Künstliche Intelligenz erobert inzwischen auch den Fussball. Ein Start-up hilft mit der KI-Plattform Plaier bei der Spielersuche. Das System ist komplex, die Erfolgsquote ist vielversprechend. Sind Scouts und Sportdirektoren bald überflüssig? Wir haben uns mit Mitgründer Jan Wendt unterhalten.
Ein fiktiver Bundesligist steht mit dem Rücken zur Wand. Die vergangene Saison hatte ihren Preis, die Erfolge weckten Begehrlichkeiten und zwei Leistungsträger musste man ziehen lassen. Die Lage ist kompliziert, denn bei der Neubesetzung will der Klub keinen Fehler machen, sondern die Wahrscheinlichkeit für einen adäquaten Ersatz erhöhen und gleichzeitig das Risiko eines Fehlkaufs minimieren.
In diesem Fall kann Künstliche Intelligenz den Klub inzwischen tatkräftig unterstützen: Die KI ermittelt eine Liste mit den besten, verfügbaren Spielern für die eigenen Bedürfnisse. Der Verein muss sich dann "nur" noch entscheiden. Die Online-Plattform Plaier bietet solche Lösungen an.
"Sie müssen sich unser System so vorstellen wie ein Fisch Sonar", erklärt Mitgründer Jan Wendt im Gespräch mit unserer Redaktion. "Der Prozess der Spielerverpflichtung wird sich auf absehbare Zeit nicht ändern. Genauso wie der Kutter seine Netze auslegt und genauso fischt wie in den letzten 30 Jahren. Das Sonar sagt ihm nun aber, wo die Fische sind, nach denen er fischen muss." Der Bundesligist fischt also nicht mehr im Trüben, sondern bekommt sofort handfeste Ergebnisse geliefert, mit denen er arbeiten kann. Was früher Wochen dauerte, geht heute in Stunden.
Klar: Der Klub muss weiterhin den Spieler beurteilen, die menschliche Komponente, ob er in die Mannschaft passt, ob er zum Trainer passt, er mit ihm arbeiten kann. Und auch aus sportlicher Sicht werden die Spieler weiter von Menschen beobachtet und in der Tiefe analysiert. "Doch alle die Spieler, die er sich nach der KI-Analyse anschaut, die werden den Verein garantiert stärker machen", sagt Wendt.
Drei Szenarien für die KI
Drei Szenarien gibt es für die KI-Plattform: Der Verein hat einen Spieler auf dem Schirm, beobachtet ihn und findet ihn gut. Dann wird die KI befragt, ob der Spieler den Verein tatsächlich stärker macht, sowohl individuell als auch im Spielsystem. Oder aber der Klub sucht einen Spieler auf einer bestimmten Position, dabei funktioniert die KI wie eine Suchmaschine und spuckt eine Liste aus, die der Verein abarbeitet. Oder aber ein Spieler hat sich verletzt oder will den Verein verlassen, und der Verein sucht gleichwertigen Ersatz. Dann findet das System einen Spieler, der diesem Spieler am meisten entspricht. Ein idealer 1:1-Ersatz sozusagen.
Konkret wird durch die KI eine Echtzeitanalyse des Spielsystems und Kaders vorgenommen, die Ergebnisse werden anschliessend mit Daten zu über 200.000 Spielern weltweit verknüpft, die im System erfasst sind und gemäss ihren Fähigkeiten in Relation zum suchenden Verein gewichtet werden. Die gegnerischen Vereine sowie ihre Spielweisen und Kader werden bei dieser Gewichtung berücksichtigt. Die Plaier-Macher um Wendt, Tim Schröder und Johnny Wilkinson versprechen im für die KI idealen Altersfenster der Spieler zwischen 22 und 26 Jahren eine Erfolgs-Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent.
Die Plattform kann auch in die Zukunft schauen, gibt eine Sechs-Jahres-Prognose ab. Soll heissen: Bei einem 19-Jährigen erfährt man, was er bis 25 zu leisten imstande ist. "Wir zeigen eine relativ genaue Leistungskurve auf. Wir sagen, wie lange sie ansteigt und wann sie abfällt. Und wir sagen, wie steil sie ansteigt und wie steil sie abfällt, wenn sie abfällt in den sechs Jahren", sagt Wendt. Sie könnte also zum Beispiel sagen, wie wahrscheinlich es ist, dass Jamal Musiala in den kommenden Jahren ein neuer Lionel Messi wird oder "nur" ein überdurchschnittlicher Bundesliga-Spieler. Oder gar in der Versenkung verschwindet.
"Es geht für den Verein darum, die mathematische Trefferquote dramatisch zu verbessern", betont Wendt. Heisst: Dass der Verein eine Entscheidungsgrundlage hat, auf der er Transferentscheidungen trifft, "bei denen er idealerweise zu 90 Prozent richtig liegt und nicht mehr wie jetzt zu 30 Prozent". Dabei darf nicht vergessen werden, dass die KI statistisch in einem von zehn Fällen falsch liegt. Doch das Spielfeld der KI, um die Erfolgsquote der Klubs zu erhöhen, ist breit.
Zu den Prognosefähigkeiten gehören zum Beispiel die gespielten Minuten pro Saison. Oder der Einfluss auf die Punkte am Ende der Saison. Wann ein Spieler Tore schiesst, also die wichtigen beim Stand von 0:0 oder die eher unwichtigen. Der wichtigste Indikator für die Vereine ist der Einfluss auf die Tordifferenz am Ende der Saison, verrät Wendt.
KI berechnet die optimalen Aufstellungen
Ein weiterer zentraler Einsatzbereich der Plattform sind ideale Startaufstellungen, die die KI liefern kann. "Dabei kommen wir vor einem Spiel auf ungefähr 20.000 Varianten. Davon liefern wir dem Trainer 20. Die KI erstellt defensivere und offensivere Aufstellungen und sagt dann, wie viel Auswirkungen das auf die Tordifferenz hat", führt Wendt aus. Vorgenommen werden von der KI Milliarden Rechenoperationen; fehleranfällig ist sie dann, wenn Daten, mit der sie gefüttert wird, nicht stimmen. Was durchaus vorkommen kann, wogegen sich das Unternehmen aber so gut es geht technisch absichert.
Funfact: Die ursprüngliche KI wurde gar nicht für den Fussball entwickelt. Das aktuelle Projekt war demnach reiner Zufall. Die KI hinter Plaier wird zum Beispiel in Flugzeugen eingesetzt, um kritische Flugsituationen vorherzusagen. "Der Fussball war nur ein Trainingsfeld für uns, weil man Fussballdaten sehr einfach kaufen kann. Und eine KI braucht Daten, um zu trainieren. Und die Fussballdaten sind über einen längeren Zeitraum in einer guten Qualität verfügbar", sagt Wendt. Als die Gründer die Ergebnisse gesehen haben, war die Plaier-Idee geboren.
Verhaltene Resonanz in der Bundesliga
Seit März ist die Plattform auf dem Markt. Mit 32 Vereinen auf der Welt arbeitet man inzwischen bereits zusammen, KI-süchtig ist vor allem der US-Markt, auch in Skandinavien ist Plaier erfolgreich. Die Resonanz in der Bundesliga ist unterschiedlich, teilweise sehr zurückhaltend. "Es gibt Vereine, die schon immer sehr, sehr stark auf Daten gesetzt haben. Und es gibt Vereine, die sich da ein bisschen bedeckter halten", so Wendt. Im Moment arbeiten drei Bundesligisten und fünf Zweitligisten mit Plaier zusammen.
Welche Vereine das sind, erkenne man an der Tabelle, sagt Wendt, der aber keine Namen nennt: "Wir haben mit einem Verein in der Entwicklung zusammengearbeitet, und der hat sich sehr gut entwickelt." Mit einem Bundesligisten arbeitet das Unternehmen täglich eng zusammen, der Klub wird zum Beispiel bei den Aufstellungen unterstützt. Auch da sehe man den Erfolg, so Wendt. "Ich glaube, dass wir einem Verein Dinge aufzeigen können, von denen hätte er vor zwei Jahren nicht geglaubt, dass es geht", sagt Wendt, doch die Bereitschaft, KI einzusetzen, befinde sich noch in der Anfangsphase: "Da ist noch viel Luft nach oben."
Lesen Sie auch:
- Bayern, BVB, RB und Bayern: Die Bundesliga-Favoriten zum Saisonstart im Titelcheck
- Ex-Verteidiger Kohler zu BVB: "Zweiter Platz ist kein Erfolg"
- Ex-Schiri Urs Meier: "Das erwarte ich von einem Top-Schiedsrichter"
Wo geht es hin mit künstlicher Intelligenz?
Doch das dürfte sich relativ schnell ändern, glaubt Wendt. Das Thema künstliche Intelligenz nimmt in allen möglichen Lebensbereichen gerade erst Fahrt auf, auch im Fussball. Neben "Plaier" gibt es weitere KI-Plattformen, die alleine das Scouting unterstützen, mit anderen Ansätzen wie wie "AiSCOUT" oder "Scoutastic", letztere arbeitet mit dem Deutschen Fussball-Bund (DFB) zusammen.
Wirklich absehbar sind die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz allerdings noch nicht, auch im Fussball nicht. "Die technische Entwicklung wird rasant sein, das betrifft nicht nur den Fussball, sondern alle Industrien, die von künstlicher Intelligenz beeinflussbar sind", weiss Wendt. Trotzdem glaube er nicht, dass sich der Fussball grundsätzlich verändern werde. "Aber ich glaube, dass KI einen riesigen Einfluss auf das Thema Scouting hat und darauf, wie Trainer datenanalytisch an den Sport herangehen." Als technisches Hilfsmittel, ohne dabei den Faktor Mensch komplett zu ersetzen. Zumindest vorerst.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.