Sie ist eine der Entdeckungen dieser Bundesliga-Saison: Mit der SGS Essen mischt die österreichische Nationalspielerin Lilli Purtscheller (20) in dieser Spielzeit Liga und DFB-Pokal auf.
Lilli Purtscheller musste schon früh in ihrer Karriere mit der vielleicht gefürchtetsten Verletzung im Fussball der Frauen umgehen, einem Kreuzbandriss. Davon liess sich die Flügelspielerin aber nicht zurückwerfen und sagt im Gegenteil sogar, diese Zeit habe sie mental wie körperlich vorangebracht.
Ähnlich kämpferisch zeigt sich die Essener Spielerin auch, wenn es um die anstehenden Duelle zwischen Deutschland und Österreich in der EM-Qualifikation geht, das erste Aufeinandertreffen gibt es am 5. April in Linz. Österreichs Nationalteam und die SGS Essen seien sich in einer Hinsicht sehr ähnlich, laut Purtscheller zeichne beide ein besonderer Teamgeist aus.
Frau Purtscheller, die Saison an sich verläuft für die SGS Essen sehr erfolgreich. Was denken Sie woran es liegt?
Es gibt viele Gründe. Wir verstehen uns extrem gut und, wenn man sich neben dem Platz gut versteht, harmoniert es auch auf dem Platz. Man sieht einfach, dass wir füreinander kämpfen und jede den Fehler der anderen ausbessern will. Das ist für mich die Hauptsache, dass wir ein sehr gutes Teamgefüge haben. Aber natürlich auch die vielen starken jungen Spielerinnen. Auch im Staff passt einfach alles. Markus Högner und Robert Augustin ergänzen sich perfekt als Trainer und Co-Trainer. Wir sind durch sie auch taktisch immer sehr gut eingestellt.
Wenn Sie das mit vorherigen Stationen vergleichen, würden Sie sagen, dass diese Situation gerade und das von Ihnen angesprochene Teamgefüge etwas Besonderes sind?
Ja. Es ist gerade schon wie eine zweite Familie. Ich kann nur von mir sprechen, aber ich glaube schon, es geht allen so. Ich bin ja eigentlich noch nicht so lange hier und wurde gleich richtig super aufgenommen. Jeder versteht sich mit jedem. Ich würde mit jeder Spielerin sofort einen Kaffee trinken gehen. Das kann man glaube ich nicht in jeder Mannschaft sagen. Deswegen finde ich es schon sehr besonders.
Wo Purtscheller in der Bundesliga der Frauen ganz vorne ist
Auf dem Platz hat sich Ihre Rolle zuletzt etwas verändert, Sie haben in der ersten Saisonhälfte hauptsächlich auf dem rechten Flügel gespielt, zuletzt auf der linken Seite. Was hat es damit auf sich?
Genau, ich habe die Saison rechts begonnen, seit dem Bayern-Spiel starten wir mit einem Dreieraufbau und Beke Sterner und ich sind die Aussenspielerinnen. Offensiv, also wenn wir den Ball haben, schieben wir nach vorne und wenn wir defensiv spielen, müssen wir zurück in die Fünferkette. Mir ist es egal, wo ich spiele. Hauptsache ich bekomme meine Spielzeit und es macht wie gesagt sehr viel Spass mit der Mannschaft zu spielen.
Laut der Daten von Opta sind Sie zurzeit in der Bundesliga der Frauen die Spielerin mit den meisten erfolgreichen Eins-gegen-Eins-Situationen. Wie kommt's? Gibt es ein Geheimrezept?
Das habe ich gar nicht gewusst! Hm, schwierig... sicher, man braucht auf jeden Fall gute technische Grundlagen. Aber das Wichtigste ist in solchen Situationen, dass man sich das zutraut. Ich probiere es sehr oft, aber es geht eben oft auch nicht auf. Deswegen ist das Wichtigste, wenn man beim ersten und zweiten Mal hängenbleibt, dass man es trotzdem ein drittes Mal versucht. Der Mut, Fehler zu machen, ist das Entscheidende.
Purtscheller: "Ich habe beim Einlaufen immer ein bisschen Gänsehaut!"
Die SGS Essen ist innerhalb der 1. Bundesliga aktuell der einzige Verein ohne Anbindung an einen Lizenzklub. Was bedeutet das für Sie?
Ich glaube, da sprechen jetzt viele drüber, weil wir so gute Leistungen bringen. Aber für uns zählt, was auf dem Platz passiert. Es schweisst zusammen, weil wir es den anderen noch mehr zeigen wollen, weil uns vor der Saison viele als Abstiegskandidat gesehen haben. Das motiviert dann noch mehr. Wir haben einfach Spass, Fussball zu spielen. Natürlich, das Finanzielle, die Infrastruktur ist in anderen Vereinen nochmal besser, aber vor allem als jungen Spielerin geht es darum, Spass am Fussball zu haben und Spielzeit zu sammeln.
Im Ligavergleich hat Essen einen ganz guten Zuschauerschnitt im Stadion an der Hafenstrasse und beim Pokalspiel in Leverkusen ist eine grössere Gruppe von Fans mitgereist. Bekommt man als Spielerin den Support mit, oder ist man zu sehr auf das Spiel fokussiert?
Als ich hierher gewechselt bin, haben Beke und viele andere gesagt: "Boah Lilli, freu dich auf das erste Heimspiel, das ist was Besonderes!" Ich dachte mir so, ja sicher wird es cool. Aber man muss es echt selbst erlebt haben. Ich habe beim Einlaufen immer ein bisschen Gänsehaut! (lacht) Wir haben zwar nicht so viele Fans wie beim Männerfussball, aber es sind trotzdem wahre Fans, die supporten uns einfach immer. Das ist wirklich grossartig. Aber im Spiel bekomme ich gar nichts mehr mit, also nur davor oder danach.
Als Sie im letzten Sommer zur SGS gewechselt sind, war eine Ihnen vertraute Person schon da. Sie spielen mit ihrer Teamkollegin Valentina Kröll schon seit der Jugend zusammen und sind immer zu denselben Verein gewechselt. War es Zufall, dass es bei dem Transfer wieder so gekommen ist? Und was bedeutet es, jemandem im Fussball so lange zu kennen?
Das ist was sehr Schönes! Vali wohnt auch gegenüber von mir (lacht)! Wir spielen seitdem wir zwölf oder dreizehn sind, zusammen Fussball und sind sogar in die gleiche Schulklasse gegangen. Fünf Jahre lang, dann zusammen zu Sturm Graz. Vali hat einen Monat vor mir in Essen unterschrieben. Natürlich redet man vorher miteinander, aber es ist jetzt nicht so, dass ich nicht in Essen wäre, wenn sie nicht auch hier wäre. Das auf keinen Fall. Trotzdem erleichtert es vieles und ich bin echt super froh, dass sie da ist. Essen ist wie gesagt ein sehr familiärer Verein, aber vor allem in der Anfangsphase war es gut, dass schon eine Bezugsperson da war.
Wenn wir auf Ihre Zeit bei Sturm Graz schauen, Sie sind dort Vizemeisterin geworden, mussten allerdings auch sehr früh in der Karriere einen Kreuzband- und Meniskusriss überstehen. Wie würden sie die Zeit im Nachhinein beschreiben?
Generell war die Zeit bei Sturm Graz sehr schön. Die Verletzung war sehr prägend, da geht jeder anders mit um. Ich bin ein sehr positiv eingestellter Mensch. Am Tag, als der Kreuzbandriss passiert ist, war ich natürlich schon traurig. Aber am nächsten Tag habe ich es als neue Herausforderung gesehen. Man kann daraus viel lernen. Das sage ich immer wieder, zum Beispiel zu Maike Berentzen, die sich jetzt leider bei uns auch das Kreuzband gerissen hat. In dem Moment kann man es nicht wahrhaben, aber im Nachhinein betrachtet hat mir das viel gegeben. Und wenn mir das nicht passiert wäre, weiss ich auch nicht, ob ich jetzt da wäre, wo ich bin. Mir hat es mental viel gebracht, aber auch körperlich. Man lernt den Körper besser kennen und athletisch lernt man auch viel dazu. Ich wünsche es natürlich niemandem, aber wenn das Schicksal eintritt, finde ich, kann man daraus auch etwas machen.
Und wie würden Sie die österreichische und die deutsche Liga miteinander vergleichen?
Der Vergleich ist sehr gross, in Österreich hat man zwei, drei, vielleicht vier Mannschaften, die guten Fussball spielen, dann mit St. Pölten immer die Nummer Eins. Wir waren damals mit Sturm Graz immer auf dem zweiten Platz, das waren die Topspiele. Aber sonst ist die Qualität der Liga nicht so hoch. In Deutschland finde ich einfach so cool, dass hier jeder jeden schlagen kann. Bayern spielt Unentschieden gegen Nürnberg. Wir spielen gegen Bayern ein super Spiel. Das ist toll, weil du einfach in jedem Spiel sagen kannst: wir wollen da gewinnen. In Österreich ist die Qualität in einzelnen Vereinen gut, aber die Breite nicht so hoch wie in Deutschland, finde ich.
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"In Deutschland bin ich jedes Wochenende auf höchstem Niveau"
War das dann auch so ein ausschlaggebender Punkt, um ins Ausland zu wechseln?
Ja, auf jeden Fall. Mein Ziel ist, mich immer weiterzuentwickeln. Und in Österreich hast du die zwei, drei Spiele im Jahr. Nicht, dass die anderen Spiele dich gar nicht weiterbringen, aber eben nicht so sehr wie die Top-Spiele. Und in Deutschland bin ich jedes Wochenende auf höchstem Niveau. In jeder Spielsituation kannst du dich weiterentwickeln und in jedem Training. Unsere Trainingsqualität hier in Essen ist echt gut und wenn man jedes Wochenende gegen Topspielerinnen gefordert wird, ist es sehr gut für junge Spielerinnen.
War das eine grosse Umstellung, sich an das Tempo und die Belastung zu gewöhnen?
Ja, auf jeden Fall. Und ich muss dazu sagen, ich war die ersten zwei Wochen nicht mal da, weil ich noch bei der Natio war. Deswegen war das schon ein bisschen schwer. Vali war schon da und dann bin ich dazugekommen, so nach dem Motto, ich bin jetzt auch mal da (lacht). Da habe ich mich schon ein bisschen ungut gefühlt, weil ich gar nicht so rüberkommen will (lacht). Es war am Anfang schon was anderes vom Tempo her, aber das ist ja auch wieder bei jedem anders. Ich habe mich dann schon schnell eingefunden. Deutschlandweit ist es bestimmt noch mal was anderes, je nachdem, ob man bei Essen oder Wolfsburg ist.
Bevor Sie für Sturm Graz gespielt haben, waren Sie unter anderem bei Wacker Innsbruck beim FC Zirl. Sie haben in einem Interview mal erzählt, dass Sie immer bis nach St. Pölten zum Internat pendeln mussten. Wie kann man sich das vorstellen?
Bei uns in Österreich gibt es einen Standort in St. Pölten, das ist in Niederösterreich, da werden pro Jahrgang 10 bis 12 Spielerinnen aufgenommen. Die besten sozusagen. Man wählt dann einen Schultyp, ich wollte meine Matura machen, also in Deutschland Abitur. Man geht dann fünf Jahre in die Schule mit Internat und allem. Die ersten drei oder vier Jahre war es so, dass man wirklich Montag bis Freitag in die Schule in St. Pölten ging. Plus Training. Am Freitag nach der Schule um 14:00 Uhr heim mit dem Zug, vier, fünf Stunden lang. Dann wenn es sich noch ausgegangen ist, Abschlusstraining. Samstag oder Sonntag Spiel. Und dann Sonntag wieder nach St. Pölten. Im Nachhinein schon sehr viel. Aber Internatsleben ist schon auch cool.
Durch die Gemeinschaft?
Ja, das war toll! Und man hat eben auch die ganzen U-Nationalteams gesehen. In Österreich ist es nicht so gut vertreten wie in Deutschland mit U15-, U16- und U17-Nstionlteam. Bei uns gibt es nur U17 und U19 und das A-Nationalteam. Die ganze U17 und U19 ist sozusagen in das Internat gegangen. Also hat man jeden Tag mit dem Nationalteam-Trainer trainiert.
Deutschland und Österreich treffen bald aufeinander
Wie sind Sie denn ursprünglich mal zum Fussball gekommen?
Also, bei mir war es nicht durch die Familie, meine Brüder sind komplett unsportlich (lacht). Bei mir war es durch meine zwei besten Freunde damals im Kindergarten. Die sind immer zum Fussballtraining gegangen und irgendwann, da war ich echt noch sehr jung, habe ich zu meiner Mama gesagt: Was machen die? Ich will mit denen Zeit verbringen. Zum Fussballtraining. Also wollte ich auch mit. Das hat sich dann einfach so ergeben. Wir haben dann im Garten Fussball gespielt, während die anderen im Sandkasten waren.
Wenn wir dann am Ende mal noch über die Nationalelf von Österreich sprechen, Sie haben vor rund einem Jahr Ihr Debüt gegeben und sind seitdem auch regelmässig in den Kader eingeladen worden. Was bedeutet das für Sie persönlich?
Wirklich sehr viel, weil man das eigene Land repräsentiert. Das ist in den U-Teams schon sehr schön, aber A-Nationalteam ist schon noch mal was anderes. Oft sieht man das selbst nicht, weil man immer mehr will. Aber es ist schon eine grosse Ehre, als junge Spielerin dabei sein zu dürfen und eigentlich sogar viel Spielzeit zu bekommen. Deswegen bedeutet das für mich und auch für meine Mutter zum Beispiel schon sehr viel.
Jetzt sind vor kurzem die Gruppen für die EM-Qualifikation ausgelost worden, Österreich und Deutschland sind in einer Gruppe gelandet. Wie sehen Sie die Kräfteverhältnisse in der Gruppe und gibt es einen besonderen Ansporn durch die Rivalität und weil sich Spielerinnen beider Länder durch die Bundesliga so gut kennen?
Zuerst zur Gruppe: Ich finde, wir haben ein bisschen Losglück gehabt mit Deutschland, Polen und Island. Andere Gruppen sind sehr gut, England, Frankreich, Schweden sind zusammen in einer. Wir können auch als Zweite weiterkommen und ich finde, das ist möglich.
Und wegen Deutschland: Vor der Auslosung hat jeder gesagt: Wir wünschen uns Deutschland. Und ich so: Echt?! Österreich gegen Deutschland, ich glaube wir Österreicher sehen es nochmal ärger als die Deutschen. Aber es ist immer was Besonderes, da müssen und wollen wir einfach gewinnen. Da geht es um alles. Sicher hat Deutschland im Verhältnis mehr Kaderbreite etc. Aber Österreich zeichnet ähnlich wie die SGS Essen das Teamgefüge aus. Vielleicht haben wir nicht so individuelle Qualität wie Deutschland, aber als Team ist alles möglich. Deswegen finde ich es cool, dass es diese Spiele geben wird!
Österreich hat bei der EM 2022 ein sehr gutes Turnier gespielt, danach wurde die WM-Qualifikation verpasst. Ist ähnlich wie in Deutschland gerade ein anstehender Generationenwechsel ein Thema?
Die EM 2022 habe ich vor dem Fernseher verbracht, weil ich da ja verletzt war. Es war schön, weil niemand etwas erwartet hat dann so eine super EM gespielt wurde. Nach so einem Turnier ist es einfach wichtig, abschalten zu können und an den Neustart wieder frisch ranzugehen. Das hat man auch bei Deutschland gesehen. Ich habe noch nie so ein Turnier erlebt, aber ich stelle mir das extrem schwer vor, weil so viele Erfahrungen, so viele Emotionen hochkommen. Und in Österreich ist es auf jeden Fall so, dass ich und noch ein paar andere herangeführt werden. Bei uns war es wirklich seit Jahren immer eine eingespielte Truppe, wenn dann ein, zwei Spielerinnen dazu kommen, ist das erstmal eine Umstellung. Aber es wird immer besser. Und ich hoffe, dass das Spiel gegen Deutschland zeigt, dass wir das gut geschafft haben.
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