Thomas Tuchel erhöhte nach der Niederlage des FC Bayern gegen Leipzig den Druck auf die Mannschaft. Dabei würde mehr Selbstkritik dem ehrgeizigen Trainer gut zu Gesicht stehen.
Auch fünf Tage nach dem enttäuschenden 0:3 gegen RB Leipzig im Supercup haben sich die Diskussionen rund um den FC Bayern noch nicht beruhigt. Insbesondere Trainer
Resigniert, beinahe spöttisch, sprach er da über sein Team und die gezeigte Leistung. Und das nicht zum ersten Mal. Sogar beim Starneuzugang
Tuchel sagte all das nicht in eine Kamera, sondern gleich in mehrere, und hatte sich auch bei der Pressekonferenz eine halbe Stunde nach dem Spiel noch nicht beruhigt. Offenbar war ihm dieser Punkt wichtig. Egal ob Kalkül oder ehrliche Emotion. Hängen blieb eines: Da schmeisst ein Trainer seine Mannschaft ziemlich unter den Bus.
Fairerweise muss man sagen, dass es in der Tat wenig gab, was der Trainer hätte loben können. Die Chancenverwertung schwach. Das zentrale Mittelfeld mal wieder zu häufig überlaufen und der organisierte Spielaufbau mit viel zu viel Stückwerk und Einzelaktionen. Doch Tuchel hat mit seinen Aussagen eine Debatte ausgelöst, die grösser ist, als es nach einer sportlich immer noch recht unbedeutenden Supercup-Niederlage eigentlich sein müsste. Und das in einer Phase, in der selbst Führungsspieler wie
Führungsspieler werden öffentlich infrage gestellt
Damit kommt nun eine eigentlich bereits überwunden geglaubte Debatte hoch. Tuchel ‒ so hiess es zum Start in München ‒ habe sich als Trainer und Führungsfigur weiterentwickelt. Er habe in Paris und London gelernt mit Stars umzugehen, gelassener zu sein. Zuvor war ihm vor allem in Dortmund manchmal nachgesagt worden, mit Ehrgeiz und Perfektionismus am Ende zu viele Spieler und Mitarbeiter verloren zu haben.
Dem FC Bayern war beim überraschenden Wechsel von Nagelsmann auf Tuchel im März extrem wichtig zu betonen, dass nun wieder mehr Ruhe und Professionalität einkehren sollte. Zu viele Nebenkriegsschauplätze, so hiess es, sorgten damals für zu viel Ablenkung. In München hat eben jeder Nebensatz das Potenzial, zur Meldung zu werden. Nagelsmann produzierte einige davon.
Einmal musste sich der Bayern-Coach sogar mit einem Besuch bei der Feuerwache 4 in München Schwabing entschuldigen. Zuvor hatte er in einer Pressekonferenz flapsig gesagt, dass er sich um die Motivation der Mannschaft keine Sorgen mache. Schliesslich sei man hier beim FC Bayern und nicht bei der Freiwilligen Feuerwehr Süd-Giesing. Gegen die Aufregung dieser Woche wirkt das geradezu lachhaft.
Zumal es nicht die einzige Baustelle ist. Es wird munter über Führungsspieler wie Joshua Kimmich oder Leon Goretzka diskutiert. Weil zu oft unwidersprochen bleibt, dass Tuchel laut Medienberichten unzufrieden mit ihrer Interpretation der zentralen Mittelfeldrolle ist. Zudem sprach er ganz offen darüber, dass er sich eine echte “Holding 6”, einen defensiv denkenden Sechser, wünscht.
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Auch hier bleibt jenseits der sportlichen Bewertung fraglich, wie diese öffentliche Diskussion der Mannschaft in der aktuellen Phase hilft. Zumal mit Kimmich,
Es gab Trainer beim FC Bayern, die achteten penibel darauf, sich bei Niederlagen eher demonstrativ vor die Mannschaft zu stellen. Jupp Heynckes kommt einem hier in der zweiten Phase in München in den Sinn. Gleiches gilt für Ottmar Hitzfeld. Uli Hoeness war ebenfalls lange Zeit dafür bekannt, die Mannschaft nach Siegen eher auf dem Boden zu halten, aber bei Niederlagen auch mal Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, die der Mannschaft Zeit zum Durchatmen gaben. Auch Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg stellte sich zuletzt nach dem blamablen Aus der DFB-Frauen bei der Weltmeisterschaft sehr selbstkritisch vor die Mannschaft.
Tuchels Bilanz bisher nicht gut genug
Natürlich gibt es Momente im Verlauf einer Saison, in der eine klare öffentliche Kritik oder ein Appell an die Ehre der Mannschaft etwas auslösen kann. Doch auf Dauer nutzt sich das ab. Aktuell hat die Saison noch nicht mal begonnen. Was soll die Steigerung sein, wenn es mal in einer wirklich wichtigen Phase schlecht läuft?
Alles in allem täte Tuchel in dieser Phase etwas mehr Selbstkritik gut. Denn dafür gäbe es durchaus handfeste Gründe. Die sportliche Bilanz seiner bisherigen Amtszeit ist besorgniserregend. Fünf Niederlagen in 13 Pflichtspielen sind enorm viel und werden der Qualität der Mannschaft nicht gerecht. Er hat es bisher nicht geschafft, die Mannschaft taktisch erfolgreich weiterzuentwickeln, er hat das Spiel im Vergleich zur Ära Nagelsmann und Flick deutlich entkompliziert. Weniger Risiko der Aussenverteidiger, weniger Aggressivität im Gegenpressing und mehr Positionstreue.
Umstellung hilft der Defensive wenig
Der Problemzone Defensive hat jedoch das nur bedingt geholfen. Die Anzahl der Durchbrüche und Gegentore bleibt zu hoch. Gegen Leipzig wirkte die Mannschaft zudem nicht gut vorbereitet auf die vielen diagonalen Sprints von Neuzugang Xavi Simmons oder das kleinräumige Zusammenspiel von Timo Werner und Dani Olmo im linken Halbraum. Der Wunsch nach einem neuen Sechser ist da durchaus nachvollziehbar, allerdings kann der Erfolg eines so starken Kaders nicht von einem fehlenden Spielertypen abhängen.
Auch offensiv ist der Übergang ins Angriffsdrittel nach wie vor nicht konstant gut und häufig zu abhängig von Geniestreichen Jamal Musialas. Schon in den durchaus guten Vorbereitungsspielen gegen Manchester City und Liverpool gab es da Licht und Schatten. Hier sollte die Ankunft von Harry Kane als Zielspieler im Zentrum jedoch besonders helfen.
Für Tuchel beginnt mit dem Bundesligaauftakt am Freitag eine enorm wichtige Phase. Er hat erstmals eine komplette Saisonvorbereitung mit diesem Kader hinter sich. Kein Nationalspieler fehlte wegen eines Turniers. Mit Harry Kane bekam Tuchel seinen Wunschspieler. Der Kader ist mit Ausnahme der noch ungeklärten Torwartposition aussergewöhnlich stark. Eine bessere Ausgangslage hatte in diesem Jahrtausend kaum ein Bayern-Trainer. Es ist jetzt vor allem Tuchels Verantwortung, daraus etwas Besonderes zu machen.
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