München - Mehr Stadionverbote, die Schliessung ganzer Tribünen, personalisierte Tickets und härtere Einlasskontrollen: Die Vorschläge, mit denen einige Politiker die Themen Gewalt und Sicherheit im deutschen Fussball angehen, sind weitreichend und lassen Fans schaudern. Das Treffen zwischen deutschen Innenministern und den Spitzen von DFB und DFL am Freitag in München steht deshalb bei Anhängern und selbst einigen Vereinen heftig in der Kritik. Sie werfen der Politik Populismus auf dem Rücken der Fans vor.

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Das lässt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann als Gastgeber des Gipfels so nicht stehen. Rund um Fussballspiele der höchsten drei Ligen in Deutschland seien zuletzt mehr Straftaten registriert worden als noch vor der Corona-Phase, schildert der CSU-Politiker. "Das ist noch nicht dramatisch, aber leider geht die Entwicklung in diese Richtung."

Herrmann für konsequentere Stadionverbote und Fan-Ausschlüsse

Deshalb lud Herrmann als Vorsitzender der Sportministerkonferenz seine Ressortkolleginnen und -kollegen aus den anderen Bundesländern nach München ein. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war ebenfalls eingeplant, sagte ihre Teilnahme wegen Beratungen im Bundestag aber kurzfristig ab. Auch die Spitzen des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) und der Deutschen Fussball Liga (DFL) werden zu dem Gespräch am Flughafen anreisen. Dass bei dem Gipfel von der Politik keine Fan-Vertretungen gewünscht waren, nährt bei den Anhängern die Sorgen, dass über ihren Köpfen hinweg teils drakonische Entscheidungen fallen könnte.

Laut MDR haben Bayern, Hamburg, Sachsen und Niedersachsen schon konkrete Forderungen an den Fussball gestellt. Unter anderem soll beim DFB künftig eine zentrale Stelle für Stadionverbote zuständig sein - bislang ist das Vereinssache. Wie der Sender am Vorabend der Konferenz unter Verweis auf ein Positionspapier der vier Länderministerien meldete, sollen zudem Tribünen im Stadion künftig schon präventiv für Fans gesperrt werden dürfen, etwa wenn Vereine keine zufriedenstellende Fanarbeit anbieten oder die Partie als Risikospiel eingestuft wird. Auch personalisierte Eintrittskarten soll es geben, um Täter in Zukunft leichter ermitteln zu können. Und Pyrotechnik-Vergehen sollen härter bestraft werden.

Joachim Herrmann
Will DFB und DFL beim Thema Gewalt im Fussball in die Pflicht nehmen: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). © dpa / Matthias Balk/dpa

Gastgeber Herrmann nimmt sich andere Ligen in Europa, etwa die Serie A in Italien, als Beispiel. "Wenn es eskaliert ist, es zu groben Sicherheitsverstössen gekommen ist, dann muss ein Verein für das nächste Auswärts- oder Heimspiele mit einer deutlich reduzierten Zuschauerzahl oder ohne eigene Fans spielen", schilderte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

"Ich wünsche mir das nicht. Aber wir müssen darüber reden, warum es nur in anderen europäischen Ländern solche Massnahmen gibt. Genauso beim Thema Stadionverbote: Wenn diese in anderen Ländern Wirkung entfalten, warum werden sie dann in Deutschland so gut wir gar nicht angewendet?", fragte der Bayer. Er hofft, dass Vereine Stadionverbote "konsequenter umsetzen" und dass es schon bei dem Gipfeltreffen erste Ergebnisse gibt.

Schreitet Politik ein?

Sollten sich Clubs und Ligen uneinsichtig zeigen oder gar vor Ultras kuschen, dann seien Konsequenzen durch die Politik nicht auszuschliessen. Er wolle zwar keine Drohungen aussprechen, unterstrich Herrmann, ergänzte aber: "Natürlich haben die Politik und die Sicherheitsbehörden eine Verantwortung, das ist bei jeder grossen, öffentlichen Veranstaltung so."

Vor allem das Abbrennen von Leuchtfeuern oder Rauchtöpfen sei eine sehr grosse Gefahr für Zuschauerinnen und Zuschauer. "Ich unterstelle keinem dieser Chaoten, dass es sein Ziel ist, andere Menschen massiv zu verletzen", sagte Herrmann jüngst der "Sport Bild". "Aber beim Zünden von Pyrotechnik an Stellen, an denen Zuschauer dicht gedrängt stehen, die leicht entflammbare Kleidung tragen, muss jedem, der halbwegs bei Verstand ist, klar sein, wie schnell auch ein Unbeteiligter zu einer menschlichen Fackel im Stadion werden kann und Lebensgefahr besteht. Wir können von Glück sagen, dass das bisher nicht eingetreten ist."

Demonstrationen vor Niedersachsen-Derby
Fans befürchten arge Konsequenzen, die über ihren Kopf hinweg entschieden werden. © dpa / Moritz Frankenberg/dpa

Fans entsetzt: "Wählerstimmen vor Sachkenntnis"

Können härtere Strafen künftig also Pyro-Eklats vermeiden? Nein, findet Fan-Anwalt René Lau. "Kein Täter denkt darüber nach, diese Tat nicht zu begehen, weil sie nicht mehr mit einer Geldstrafe, sondern mit Freiheitsstrafe bestraft wird", sagte er der dpa. "Da können sie die Strafen hochsetzen soviel sie wollen: Damit wird nicht eine Fackel weniger abgebrannt."

Die Interessensgemeinschaft "Unsere Kurve" meinte: "Wir haben ehrlich gesagt keine Erwartungen an das Spitzengespräch. Die Politik aus Bremen, Niedersachsen, Bayern und NRW hat durch Aussagen der letzten Zeit sehr deutlich gemacht, dass es um Populismus und nicht um Inhalte geht. Wählerstimmen vor Sachkenntnis."

Der Dachverband der Fanhilfen befürchtet ein einseitiges Bild der Situation. In einem offenen Brief an Faeser hiess es, Fans würden "als Sicherheitsrisiko gesehen und eine Gefahrenlage im Rahmen von Fussballspielen beschrieben, die nicht der Realität entspricht."

Zur Kritik, dass keine Fans zu dem Treffen geladen wurden, erklärte Herrmann mit einem Vergleich: "Das Sicherheitskonzept für das Oktoberfest wird zwischen der Polizei und der Landeshauptstadt München besprochen, ohne Millionen von Besuchern zu fragen, wie sie es denn gerne hätten. Das ist die Aufgabe von Sicherheitsbehörden."  © Deutsche Presse-Agentur

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