Der Hamburger SV torkelt durch die Bundesliga und spürt die volle Wucht der Verfehlungen der letzten Jahre. Zu verantworten hat das zu grossen Teilen Dietmar Beiersdorfer - und trotzdem bleibt der Klub-Boss unantastbar.

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Man kann es natürlich so sehen wie Kalle Schwensen. Die Hamburger Kiezgrösse hätte ein sehr praktikables Rezept parat, um der maroden Mannschaft des Hamburger SV alsbald wieder auf die Sprünge zu helfen. "Das ist 'ne Söldnertruppe, für die man knallhart wieder die Prügelstrafe einführen sollte. Übern Pranger spannen und dann 40 Hiebe. Weil anders kapieren die das nicht."

Ganz so drastisch wird Markus Gisdol seine Mannschaft in den verbleibenden Tagen bis zum nächsten Bundesliga-Wochenende nicht anpacken, immerhin verspricht der Trainer aber, mit dem Team "trainieren, trainieren, trainieren" zu wollen. Allerdings ist auf Grund der Länderspielabstellungen mal wieder der halbe Kader unterwegs. Und bisher hat die Sache mit dem Trainieren auch noch nicht für einen nachhaltigen Umschwung gesorgt.

Der Hamburger SV torkelt wie noch nie durch die Bundesliga und die Fans haben langsam keine Lust mehr, die unzähligen Tiefpunkte weiter zu zählen, geschweige denn zu kommentieren. Beim desaströsen 2:5 gegen Borussia Dortmund stellte die Nordtribüne nach einer halben Stunde den Support ein, nach dem Spiel war die Lethargie so gross, dass es nicht einmal zu Protesten am Mannschaftsbus kam.

Ein kranker Verein

Momentan gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der HSV noch gerettet werden könnte. Einzig der Spielplan und die Tatsache, dass erst rund ein Drittel der Saison vorbei ist und noch genügend Punkte zu vergeben sind, sind winzig kleine Hoffnungsschimmer. Bis zur Winterpause geht es unter anderem noch gegen Werder, Darmstadt, Augsburg, Mainz und Wolfsburg, also Mannschaften aus den unteren Tabellenregionen.

Die Leistungen der Profis auf dem Rasen sind die sichtbaren Zeichen, ein Abbild der Verfehlungen der Klubführung. In den 90 Minuten am Wochenende wird sichtbar, wie miserabel dieser Klub gewirtschaftet und geplant hat. Und wie hilflos er jetzt mit ansehen muss, wie der Karren mit 180 km/h in Richtung Wand steuert.

Der Hamburger SV ist ein kranker Verein. Im Sommer wurde die vergangene Saison mit Tabellenplatz zehn als Erfolgsgeschichte verkauft und als Grundstein für die Trendwende. Sportdirektor Peter Knäbel, der sich in der Tat einige peinliche Missgeschicke und Fehlgriffe auf dem Transfermarkt geleistet hatte, wurde entlassen und stattdessen Dietmar Beiersdorfer mit der Doppelfunktion des Vorstandsvorsitzenden und Sportdirektors betraut.

Mäzen und Anteilseigner Klaus-Michael Kühne spendierte mal wieder ein paar Millionen, brachte im Gegenzug aber mit Reiner Calmund und dem Spielerberater Volker Struth zwei seiner Gefolgsleute in Stellung, zusätzlich zum ohnehin schon als Aufsichtsratschef fungierenden Karl Gernandt: Kühnes rechte Hand.

Die Symptome bekämpft, nicht die Ursachen

Diese Massnahmen wirken im Rückblick wie überdimensionierte Pflaster, die man über klaffende Wunden geklebt hat. Die Symptome wurden oberflächlich bekämpft, die Ursachen einfach verdeckt und verschleiert. In der vagen Hoffnung, dass sich schon alles irgendwie bessern würde. Vier Monate später ist der HSV ins reinste Chaos versunken.

Beiersdorfer wirkt in seinen Aussagen konfus und ziellos, verstrickt sich in Widersprüche und gibt bei der Suche nach einem Knäbel-Nachfolger, der nun plötzlich mitten in der Saison die Trendwende herbeiführen soll, wie ein Amateur. Sven Mislintat, Horst Heldt, Jens Todt und auch Nico-Jan Hoogma haben sich von der Kandidatenliste verabschiedet - und Hoogma ist nicht der Erste, der sich über das Geschäftsgebaren der Hamburger Verantwortlichen auch öffentlich echauffiert.

Und immer wenn man denkt, es könnte kaum peinlicher werden, legt der HSV noch einen drauf: Am Wochenende sagte auch Christian Hochstätter als neuer Sportdirektor ab. Dieses Mal war die Ablösesumme das Problem. Es ist das nächste Kapitel der Verfehlungen im Norden.

"Erwartungshaltung war nicht angemessen"

Dass Hochstätters Verpflichtung am Geld scheiterte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn: Die Hamburger haben vor der Saison den Geldbeutel ganz weit geöffnet - nur ist davon auf dem Feld nichts zu sehen.

Mal wieder wurde vermeintlich viel Qualität eingekauft, aber offenbar weniger darauf geachtet, ob die Spielertypen charakterlich auch ins ohnehin schon wackelige Gefüge passen. Ein paar Anrufe in Stuttgart hätten etwa genügt um zu erfahren, wie sich Rekordtransfer Filip Kostic in Drucksituationen verhält, wie er mit Negativerlebnissen umgeht oder die Interaktion mit den Teamkollegen sucht.

Kostic hat ganz wunderbare fussballerische Fähigkeiten, wie sie nur wenige in der Bundesliga haben. Aber auf anderen Ebenen eben auch genug Defizite. Alen Halilovic ist ein ähnlicher Fall. Aber beide waren eben auch Prestigeobjekte: Kostic wurde dem VfL Wolfsburg weggeschnappt, Halilovic vom grossen FC Barcelona nach Hamburg geholt.

"Die Erwartungshaltung vor der Saison war nicht angemessen auf die Realität. Die Träumerei muss aufhören, es ist Existenzkampf", sagte Trainer Markus Gisdol nach dem Dortmund-Spiel. Er muss nun mit einem völlig schief gebauten Kader zurechtkommen und mit Spielern, die seit Jahren im Klub sind und die Leistungsstandards sukzessive nach unten geschraubt haben. Die in der Wohlfühloase gutes Geld kassieren, ohne für ihre sportlichen Nichtleistungen sanktioniert zu werden.

Im Gegenteil: Auch unter Gisdol spielen wieder jene Spieler, die den Karren erst in den Dreck gestossen haben. Und blockieren damit die wenigen hoffnungsvollen Talente.

Beiersdorfer wird weiter protegiert

Beiersdorfer hat das alles zu verantworten. Gehen muss er deswegen aber nicht. "Es macht keinen Sinn, den Kapitän von Bord zu schicken im Sturm, wenn man den Eindruck hat, das Schiff läuft nicht mehr richtig. Man muss sich um das Schiff kümmern - und genau das machen Didi und ich jetzt", sagt Gernandt. Der Aufsichtsratsboss brauchte Beiersdorfer vor zwei Jahren als Gesicht für die Ausgliederung, um die vermeintlich einzig brauchbare Lösung durchzuboxen, diesen Verein vor dem Ruin zu rettet.

Sein Schicksal ist also unmittelbar verbunden mit dem Beiersdorfers. Also bleibt der im Amt. Andernfalls würde ja schon wieder eine Abfindung fällig. Bruno Labbadia lässt grüssen. Auch Gisdol steht nach sechs Wochen schon wieder in der Kritik und momentan spricht nicht vieles dafür, dass Gisdol das Saisonende noch als HSV-Trainer erleben darf.

Volker Struth, der Spielerberater, hat sich mittlerweile aus dem Staub gemacht. Er will offenbar nicht weiter mit dem in Verbindung gebracht werden, was da in Hamburg passiert.

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