Die Bayern-Kabine ist eine Ansammlung hoch bezahlter Topstars und wirkt vor allem in der aktuellen Saison wie eine toxische Mischung. Unter dem Strich ist auch Thomas Tuchel an ihr gescheitert. Doch wie viel Einfluss hat sie tatsächlich? Und wie bekommt man sie in den Griff und nutzt sie für sich? Wir haben uns mit dem Sportpsychologen Matthias Herzog darüber unterhalten.
Sie ist ein Mythos, oft ein unlösbares Rätsel, immer eine Herausforderung, aber auch ein Rückzugsort und letztendlich das Heiligste einer Bundesliga-Mannschaft: die Kabine. Dort wird das Team eingeschworen, werden Taktiken besprochen, aber auch Allianzen geschmiedet, Hierarchien gebildet und Stimmung gemacht. Eine Dosis Daily-Soap könnte man sagen. Vor allem beim FC Bayern, denn beim Rekordmeister ist die Kabine berühmt-berüchtigt, und hat nun mal wieder einen Trainer auf dem Gewissen:
Die Besonderheit der Bayern-Kabine: In Deutschland hat keine Mannschaft so viele Topspieler im Kader, die für eine ganz spezielle Mischung sorgen. "Das sind viele Spieler, die Titel ohne Ende gewonnen haben, und jeder hält sich für den Grössten. Und dieser Erfolg ist leider häufig auch verbunden mit einer gewissen Arroganz und einer fehlenden Teamfähigkeit", sagt der Sportpsychologe Matthias Herzog im Gespräch mit unserer Redaktion.
Auf den Status kommt es an
Was den Trainer angeht, kommt es in dieser Gemengelage auch zu einem nicht unwesentlichen Teil auf dessen Status an: auf den ihm entgegengebrachten Respekt, die Anerkennung durch die Mannschaft, die durch frühere Erfolge entsteht, aber auch auf dessen Aura, auf natürliche Autorität. Ohne die grossen Erfolge wird man als Trainer womöglich schneller infrage gestellt "und das macht es natürlich extrem schwierig, wenn du als Trainer nicht wirklich ernst genommen wirst", so Herzog.
Oder aber, wenn man die Tonalität nicht trifft. "Viele Spieler heute sind sehr sensibel, böse gesagt fast schon Weicheier", so Herzog. Und in Kombination mit dem "Mia san mia"-Mantra, der Klub-Identität, der DNA des Vereins und dem für einen Weltklub eher ungewöhnlichen Gemeinschaftsgefühl muss man als Trainer Mannschaft und Umfeld so bedienen, dass die Bayern-Familie erreicht wird. "Sonst dauert es nur ein paar Wochen, bis du die Mannschaft verlierst", so Herzog.
Kommunikation und Nachvollziehbarkeit
Tuchel hat in seiner Amtszeit die Kabine nicht kurzfristig, sondern Stück für Stück verloren, laut der "Bild"-Zeitung gab es zuletzt sogar zwei Lager. Eines für, das andere gegen Tuchel.
"Die Spieler fragen ja immer nach dem 'Warum?'. Warum entscheidet der Trainer jetzt so? Warum darf ich jetzt spielen, oder warum darf ich nicht spielen? Wenn du das über Kommunikation machst, dann hast du schon mal eine bessere Chance, dass die Spieler das auch akzeptieren", so Herzog.
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"Du musst als Coach ein guter Kumpel sein auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch klare Ansagen machen", so der Psychologe. Streng sein, aber eben auch gerecht, objektiv bei der Beurteilung. Hilfreich wäre es zudem, wichtige Köpfe der Kabine hinter sich zu bringen, die Anführer. Aber Tuchel zeige ganz klar, dass er keinen Wert auf die Meinung anderer lege, sagt Herzog: "Die sind ihm komplett egal, er hat seine Sicht. Er zieht sein Ding egoistisch durch und die anderen haben zu tun, was sie zu tun haben. Es ist fast eine Diktatur, die er da führt. Und dann verliert er die Spieler natürlich." Die Dynamiken, die zwischenmenschlich ausgelöst werden können, sind nicht zu unterschätzen.
Fakt ist: Tuchel hat mit vielen Aussagen in Interviews irritiert. Als er sich nach Niederlagen ratlos zeigte und die Mannschaft öffentlich an den Pranger stellte. Als er bei Kritik dünnhäutig reagierte, oder verdiente Spieler wie Joshua Kimmich mit der ewigen Holding-Six-Diskussion geradezu demontierte. Oder zu oft wenig nachvollziehbare Personalentscheidungen traf. "Und aus meiner Sicht hat er noch nie Verantwortung übernommen, seine Selbstreflexion ist gleich null, das ist natürlich dann noch tödlicher", so Herzog.
Die absolute Macht
Denn so eine Kabine hat in einem Verein "die absolute Macht, die können quasi machen, was sie wollen. Da hat man als Trainer in der Regel keine Chance", so Herzog. Denn als Coach ist man heutzutage nun mal das schwächste Glied, "und wenn es vom Vorstand keine bedingungslose Unterstützung gibt, können die Spieler in kürzester Zeit dafür sorgen, dass ein Trainer gehen muss", so Herzog. Was theoretisch auch immer noch für Tuchel gilt, auch wenn die Trennung für den Sommer beschlossen ist.
Besonders gefährlich dabei ist, dass die aktuelle Mischung in der Kabine "komplett toxisch" sei, so Herzog. "Die sind übersättigt, denn der grösste Feind des Erfolgs ist der eigentliche Erfolg, dazu kommen Bequemlichkeit, Arroganz und Überheblichkeit", so Herzog. Nach dem Motto: Ja, wir sind wohl zu schlecht für die Champions League, aber die Meisterschaft holen wir sowieso im Vorbeigehen. "Da müsstest du eigentlich mit ganz anderen Zielen arbeiten", so Herzog. Stattdessen sei es "das Prinzip der selbsterfüllenden Prophezeiung", so der Experte.
Die Frage, die sich automatisch stellt: Ist Tuchel ungeeignet für diese Mannschaft? Herzog ist von der Entwicklung ein wenig überrascht, da Tuchel zwar als charakterlich nicht einfach gilt, sich aber zum einen in den vergangenen Jahren weiterentwickelt und zudem auch sportliche Erfolge gefeiert hat. Aus psychologischer Sicht sei Tuchel der Machertyp, der machtbesessene Perfektionist, der aber zu vergangenheitsorientiert agiere, also immer wieder Fässer aufmache, die eigentlich schon zu seien, so Herzog: "Und die Beziehungsebene bei ihm ist fatal. Und es ist typisch für diese Persönlichkeitstypen, dass sie beratungsresistent sind", so Herzog.
Die wichtige Fähigkeit, Fehler einzugestehen
Doch gerade die Fähigkeit, Fehler einzugestehen, ist eine der grössten Stärken, die man als Führungskraft haben kann. "Doch das verstehen viele Trainer nicht, weil sie so machtbesessen sind, dass sie Angst haben, an Macht zu verlieren, wenn sie bestimmte Fehler eingestehen", so Herzog. Dabei ist der Gewinn nicht zu unterschätzen, betont der Experte: "Der Trainer bekommt viel mehr Respekt und Anerkennung, wenn er es wirklich tut." Und er verliert vor allem die Kabine nicht.
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Über den Gesprächspartner
- Matthias Herzog ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und hat Sportwissenschaften mit den Schwerpunkten Psychologie und Ernährungswissenschaften studiert. Er arbeitet als Mentaltrainer, Motivationscoach und Berater und dabei bereits mit Klubs wie dem THW Kiel oder Hannover 96 zusammen.
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