"Das Herz von St. Pauli" gehört zum Millerntor wie der Totenkopf. Oder gehörte? Denn der Song hat offenbar eine NS-Vergangenheit und könnte nun vor dem Aus stehen.
Ausverkauftes Millerntor, die Fans können es kaum erwarten, gleich geht es los. "Das Herz von St. Pauli, das ist meine Heimat, in Hamburg, da bin ich zuhaus", dröhnt es aus den Boxen. Die Zuschauer schunkeln und singen mit. Der Song ist Kult auf dem Kiez – doch die Hymne, die beim Hamburger Stadtteilklub seit vielen Jahren als festes Ritual zum Stadionerlebnis gehört, steht wegen ihrer NS-Vergangenheit vor dem Aus.
Beim FC St. Pauli, der für Vielfalt und Toleranz steht, der sich vehement gegen Rechts positioniert und für eine bunte Gesellschaft engagiert, sind sie alarmiert. Für Freitag, also am Tag vor dem Heimspiel gegen den SC Freiburg (15:30 Uhr/Sky), werde man "voraussichtlich" über den weiteren Umgang mit dem "Herz von St. Pauli" informieren, hiess am Mittwoch seitens des Klubs. Die Anfragen stapeln sich, das Interesse am künftigen Umgang mit dem sensiblen Thema ist riesig.
St.-Pauli-Hymne: Umfassende Recherche ist Stein des Anstosses
Auslöser für die hitzigen Diskussionen, die inzwischen über die Anhängerschaft hinausgehen, ist eine umfassende Recherche des FC-St.-Pauli-Museums zur Entstehung des Liedes "Das Herz von St. Pauli". Konkret geht es um die Biographien des Interpreten (Hans Albers), des Komponisten (Michael Jary) und des Texters (Josef Ollig), deren Wirken das Museum in einem Podcast zur Geschichte des Klubs näher beleuchtet.
Vor allem Olligs Rolle als Soldat der Wehrmacht und Kriegsberichterstatter für die NS-Propaganda macht weiten Teilen der aktiven Fanszene schwer zu schaffen. Während einige die Meinung vertreten, dass St. Pauli Werk und Autor in diesem Fall trennen möge, weil man den Song längst positiv besetzt hat, fordern andere das abrupte Ende des musikalischen Rituals. Dass am Millerntor nicht die Version von Albers, sondern die rockige von "Phantastix & Elf" gespielt wird, kann den Ärger nicht ersticken.
"Wir erleben eine überwiegend differenzierte Diskussion über den Umgang mit dem Lied auf Basis einer fundierten Recherche", teilte der Klub dem "Hamburger Abendblatt" kürzlich mit: "Wir merken, wie wichtig vielen Fans das Lied ist, aber auch, wie verantwortungsvoll sie mit der Situation umgehen."
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit ist beim FC St. Pauli nicht neu. So sorgte in den 1990er Jahren etwa der Stadionname für hitzige Debatten. Die Arena trug zu Ehren des früheren Vereinspräsidenten jahrelang den Namen "Wilhelm-Koch-Stadion". Als dessen Vergangenheit als NSDAP-Mitglied aufgedeckt wurde, traf der Klub eine klare Entscheidung: 1998 wurde das Stadion umbenannt und heisst seitdem Millerntor-Stadion. (sid/bearbeitet von ska) © SID
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