Niklas Süle wird nach der Schock-Diagnose Kreuzbandriss nicht nur dem FC Bayern bitterlich fehlen. Trainer Niko Kovac hat zwar mehrere Alternativen, aber keine Ideallösung greifbar. Dasselbe gilt für Bundestrainer Joachim Löw. Eine Analyse.

Mehr aktuelle News zur Bundesliga finden Sie hier

Schon lange wird hierzulande darüber gefachsimpelt, dass es keinen echten Neuner mehr gebe, keinen Knipser für die Box.

Nach der schlimmen Verletzung von Niklas Süle muss der momentan arg nervöse deutsche Fussball ein zusätzliches Problem lösen. Wer soll den Abwehrchef beim FC Bayern und im DFB-Team nach dessen Kreuzbandriss ersetzen? Hat Deutschland noch Innenverteidiger vom Prädikat Weltklasse? Was sind die Alternativen zu Süle?

FC Bayern hat mehrere Alternativen zu Süle

Beim FC Bayern gibt es mehrere Alternativen, zumindest, wenn man den Kader des Rekordmeisters betrachtet. Jerome Boateng, Benjamin Pavard, Lucas Hernández und Lars Lukas Mai haben allesamt in ihrem Jobprofil die Position des Innenverteidigers stehen. Doch sie alle haben mit Problemen zu kämpfen - und vereinzelt auch mit Skeptikern.

Was die beiden französischen Weltmeister Pavard und Hernández angeht, äusserte schon vor der Saison Landsmann und Ex-Bayer Bixente Lizerazu (1997 - 2004, 2005/06) Bedenken. "Beide können beide Positionen spielen, durchaus. Doch ich sehe sie zuallererst in der Aussenverteidigung", meinte Lizerazu im Gespräch mit dem "Kicker". Zu Hernández sagte er sogar: "Ich weiss nicht, ob er innen internationale Topklasse darstellt."

Zudem ist der 23-Jährige mit 1,80 Meter vergleichsweise klein. Ein Vergleich: Süle ist ein Hüne und 1,95 Meter gross. Pavard wiederum spielt bei Kovac immer, hatte aber auch immer dann Probleme, wenn es bei den Kollegen nicht lief. Zum Beispiel in der ersten Halbzeit bei Tottenham Hotspur. Da hätte es auch 1:3 aus Sicht der Bayern stehen können. Der Kantersieg gegen Tottenham (7:2) übertünchte teils gravierende Unsicherheiten in der Abwehr.

FC Bayern: Pavard ist noch kein Leader

Kurzum: Ein Leader ist der 23-jährige Ex-Stuttgarter in München noch lange nicht. Youngster Mai (19) verlängerte letzte Woche zwar seinen Vertrag an der Säbener Strasse bis 2022, samt wohlwollender Worte von Sportdirektor Hasan Salihamidzic ("Lukas ist ein guter Junge und eines unserer grössten Talente"). Doch unter Kovac hat der Sachse noch nicht eine Minute in der Bundesliga gespielt.

Bleibt Weltmeister Jerome Boateng (31). Der Routinier sei ein "Fremdkörper", meinte Präsident Uli Hoeness auf der Double-Feier Ende Mai. Ein kolportierter Wechsel zu Juventus Turin platzte dennoch. Boateng arbeitete sich wieder heran, und Kovac bekräftigte, dass der Berliner weiter eine Option sei.

Seine Leistungen im Supercup gegen den BVB (0:2), gegen Tottenham (7:2) und zuletzt gegen 1899 Hoffenheim (1:2) hinterliessen jedoch den Eindruck, dass er nicht mehr der (Handlungs-)Schnellste ist und sich dazu noch bei überfallartigem Umschaltspiel leicht überrumpeln lässt. Boateng hat seine einstmals unbestrittene Weltklasse eingebüsst.

Jerome Boateng will eigentlich gehen

Der Beraterwechsel von Ex-Bayer Christian Nerlinger zum gewieften Pini Zahavi dokumentierte zudem, dass Boateng den Rekordmeister wohl lieber heute als morgen verlassen würde. Keine guten Voraussetzungen für einen potentiellen Problemlöser. Setzt Kovac nun auf David Alaba (27)?

"Obwohl er dort nicht oft zum Einsatz kommt, bringt er alle Qualitäten dafür mit", meinte Ex-Coach Carlo Ancelotti einst im Gespräch mit "ESPN" und schwärmte: "Er ist ein aussergewöhnlicher Innenverteidiger. Er beherrscht das passive Verteidigen, wo man die Position halten muss, genauso wie das aktive Verteidigen, bei dem die Spieler je nach Situation aus der Abwehr rausrücken."

Zuvor hatte sein Vorgänger Pep Guardiola den Wiener wiederholt in der Abwehrmitte eingesetzt, und in seiner gewohnt euphorischen Art erklärt: "Er kann ohne Zweifel einer der besten Innenverteidiger der Welt werden."

Löw beklagt Süle-Ausfall

Einen Alaba hat Joachim Löw nicht. Aber ebenfalls die Herausforderung, Süle zu ersetzen. "Sein Ausfall ist auch für uns schmerzlich und beeinträchtigt die Entwicklung unserer im Umbruch befindlichen jungen Mannschaft", erklärte der Bundestrainer zum Verletzungsschock. Süle sei schliesslich das "Gesicht der jungen Spieler-Generation, der wir im Rahmen des Neuaufbaus viel Raum geben, er war ein Fixpunkt in unseren Planungen."

Mehr noch: Die Abwehrmitte, in der Löw einst die Qual der Wahl hatte, ist für den Schwaben mittlerweile zur Problemposition geworden. Antonio Rüdiger (26, FC Chelsea) hat wegen einer hartnäckigen Leistenverletzung in dieser Saison noch kein Premier-League-Spiel gemacht, der hoch gehandelte Thilo Kehrer (23, PSG) ist wegen einer Fussverletzung seit Mitte August ausser Gefecht gesetzt.

Und den Herthaner Niklas Stark (24) nahm Löw zwar immer mit, schenkte ihm aber lange kein Vertrauen. Gegen Argentinien (2:2) musste er erkrankt passen, und gegen Estland (3:0) konnte er sein Länderspieldebüt nicht geben, weil er sich an einem Tisch im Mannschaftsquartier gestossen und dabei eine Risswunde an der Wade zugezogen hatte.

Nach Süle-Schock: Rufe nach Hummels werden laut

Es ist symptomatisch für die Schwierigkeiten hinten zentral. Emre Can (25, Juventus Turin) bot sich als Alternative an, erwies sich aber gegen Estland zu ungestüm, flog nach gerade mal 14 Minuten mit der Roten Karte vom Platz. Längst werden die Rufe nach einer Rückholaktion von Mats Hummels laut, der Weltmeister hatte beim Spiel gegen Argentinien sogar von sich aus beim DFB-Team in Dortmund vorbeigeschaut.

Laut einer "Kicker"-Umfrage wünschen sich mehr als 77 Prozent der Befragten (Stand Sonntagabend, 20. Oktober), dass Löw den 30-jährigen BVB-Star wieder nominiert. Dieser hatte kürzlich durchklingen lassen, dass er gerne wieder für die Nationalmannschaft auflaufen würde.

Doch der Bundestrainer will - vorerst - stur an der Verjüngung der Nationalmannschaft festhalten. So kam Freiburgs Robin Koch im Freundschaftsspiel gegen Argentinien zu seinem Debüt. Der Süle-Schock erhöht den Druck. Denn neben dem Bayern-Star hat Deutschland aktuell nur einen Innenverteidiger vom Format Weltklasse: Mats Hummels.

Verwendete Quellen:

  • t-online.de: Was bedeutet Süles Verletzung für die EM 2020?
  • kicker.de: Löw über Süle-Ausfall: "Wir werden überhaupt keinen Druck aufbauen"
  • kicker.de: "Pavard muss nicht nur einen Schritt machen, sondern zwei"
  • transfermarkt.de: Guardiola: Alaba kann bester Innenverteidiger der Welt werden
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.