzug erhöht werden.

Wer könnte auf Neuer folgen?

Und wer soll nach Neuer kommen? Den einen eindeutigen Kandidaten, der sich aufdrängt, scheint es nicht zu geben. Sven Ulreich wird in München als klare Nummer zwei gesehen. Das zeigte auch die Verpflichtung von Yann Sommer während Neuers Verletzung, die Ulreich wieder den Platz auf der Bank einbrachte. Bayerns Nummer 3 Daniel Peretz, die im Sommer 2023 verpflichtet wurde, hat erst zwei Spiele für den FCB bestritten und kommt nicht als Kandidat infrage. Der dauerverliehene Alexander Nübel, frisch gebackener Nationaltorwart und in der vergangenen Saison Vizemeister mit dem VfB Stuttgart, wäre womöglich die naheliegendste Option. Ob er aber mit seiner noch recht überschaubaren Bundesliga- und Champions-League-Erfahrung bereit ist für die Nachfolge, darf zumindest bezweifelt werden.

Eine weitere Option soll der Dortmunder Torhüter Gregor Kobel sein. Der 26-jährige Schweizer wird immer wieder mal mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht. Sein Vertrag beim BVB läuft noch bis 2028, was ihn für Bayern München nicht gerade günstig machen würde.

Es steht fest: Nach bisher über 13 überaus erfolgreichen gemeinsamen Jahren mit über 500 Pflichtspielen ist ein FC Bayern ohne Manuel Neuer nur schwer vorstellbar. Irgendwann werden der FC Bayern und Neuer den Schritt aber gehen müssen zu einer neuen Nummer eins (aus Bayern-Sicht) und einem Karriereende oder einer neuen weniger grossen Herausforderung (aus Neuer-Sicht).

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