- Mal wieder erhitzen sich die Gemüter beim Thema Handspiel: Werder und Union bekommen fragwürdige Strafstösse zugesprochen, die Hertha geht dagegen leer aus.
- Das ist nicht nur im Kontext des Spieltags ein Problem – die klare Linie fehlt, auch bei den VAR.
In der jüngeren Vergangenheit haben die Regelhüter vom International Football Association Board (Ifab) die Handspielregel gleich zweimal verändert. Im Regeltext in den Saisons 2019/20 und 2020/21 wurde noch versucht, in teilweise umständlichen und unübersichtlichen Formulierungen nahezu jeden Einzelfall und beinahe jedes Detail zu erfassen, um bei Handspielen besser zwischen "strafbar" und "nicht strafbar" unterscheiden zu können.
Bedeutsamer als die Frage der Absicht war nun die – theoretisch besser zu bestimmende – Hand- respektive Armhaltung. Zu mehr Klarheit führte diese Verkleinerung des Ermessensspielraums der Unparteiischen bei der Bewertung trotzdem nicht, als fairer und praxisnäher empfanden viele die Neuformulierung und -auslegung ebenfalls nicht.
Also änderte das Ifab die Handspielregel zur Spielzeit 2021/22 ein weiteres Mal, der Regeltext wurde erneut umgekrempelt und deutlich gestrafft. Strafbar ist ein Handspiel nun, verkürzt gesagt, wenn der betreffende Spieler den Ball entweder absichtlich berührt, indem er die Hand oder den Arm zum Ball führt, oder seine Körperfläche unnatürlich (!) vergrössert, indem er sich mit den Händen oder Armen breiter macht, als es für eine normale Körperbewegung in diesem Moment erforderlich ist.
Das heisst: Nicht immer ist ein Handspiel mit abstehendem Arm ahndungswürdig. Im Kern kehrte man damit zur Handspielregel zurück, wie es sie vor 2019 gab. Die Schiedsrichter bekamen damit auch wieder mehr Ermessensspielraum.
Zweifelhafter Elfmeter für Werder
Dennoch gibt es weiterhin oft Diskussionen über die Bewertung von Handspielen – und darüber, wann eine diesbezügliche Entscheidung so unhaltbar ist, dass der Video-Assistent intervenieren muss. Wo es einen Graubereich gibt und damit Interpretationsspielräume existieren, ist es grundsätzlich schwierig, immer eine klare Linie zu verfolgen.
Dennoch ist es auffällig und kritikwürdig, wie unterschiedlich die Massstäbe der Referees bei der Bewertung von Handspielen an diesem Bundesliga-Spieltag waren. Das begann am Freitagabend in der Partie zwischen Werder Bremen und dem FC Augsburg (0:1), als Schiedsrichter Martin Petersen den Gastgebern in der Nachspielzeit einen Handelfmeter zusprach.
Nach einer Hereingabe in den Strafraum der Gäste hatte der Bremer
Absicht konnte man Bauer ebenfalls nicht ernsthaft unterstellen, weil er seinen Arm nicht zum Ball führte. Doch auch nach der Überprüfung der Entscheidung durch VAR Guido Winkmann blieb es beim Elfmeter, den Ducksch schliesslich verschoss.
Noch fragwürdigerer Strafstoss für Union Berlin
Nicht weniger fragwürdig war der Strafstoss, den der Unparteiische Benjamin Cortus am Sonntagnachmittag in der Begegnung des 1. FC Köln gegen den 1. FC Union Berlin (0:1) nach acht Minuten den Gästen zusprach.
Robin Knoche hatte den Ball im Strafraum der Hausherren aus kurzer Distanz an den linken Ellenbogen von Luca Kilian geköpft, wobei der Kölner sich zum einen mit dem Rücken zu Knoche befunden hatte, den Ball also gar nicht sehen konnte.
Zum anderen war Kilian in diesem Moment nach einem vergeblichen Sprung zum Ball in der Abwärtsbewegung und hatte seinen Arm so gehalten, wie es für diese Bewegung normal und typisch war. Er hatte sich also nicht auf unnatürliche Weise breiter gemacht und somit auch nicht in Kauf genommen, den Ball mit dem Arm zu berühren.
Trotzdem blieb die Entscheidung auch in diesem Fall nach der Überprüfung durch VAR Markus Schmidt bestehen, doch Jordan Siebatcheu konnte den Elfmeter ebenfalls nicht verwandeln.
"Der Junge ist mit dem Rücken zum Ball und kriegt diesen an den Oberarm", kritisierte der Kölner Trainer Steffen Baumgart die Entscheidung des Referees. Nach dem Regelwerk sei "schon auch eine gewisse Absicht“ vonnöten, damit ein Handspiel als strafbar zu bewerten ist, sagte er, um danach zornig anzufügen: "Das wird dann Verarsche. Da muss man mir auch nichts erklären, das ist dann einfach lächerlich."
Zwei Fragen des Schiedsrichters
Keinen Strafstoss gab es hingegen in der 82. Minute des Spiels Hertha BSC – Bayer 04 Leverkusen (2:2) am Samstag, als der Leverkusener Odilon Kossounou den Ball wenige Meter vor dem eigenen Tor bei einem Schuss von Jean-Paul Boetius aus zentraler Position und kurzer Distanz mit dem rechten Arm ablenkte.
Zwei Fragen seien zu beantworten gewesen, sagte der Unparteiische Benjamin Brand nach dem Schlusspfiff im Interview des Senders Sky: "Einmal: War es eine unnatürliche Bewegung des Armes? Und: Ist es Absicht gewesen?"
Beide Fragen könne er auch nach dem Betrachten der Fernsehbilder verneinen, deshalb bleibe er bei seiner Entscheidung. Kossounou habe seinen Arm "in einer normalen Art und Weise" gehalten. Dass VAR Matthias Jöllenbeck nicht interveniert habe, sei somit richtig gewesen.
Ein ähnlich gelagertes Handspiel war vor Wochenfrist dem Leipziger Willi Orban im Spiel bei Eintracht Frankfurt im eigenen Strafraum unterlaufen. Schiedsrichter Felix Brych hatte wie sein Kollege Brand nicht auf Strafstoss entschieden, der VAR hatte sich ebenfalls nicht eingeschaltet.
In beiden Fällen führte der jeweilige Spieler den Arm nicht in die Flugbahn des Balles, beging regeltechnisch betrachtet also kein absichtliches Handspiel. Sowohl Orban als auch Kossounou vergrösserten durch die Armhaltung allerdings ihre Körperfläche – ob sie das auf eine unnatürliche Weise taten oder ob man diese Haltung noch als Folge einer situativ normalen Bewegung bewerten konnte, wie es Brand und Brych taten, darüber lässt sich streiten.
Keine klare Linie der Unparteiischen
Kossounous Arm sei "nur durch den Schwung des Balles nach hinten mitgenommen" worden, sagte Benjamin Brand. Anders als die frontale Perspektive vermittelt die Hintertorkamera tatsächlich diesen Eindruck.
Was die Aufregung in Berlin massgeblich begünstigt haben dürfte, war die Tatsache, dass der Leverkusener durch sein Handspiel ein Tor verhinderte. Das aber – auch darauf wies Benjamin Brand hin – spielt keine Rolle bei der Frage, ob ein Handspiel als strafbar zu bewerten ist.
Auch wenn es seltsam anmuten mag: Ein unabsichtliches Handspiel des Torschützen bei oder unmittelbar vor der Torerzielung führt immer dazu, dass der Treffer annulliert wird. Ein unabsichtliches Handspiel, durch das ein Tor verhindert wird, ist dagegen nicht ahndungswürdig. So sehen es die Regeln vor.
Für Brands Entscheidung lassen sich letztlich zumindest bessere Argumente finden als für die Strafstösse in Bremen und Köln. Vergleicht man die drei Entscheidungen miteinander, ist allerdings auch klar: Wenn man die Handelfmeter für Werder und Union zum Massstab macht – was allerdings keine sinnvolle Idee ist –, hätte es für Hertha erst recht einen Elfmeter geben müssen.
Hier passten die Regelauslegungen jedenfalls nicht zusammen, eine Linie war nicht erkennbar. Und wenn man einen Blick auf den VAR als "Airbag" wirft, lässt sich festhalten: Es wäre besser gewesen, wenn er bei den Strafstössen für Werder und Union ein On-Field-Review empfohlen hätte. Denn diese Entscheidungen als klar und offensichtlich falsch einzustufen, wäre allemal gerechtfertigt gewesen.
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