Verletzungen, Formtiefs, fehlende Spielpraxis – eine Reihe von Problemen zieht sich wie ein roter Faden durch die Dortmunder Defensive.

Christopher Giogios
Eine Kolumne
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Wenn Lothar Matthäus etwas von sich gibt, hat das meist ein gewisses Gewicht. Gar nicht so selten liegt er mit seinen Einschätzungen allerdings relativ weit daneben. So prognostizierte er etwa im Mai einen baldigen Abschied von Lucien Favre und warf diesem auch gerne mal gravierende Fehler beim Coaching vor. Man könnte sagen, dass das Verhältnis von Borussia Dortmund zum deutschen Rekordnationalspieler ein wenig vorbelastet ist.

Lothar Matthäus und seine BVB-Kritik

Diese Beziehung wurde sicherlich nicht besser, als Matthäus nach dem 3:3-Unentschieden der DFB-Elf gegen die Türkei bei seiner Generalabrechnung Nico Schulz explizit hervorhob. Dieser sei Sinnbild für die Bankdrücker, die zwar unter Jogi Löw in der Nationalelf zum Einsatz kämen, jedoch nicht in ihren eigenen Vereinen. So sehr das im Stil daneben ist und Matthäus seinen Punkt auch sicherlich hätte machen können, ohne einzelne Namen herauszustellen: die Situation von Nico Schulz ist in der Tat keine einfache.

Nico Schulz: Hohe Erwartungen und grosse Ernüchterung

Im Sommer 2019 sah das noch völlig anders aus. Schulz, für stolze 25 Millionen Euro von der TSG Hoffenheim gekommen, war Teil der grossen Dortmunder Transferoffensive. Neben Schulz lotste man auch Julian Brandt, Thorgan Hazard und Mats Hummels ins Ruhrgebiet. Der 27-Jährige war frisch gebackener Nationalspieler, hatte eine gute Saison mit Hoffenheim absolviert und schien nun beim BVB als Teil eines stark verbesserten Kaders so richtig durchstarten zu können.

Die Realität sah deutlich ernüchternder aus: unter Favre geriet er schnell aufs Abstellgleis und kam in der Bundesliga ganze 14 Mal keine Minute zum Einsatz. Umso mehr erstaunte die Nachricht, dass der BVB erst kürzlich das Angebot von Manchester United ausschlug, Schulz gegen eine geringe Gebühr für ein Jahr auszuleihen und dessen komplette Bezüge zu übernehmen. Die Erklärung ist allerdings recht naheliegend: Dem BVB fehlt es schlicht und ergreifend an wirklichen Optionen in der Abwehr.

Die BVB-Defensive ist dünn besetzt – qualitativ wie quantitativ

Bereits im Zuge der Kaderplanung konnte man bemängeln, dass die Dortmunder hinten relativ dünn aufgestellt sind. Dies betrifft vor allem die Innenverteidigung, für die man nur drei gelernte Kräfte hat - Mats Hummels, Dan-Axel Zagadou und Manuel Akanji. Es kam, wie es kommen musste: Zagadou kämpft nach einer Knieverletzung seit Monaten um seine Rückkehr auf den Platz und Akanji fällt mitunter mit Unsicherheiten auf. Emre Can wird sich daher wohl dauerhaft mit Einsätzen in der Dreierkette anfreunden müssen, im defensiven Mittelfeld gibt es für ihn genügend Alternativen.

Auf den Aussenbahnen schien die Lage vor der Saison nicht so drastisch: mit Raphaël Guerreiro, Nico Schulz und Marcel Schmelzer auf links, sowie Thomas Meunier, Lukasz Piszczek, Felix Passlack und Mathieu Morey auf rechts ist man zumindest quantitativ gut besetzt. Wenn man allerdings genauer hinschaut, tun sich auch hier Lücken auf. Schmelzer, ein BVB-Urgestein, spielt sportlich nahezu keine Rolle und plagt sich mit langwierigen Verletzungen herum. Morey gilt als Nachwuchshoffnung, ist aber noch lange nicht bereit, um regelmässig aufzulaufen. Passlack entzückte mit seinem Tor gegen den SC Freiburg die Dortmunder Fans, kommt aber aus einem jahrelangen Formtief. Verlässliche Alternativen sind momentan eigentlich nur Meunier, Guerreiro und Routinier Piszczek.

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Dreier- oder Viererkette? Favre braucht kreative Lösungen

Nun fehlt Schulz zu allem Überfluss mit einem Muskelfaserriss, Akanji wird aufgrund seiner Corona-Infektion am Samstag gegen Hoffenheim vermutlich ebenfalls nicht zur Verfügung stehen. Can darf am Wochenende zwar ran, fehlt aber nächste Woche beim Champions-League-Auftakt bei Lazio Rom wegen einer Rot-Sperre aus der vergangenen Saison.

Favre wird in den kommenden Wochen also mitunter kreative Lösungen für die Defensive finden müssen. Das betrifft auch die alte Diskussion, ob die Borussen mit seiner favorisierten Viererkette, oder der bisher wesentlich erfolgreicheren Dreierkette spielen werden. Schulz wird nach seiner Genesung sicherlich zu Einsätzen kommen, das lässt die dünne Personaldecke gar nicht anders zu. Man darf ihm wünschen, dass er diese Chancen nutzt, um nicht mehr als Bankdrücker zur Nationalmannschaft zu fahren. Vielleicht ist dann auch Lothar Matthäus besänftigt.

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