Die klare 2:4-Niederlage des FC Bayern München beim VfL Bochum war ein Schock, der in München nachhallt. Die Pleite war mehr als ein einmaliger Ausrutscher. Vor allem der neue Bayern-Trainer Julian Nagelsmann ist jetzt zum ersten Mal so richtig gefordert.

Steffen Meyer
Eine Kolumne
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Bisher lief es für Julian Nagelsmann ziemlich glatt beim FC Bayern. Die Leistungen meist ordentlich bis gut. Nur im DFB-Pokal gab es einen Ausrutscher mit der klaren Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach. Doch nach der peinlichen Klatsche gegen den VfL Bochum ist vieles anders.

Auch, weil das Team von VfL-Coach Thomas Reis viele Probleme der Münchner offen legte, die unter der Oberfläche schon länger schlummern. Nagelsmann muss jetzt zeigen, was er kann, und die Mannschaft stabilisieren, wenn die Saisonziele des Rekordmeisters nicht gefährdet werden sollen.

Defensivprobleme als Dauerthema

Schon vor dem Spiel gegen Bochum kassierte der FC Bayern für seine eigenen Ansprüche zu viele Gegentore. Nach den vier Gegentreffern gegen den Aufsteiger sind es allein in der Bundesliga bereits 25.

Das war im vergangenen Jahrzehnt häufiger die Bilanz am Ende der Saison. Nun erreichen die Münchner die Marke bereits am 22. Spieltag. Zwar hat es Nagelsmann geschafft, die enorme Konteranfälligkeit des Vorjahrs weitgehend abzustellen, doch dafür kamen neue Probleme auf.

Bochum kam zum Beispiel immer wieder spielend leicht durch schnelles Umschalten über beide Aussenpositionen tief in die Bayern-Hälfte. Zudem war der eigene Spielaufbau gegen das gute Bochumer Pressing nicht fehlerfrei, was dem Aussenseiter in die Karten spielte. Vier Tore in einer Hälfte sind gegen jeden Gegner indiskutabel. Gegen Bochum sind sie ‒ bei allem Respekt ‒ ziemlich peinlich.

Keiner der drei etatmässigen Innenverteidiger erreicht aktuell konstant Normalform. Vor allem Dayot Upamecano muss inzwischen als Sorgenkind bezeichnet werden - zu viele individuelle Fehler und gegen Bochum sogar eine Reihe von verlorenen Laufduellen in entscheidenden Situationen. Dabei ist die Endschnelligkeit normalerweise eine Stärke.

Niklas Süle spielte etwas konstanter, hat aber auch immer wieder haarsträubende Momente drin, entweder durch Fehlentscheidungen bei Klärungen oder wegen eines zu grossen Radius in Eins-gegen-eins-Situationen, wie etwa beim 0:1 gegen Bochum zu sehen. Durch seinen angekündigten und für viele unverständlichen Abgang zum Ligakonkurrenten aus Dortmund kommt zudem noch eine ganze Menge Ballast jenseits des Platzes hinzu. Und auch Lucas Hernandez ist nicht so dominant, wie man es sich von einem Abwehrchef wünschen würde.

Keine Konstanz in der Abwehrkette

Nagelsmann hat auch auf Grund von Verletzungen zuletzt keine Abwehrformation einspielen können oder wollen. Immer wieder wechselte er zwischen Dreier- und Viererkette hin und her. Vor allem, weil es in der Offensive so gut lief und er keinen des gesetzten Offensivquintetts um Lewandowski und Müller herausnehmen wollte.

Das ist nachvollziehbar, sorgt aber auch dafür, dass die Verteidigung nicht eingespielt und sattelfest wirkt. Und das, obwohl der FC Bayern durch die Bundesligapause zuletzt so viel Trainingszeit hatte wie lange nicht. Kurz vor dem Beginn der heissen Phase in der Champions League ist das kein gutes Zeichen. Denn dort warten absehbar ganz andere Gegner als der VfL Bochum. Schon Red Bull Salzburg am Mittwoch hat deutlich mehr Qualität als der Ruhrpott-Club.

Nagelsmann muss jetzt seine Formation in der Defensive finden. Auch, weil mit Neuer verletzungsbedingt der grosse Rückhalt fehlt, der immer wieder kleinere und grössere Baustellen überdeckte. Wenn die Viererkette, wie zuletzt, keine echte, zusätzliche Stabilität bringt, spricht vieles dafür, die riskantere, aber auch offensiv interessantere Variante mit Dreierkette und den verkappten Flügelläufern Gnabry und Coman weiter zu verfeinern.

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Nagelsmann übt berechtigte Selbstkritik

Es ehrt den jungen Coach, dass er sich nach der Niederlage gegen Bochum vor allem selbst in die Pflicht nahm. Der Plan sei nicht aufgegangen und er selbst habe dann zu spät eingegriffen. In der Tat wunderten sich viele, warum Nagelsmann vergleichsweise passiv zuschaute, als die Münchner gegen Bochum das Spiel nach Führung aus der Hand gaben. Schon bei der 0:5-Klatsche gegen Mönchengladbach schaute Nagelsmann lange zu und liess den an diesem Abend sichtbar verunsicherten Upamecano auf dem Platz, bis das Spiel mit dem 0:3 bereits entschieden war.

Niemand erwartet, dass Nagelsmann wie einst Pep Guardiola schon nach wenigen Minuten Taktik und Personal über den Haufen wirft, wenn es mal nicht so läuft. Doch es ist Kernaufgabe des Trainers, mit Anpassungen und Auswechslungen zur rechten Zeit Impulse zu setzen. Auch hier darf man von Nagelsmann noch mehr positiven Einfluss erwarten.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Der FC Bayern hat immer noch sechs Punkte Vorsprung in der Liga, und ein 2:4 gegen Bochum ist noch kein Anzeichen für eine grössere Krise. Nagelsmann ist ‒ auch wegen seiner herausragenden Aussendarstellung, die dem FC Bayern viele Diskussionen erspart hat ‒ bis hierher ein Glücksgriff.

Doch der Anspruch beim Rekordmeister ist nun einmal immer das Optimum. Das ist das Erfolgsgeheimnis dieses Clubs. Und davon ist der FC Bayern aktuell zu weit entfernt, um ein 2:4 gegen Bochum schulterzuckend abzuschütteln. Für Nagelsmann sind die kommenden Wochen deshalb die erste grosse Bewährungsprobe. Auch er muss jetzt zeigen, was er kann.

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