Naldos Führungstreffer gegen den HSV hätte eigentlich nicht anerkannt werden dürfen. Dennoch kann man weder dem Schiedsrichter noch dem Video-Assistenten einen Vorwurf machen. In Mönchengladbach wiederum funktioniert der Videobeweis makellos.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne

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Hätte der abstiegsgefährdete Hamburger SV sein Spiel gegen den FC Schalke 04 nicht mit 3:2 gewonnen, dann wäre vonseiten der Norddeutschen vermutlich laut über Schiedsrichter Christian Dingert und dessen Video-Assistenten Benjamin Brand geklagt worden.

Denn die beiden Unparteiischen hatten die Gültigkeit des Führungstreffers der Gäste in der 9. Minute durch Naldo bestätigt, obwohl es gute Argumente gegen die Anerkennung dieses Tores gab.

Der Schalker hatte den Ball nach einer Freistossflanke von Daniel Caligiuri nämlich "erst mit dem Kopf getroffen, dann mit der Hand", wie er selbst zugab. Um sogleich zu beteuern, das Tor sei selbstverständlich dennoch regulär erzielt worden.

Darüber kann man zumindest streiten. Der Ball war lange unterwegs, kam also nicht überraschend auf Naldo zugeflogen. Der Deutsch-Brasilianer hatte vielmehr reichlich Zeit, sich zu überlegen, wie er ihn aufs Gehäuse der Gastgeber befördern will.

Seine Sprungbewegung war zwar darauf ausgerichtet, die Kugel mit der Stirn zu treffen. Doch der eng am Kopf geführte linke Arm diente schliesslich nicht nur dem Schwungholen, sondern bewegte sich zum Ball und berührte diesen auch.

So kam am Ende eine kuriose Mischung aus Kopf- und Handball zustande, gegen die HSV-Torwart Julian Pollersbeck vollkommen machtlos war.

Bis Klarheit herrscht, dauert es lange

Auf dem Feld und selbst in den ersten Wiederholungen des Fernsehens war all das ausgesprochen schwer zu erkennen. Die Bilder legten zwar nahe, dass Naldo nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit der Hand am Ball war, doch zunächst schaffte keine Kameraeinstellung wirklich Klarheit.

Im Sender Sky erklärte der frühere Fifa-Schiedsrichter Markus Merk in der Halbzeitpause, man habe fast fünf Minuten gebraucht, um mithilfe von Ausschnittvergrösserungen und Superzeitlupen herauszufinden, dass ein strafbares Handspiel vorliegt und das Tor deshalb nicht hätte zählen dürfen.

Die Bilder, die er zeigte, liessen einen anderen Schluss in der Tat nicht mehr zu. Das bedeutet allerdings auch: Es war geradezu detektivische Arbeit vonnöten, um zu der Einschätzung zu gelangen, dass der erste Schalker Treffer auf irreguläre Weise erzielt worden war.

Die Video-Assistenten sollen jedoch - so hatte es Lutz Michael Fröhlich, der Leiter der DFB-Schiedsrichter-Kommission Elite, in der Winterpause formuliert - keine Detektive sein.

Sie sind vielmehr angehalten, nur dann zu intervenieren, wenn ein Fehler des Schiedsrichters offensichtlich ist, also innerhalb kurzer Zeit zweifelsfrei festgestellt werden kann.

Das aber war bei Naldos Tor in Hamburg nicht der Fall. Und daran hätte sich auch nichts geändert, wenn der Unparteiische sich in der Review Area selbst ein Bild von der Szene gemacht hätte.

In Mönchengladbach funktioniert der Videobeweis perfekt

Klar und offensichtlich falsch war dagegen eine Entscheidung von Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus in der 78. Minute der Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und Hertha BSC (2:1).

Im Berliner Strafraum hatte Fabian Lustenberger den Gladbacher Nico Elvedi mit einer schwungvollen Grätsche von den Beinen geholt, doch die eigentlich gut postierte Unparteiische hatte den Zweikampf anders wahrgenommen und weiterspielen lassen.

Auf Empfehlung ihres Video-Assistenten Martin Petersen schaute sie sich die Szene in der nächsten Spielunterbrechung wenige Sekunden später jedoch am Spielfeldrand noch einmal selbst an. Danach erkannte sie zu Recht auf Strafstoss für die Hausherren, den Thorgan Hazard zum 2:1-Siegtor verwandelte.

23 Minuten zuvor hatten die Gladbacher den Videobeweis noch verflucht. Da nämlich hatte Patrick Herrmann beim Stand von 0:1 den Ausgleich erzielt, doch Steinhaus versagte dem Treffer auf Intervention von Petersen richtigerweise die Anerkennung.

Denn Hazard hatte sich bei der Vorlage im Abseits befunden hatte. Diese Abseitsstellung war allerdings äusserst knapp und für den Assistenten an der Seitenlinie deshalb kaum zweifelsfrei zu erkennen.

In solch engen Fällen soll das Fahnenzeichen möglichst unterbleiben und der Angriff zu Ende gespielt werden, weil im Falle einer Torerzielung ohnehin vom Video-Assistenten geprüft wird, ob ein Abseits vorlag.

Emotional war die Anwendung des Videobeweises in Mönchengladbach für die Anhänger beider Teams also gewiss schwierig. Auf der fachlichen Ebene dagegen verlief er absolut perfekt.

Videobeweis: Weniger Eingriffe, Stuttgart profitiert am häufigsten

Fünf Spieltage vor Schluss sind damit 68 Entscheidungen auf Anraten der Video-Assistenten von den Schiedsrichtern geändert worden. Nach der Hinrunde waren es 48 Korrekturen, im Schnitt gab es bis zur Winterpause also alle drei Spiele eine.

In der Rückrunde dagegen haben die Referees bislang nur noch in weniger als jedem fünften Spiel eine Entscheidung aufgrund eines klaren und offensichtlichen Fehlers revidiert.

Exakt 50 Prozent der Änderungen betreffen Strafstösse, die entweder nachträglich gegeben (22-mal) oder zurückgenommen wurden (12-mal). 21 Tore wurden im Zuge eines Eingriffs des Video-Assistenten annulliert, sechs Rote Karten nachträglich gezeigt.

Am häufigsten wurden Entscheidungen zugunsten des VfB Stuttgart (9-mal), Schalke 04 und Bayer 04 Leverkusen (je 7-mal) geändert. Wenn die TSG 1899 Hoffenheim spielte, musste der Video-Assistent dagegen bislang nur ein einziges Mal korrigierend eingreifen - das ist der Tiefstwert der Liga.

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