Yann Sommer, Torwart von Borussia Mönchengladbach, wird seit Tagen von den eigenen Fans aufs Übelste beschimpft. Solche Attacken aus den eigenen Reihen sind im Fussball zwar eine Seltenheit. Doch generell sind gerade Torhüter vor den Fankurven mehr als die Feldspieler Anfeindungen ausgesetzt, wie Ex-Profi-Keeper Martin Pieckenhagen im Interview bestätigt.
Der aktuelle Fall von Yann Sommer bei Borussia Mönchengladbach ist speziell - das weiss auch Martin Pieckenhagen.
Der ehemalige Profi stand unter anderem bei Hansa Rostock, dem Hamburger SV und Union Berlin im Tor. Pieckenhagen sei selbst zwar "nie von den eigenen Fans attackiert" worden, kennt dafür aber den Hass, dem sich Torhüter in ihrem eingegrenzten Aktionsradius vor den Fankurven kaum entziehen können.
Herr Pieckenhagen, Yann Sommer sieht sich aktuell in Gladbach auch während des Spiels Anfeindungen der eigenen Fans ausgesetzt. Wie sehr bekommt man als Torwart solche Beleidigungen auf dem Platz mit?
Martin Pieckenhagen: Je ruhiger ein Spiel verläuft und je weniger Zuschauer da sind, desto mehr bekommt man so etwas mit. Je voller aber das Stadion ist, umso grösser ist die allgemeine Lautstärke - und dadurch beeinflusst es einen weniger. Als Torwart hat man eben einfach den Nachteil, dass man relativ viel Ruhe im Spiel hat. Dadurch bekommt man natürlich das eine oder andere mehr mit - gerade, wenn es hinter dem eigenen Tor passiert.
Wie sind Sie mit solchen Angriffen umgegangen?
Meistens sind es ja die gegnerischen Fans, die versuchen, dich verbal platt zu machen. Das war für mich eigentlich nur ein Zeichen dafür, dass da grosser Respekt vorherrscht und dass die gegnerischen Fans Angst haben, dass du einen guten Job machst. Sie versuchen deshalb, dich zu beeinflussen. Wenn das unter die Gürtellinie geht und aus der eigenen Fangruppe kommt, muss man natürlich das Gespräch suchen. Da ist der Verein gefordert, den eigenen Spieler zu schützen.
Wird durch solche Angriffe die eigene Leistung dann auch tatsächlich beeinträchtigt?
Den Fall, dass es wirklich unter die Gürtellinie ging und persönlich wurde, den hatte ich selber nicht. Bei mir haben sich Beschimpfungen und dergleichen eigentlich immer auf das Sportliche beschränkt. Wenn die Negativität sich darauf bezieht, dann motiviert das eigentlich. Allerdings haben mich auch nie die eigenen Fans attackiert. Das ist schon ein Sonderfall, den ich auch nicht ganz nachvollziehen kann.
Gegnerische Anfeindungen konnten für Sie also auch einen positiven Effekt haben?
Ja. Es ist ja so, dass die gegnerischen Fans eine Halbzeit hinter dem eigenen Tor stehen. Wenn du auf dem Platz stehst und wirst dann extrem aus der gegnerischen Kurve attackiert, hat mich das angespornt. Die Fans sind hasserfüllt, weil du ein paar Dinger gut gehalten hast oder eben besonders engagiert bist für die eigene Mannschaft. Für mich ist das immer eine Motivation gewesen, noch besser zu werden und auf keinen Fall ein Tor reinzulassen.
Gab es Fälle, in denen Sie dieser Hass auch nach dem Spiel noch beschäftigt hat?
Nein. Als Sportler bist du ja auch der Öffentlichkeit ein Stück weit ausgesetzt. Aber du wirst auch dafür bezahlt, dass du da öffentlich attackiert wirst. Das ist aufgrund der Sozialen Medien heute natürlich noch viel extremer, als es zu meiner Zeit war. Zu einem gewissen Grad ist es also "Schmerzensgeld", das du als Fussballer bekommst, da du halt so öffentlich präsent bist und attackiert werden kannst.
Gab es auch zu Ihrer Zeit in solchen Fällen psychologische Betreuung für die Spieler?
Ich gehöre zu einer anderen Generation, da gab es sowas nicht. Aber seit dem Suizid von Robert (Robert Enke, Anm. d. Red.) ist das natürlich ein Thema. Grundsätzlich finde ich, dass man das Problem mit den involvierten Parteien lösen muss, wenn man sich den Fall in Gladbach anschaut. Hier liegt ja keine psychologische Geschichte vor, sondern es wird Druck auf Yann Sommer von der eigenen Fangruppe aufgebaut. Da kann ein Psychologe relativ wenig tun. Da ist für mich der eigene Verein in der Pflicht, das zu lösen. Da muss Gladbach etwas tun. Ich bin mir sicher, dass sie auch agieren werden.
Was war in diesem Kontext persönlich Ihr schlimmstes Erlebnis?
Das ist schon ein bisschen länger her. Wir sind damals mit dem 1. FC Union Berlin in die zweite Liga aufgestiegen, sind dann aber zwangsabgestiegen und ich bin aus sportlichen Gründen zu Tennis Borussia Berlin gewechselt - einen argen Konkurrenzverein. Da habe ich persönliche Bedrohungen erhalten. Auch privat am Telefon. Aber man muss auch versuchen, die Leute ein Stück weit zu verstehen. Die Fans investieren ihr ganzes Herzblut in den Verein und sind dementsprechend enttäuscht und brauchen ein Ventil. Dieses Ventil sind dann leider oftmals die Spieler oder Angehörige des Vereins. Dafür gibt es ja genügend Beispiele, wie jüngst die Kreuze auf dem Trainingsgelände des HSV. Wichtig ist immer, dass man die Kommunikation aufrecht hält und versucht, mit den Leuten zu reden, ihre Probleme und ihre Sorgen kennt. Dann kann man viele Sachen eher entschärfen.
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