Die Bayern holen überraschend Hasan Salihamidzic als neuen Sportdirektor. Ist das jetzt ein genialer Coup - oder doch nur das Eingeständnis, dass die 1A-Lösung derzeit nicht zu bekommen ist?
Hasan Salihamidzic heisst die Lösung des FC Bayern auf die dringende Frage nach der Besetzung des vakanten Sportdirektorenpostens.
Das ist, gelinde gesagt, eine sehr verblüffende Personalentscheidung der Bayern. Aber auch eine, die die Münchener in diesen Zeiten auch treffend beschreibt.
Der Rekordmeister will ja überall präsent sein, so global wie möglich operieren und gleichzeitig auch die Basis zu Hause im bayerischen Umland nicht vergessen.
Dieser Spagat ist eine grosse Herausforderung, mit
Rummenigge ist der Vertreter einer forcierten Internationalisierung, als Chef der European Club Association quasi immer am Puls der Zeit.
Hoeness der Mann für die Bierzelte in der bayerischen Provinz, der Hansdampf und ab und an auch immer noch der Lautsprecher.
Eher Teammanager als Vorstand
Jetzt haben die Bayern in gewisser Weise das Beste aus Rummenigge und Hoeness in einer Person vereint.
Und doch hat er an der Basis ein tolles Standing, war Publikumsliebling, ein Spieler fürs Volk. Kein anderer ausländischer Spieler hat mehr Spiele für die Bayern absolviert als "Brazzo".
Aber das allein kann als Referenz für den Posten des Sportdirektors bei den Bayern kaum reichen. Oder?
Die Entscheidung für Salihamidzic zeigt jedenfalls, dass die Bayern eher eine Art Teammanager gesucht haben, denn einen Vorstand.
Das "Bürschchen", wie "Brazzo" übersetzt heisst, soll nah dran sein an der Mannschaft, ein wenig Motivator und Kummerkasten. Einer, der gute Laune verbreitet und das Mia san Mia wieder aggressiver vorlebt. So in etwa drückte es Hoeness aus. Was im Umkehrschluss die Frage zulässt: Wurden diese Attribute zuletzt nicht mehr so gepflegt?
Keine Erfahrung als Trainer
Rummenigge und Hoeness jedenfalls haben sich einen Mitstreiter geholt, der für die Granden des Klubs leichter zu kontrollieren sein dürfte als die 1A-Lösung
Salihamidzic hat keinerlei Erfahrung auf seinem neuen Posten, zuletzt war er als einer von mehreren Markenbotschaftern für die Bayern in der Welt unterwegs.
Nach seinem Karriereende hatte er zudem einige Auftritte als TV-Experte. Er hat aber keine Erfahrung in der Jugendarbeit oder gar als Trainer.
So einen gab es bei den Bayern schon mal, aus Christian Nerlinger wurde schnell der „Lehrlinger“ und nach ein paar Jahren war der Job auch wieder zu vergeben.
Kein Platz (mehr) für Querdenker
Der FC Bayern war auch deshalb jahrzehntelang so überragend erfolgreich, weil er sich nie mit dem Zweitbesten zufrieden geben wollte.
In den letzten Monaten scheint es an der Säbener Strasse mehr um Heimeligkeit zu gehen als um eine gesunde Selbstregulierung und auch Selbstkritik. Die nervenden Geister der Vergangenheit sind alle nicht mehr da.
Kein
Die Bayern scheinen mehr denn je unter sich, der Klub vertraut auf neuralgischen Stellen Personen mit Stallgeruch und einer gelebten Empathie für den Klub.
Dienstleister wie Guardiola oder Sammer, die irgendwie zwar dabei, aber nie so richtig mittendrin schienen, sind derzeit kaum noch gefragt.
Der Trainer gilt als Spielerversteher, der neue Chef des Nachwuchsleistungszentrums ist zwar schon 63 Jahre alt, aber eben auch eine Ikone und ein guter Freund von Hoeness.
Carlo Ancelotti und Hermann Gerland sind ganz sicher exzellente Fachkräfte - aber auf Augenhöhe mit Rummenigge oder Hoeness agieren sie nicht. Ebenso wenig wie Willy Sagnol, auch so ein Ehemaliger, der als Co-Trainer jetzt plötzlich wieder zurück ist.
Das Amt wurde verwässert
Insofern passt die Personalie Salihamidzic ganz gut. Beim Bosnier, der mittlerweile auch den deutschen Pass besitzt, wissen die Bosse, was sie bekommen. Ganz sicher wird sich Brazzo zerreissen in seinem neuen Job, den man sich für ihn noch so gar nicht vorstellen kann.
Aber die Bayern haben mit ihrem monatelangen Hickhack in dieser Debatte, mit dem unglücklichen werben um Lahm und Gladbachs Max Eberl, den Posten des Sportdirektors selbst downgegraded, wie es Rummenigge wohl ausdrücken würde.
Es musste ein Kandidat gefunden werden, der aber mit den Kompetenzen und Befugnissen, die diese Stelle bei den Bayern einst hatte, nicht mehr viel anfangen kann.
„Es wird keine Vertragsverhandlungen geben, bei denen Hasan Salihamidzic nicht mit am Tisch sitzt“, sagte Hoeness zwar. Und trotzdem dürfte am Ende in der Entscheidungsfindung das Wort anderer gehört werden: Das von Rummenigge und Hoeness und von Kaderplaner Michael Reschke.
Dafür hat sich das Anforderungsprofil in den letzten Wochen offenbar zu sehr verändert.
Zwischen Lahm, der sich bereits zu seiner aktiven Zeit nachdrücklich Gedanken zur strategischen Ausrichtung des Klubs gemacht haben dürfte oder Eberl, der in Gladbach seit fast einem Jahrzehnt einen tollen Job macht und der jetzigen Lösung Salihamidzic liegen jedenfalls Welten.
Platzhalter für Lahm?
Immerhin weiss der Neue um die Abläufe im Klub und er hat Biss und Durchsetzungsvermögen. Schon als Spieler wurde Salihamidzic gerne unterschätzt - und am Ende holte er mit den Bayern jeden erdenklichen Titel.
Hasan Salihamidzic dürfte das Scharnier werden zwischen Mannschaft und Vorstand beziehungsweise Präsidium. Und zwischen der Mannschaft und den Medien. Eine gute Seele des Klubs.
Einer, der nach den Spielen in der Mixed Zone auch mal wieder stehen bleibt und mit den Journalisten regelmässig spricht, vielleicht auch mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudert. Seit Sammers Abschied war diese nicht unwichtige Aufgabe offen.
Vielleicht wäre die Bezeichnung "Teammanager" die bessere gewesen. Aber gesucht wurde nun einmal nach einem Sportdirektor.
So oder so bleibt die Vermutung, dass Rummenigge und Hoeness mit einer starken, womöglich auch kostspieligen Lösung den Weg für eine spätere Rückkehr von Lahm in den Klub nicht blockieren wollten.
Der soll offenbar immer noch der ganz grosse, neue Mann bei den Bayern werden. Nicht als Sportdirektor - sondern dann gleich als Sportvorstand.
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