RB Leipzig steckt in seiner ersten grossen Bundesliga-Krise - selbst die direkte Champions-League-Teilnahme des einstigen Bayern-Jägers ist gefährdet. Parallelen zu 1899 Hoffenheim werden plötzlich gezogen, die TSG ärgerte den FCB einst auch monatelang und rauschte dann gnadenlos ab. Ist dieser Vergleich angebracht?
Lange blieb
"Haben wir jemals davon gesprochen? Waren es nicht wir, die immer davor gewarnt haben, dass es schwierige Phasen geben wird? Anscheinend hatten wir Recht mit unserer Meinung", zürnte Hasenhüttl auf der Pressekonferenz nach dem 0:3 bei Werder Bremen.
Es war die zweite Niederlage in Folge gegen einen Abstiegskandidaten und die vierte aus acht Spielen in der Rückrunde. In der Hinrunde hatte der kecke Aufsteiger nur zwei von 17 Partien verloren. Hinten zwickt es (schon 15 Gegentore), vorne zwackt es (erst neun eigene Treffer) und nur fünf Mannschaften haben in der Rückrunde weniger Punkte (zehn) geholt als Leipzig.
Ein paar Prozent fehlen
Hasenhüttl sprach dann noch von fehlendem Matchglück, das in der Hinserie häufig den Ausschlag in engen Spielen für Leipzig gegeben habe und dass sich in den letzten Wochen ins Gegenteil gekehrt hat. Aber das allein wird es nicht sein. "Du musst dir das Glück erarbeiten und ich glaube, das tun wir im Moment zu wenig", stellte der Trainer vielmehr fest und lag damit goldrichtig.
RB Leipzig ist die Aggressivität der ersten Saisonhälfte abhandengekommen, Hasenhüttl bemängelt auch die fehlende Frische. Das allerdings darf nach 26 Pflichtspielen eigentlich keine grosse Rolle spielen. Andere Mannschaften gehen jetzt schon schnurstracks auf die 40-Spiele-Marke zu.
Es fehlen ein paar Prozent der Leidenschaft, der Selbstverständlichkeit, des unbedingten Willens in einigen grossen, aber eben auch sehr vielen kleinen Szenen eines Spiels. In den Zweikämpfen, wo Leipzig sukzessive schlechtere Quoten einfährt, in Bremen lag die Mannschaft unter der 50-Prozent-Marke. Im Passspiel, in der Anzahl zugelassener Schüsse, in der Chancenverwertung, in den Gelegenheiten zum Kontern.
Parallelen zu 1899 Hoffenheim
Es ist viel die Rede davon, dass der Code des Aufsteigers entschlüsselt sei. Aber das ist falsch und es wäre, im Umkehrschluss, lediglich ein Armutszeugnis für den Rest der Liga - immerhin hiesse das ja, dass Leipzig in der Vorrunde nicht genau analysiert wurde. An Leipzigs Leistungsdelle ist einzig und allein Leipzig verantwortlich.
Und doch legen einige Experten die Leipziger Rückrunde auf die von 1899 Hoffenheim von vor acht Jahren. Hoffenheim war der letzte freche Aufsteiger, auch so ein Kunstprodukt, aufgrund seiner Historie verschmäht vom Rest der Liga. Aber wie Leipzig pflügte auch Hoffenheim nur so durch die Vorrunde und war nach 17 Spieltagen sogar Tabellenführer.
Der erfrischende Fussball, die Senkrechtstarter wie Vedad Ibisevic, Demba Ba, Chinedu Obasi oder Carlos Eduardo von damals heissen heute Naby Keita, Emil Forsberg, Timo Werner und Yussuf Poulsen. Sie trugen und tragen Mannschaften, die ansonsten zu grossen Teilen aus Zweitligaspielern oder solchen, die anderswo nicht gut genug befunden wurden, bestehen.
Von den üblichen anderen Verdächtigen im Kampf um die Meisterschaft war damals herzlich wenig zu sehen, vom VfB, Werder oder Schalke. Auch das ist eine Parallele zur aktuellen Saison, wo der BVB, Leverkusen, Schalke oder Gladbach schwächeln. Damals wie heute musste der Aufsteiger den Bayern-Herausforderer mimen und einmal mehr geht dieses überdimensionierte Vorhaben schief. So richtig rund macht den Vergleich natürlich
Rangnick als Gesicht
Der führte Hoffenheim damals von der Regionalliga bis an die Spitze der Bundesliga, bastelte an Vereinsstrukturen, an die damals im Rest der Republik noch niemand auch nur entfernt denken mochte. Auch Leipzig kam aus dem Amateurfussball fast ganz nach oben, wie in Hoffenheim bestens alimentiert von einem gönnerhaften Geldgeber. Und auch in Leipzig geht Rangnick viele Dinge anders an als die Kollegen an anderen Bundesliga-Standorten.
Rangnick ist das Gesicht des Aufschwungs, unvergessen sein Bonmot in Richtung München, dass man bei den Bayern zwar flotte Sprüche zu hören bekomme - den flotten Fussball aber in der Kraichgauer Provinz. Rangnick hat sowohl daraus als auch aus dem Hoffenheimer "Absturz" damals gelernt.
Bei der TSG kamen einige Dinge zusammen, Verletzungen wichtiger Spieler, ein paar Undiszipliniertheiten, ein wenig Selbstgefälligkeit. Und natürlich war der Fokus der Gegner samt Anhang geschärft, nachdem man von einem Aufsteiger in der Hinrunde phasenweise vorgeführt wurde.
In Bruchteilen verhält es sich auch so in Leipzig. Aber den "echten Absturz" von Hoffenheim damals, das bereits nach dem 25. Spieltag bis auf Platz fünf durchgereicht worden war, hat Leipzig bisher verhindern können. Die Bullen sind immer noch Zweiter und schwächelt die Konkurrenz auch weiterhin, dann kann sich auch Leipzig noch den einen oder anderen Ausrutscher erlauben.
Bessere Voraussetzungen bei RB Leipzig
Keilstürmer Poulsen wird schon bald zurück erwartet, dazu dürfte sich Dayot Upamecano in naher Zukunft schnell integrieren. Der 18-jährige Franzose hat sein unglaubliches Potenzial schon angedeutet und wird auf Sicht eine grosse Verstärkung werden. Und auch die verhinderte Abstellung von Mittelfeld-Motor Keita für Guineas Testspiele in diesen Tagen ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt.
Leipzig benötigt die Länderspielpause, um sich ein wenig zu sammeln. Die Probleme sind erkannt, zu viele Abstellungen von Spielern hat Hasenhüttl ohnehin nicht zu beklagen. Also bleiben ein wenig Zeit und eine vergleichsweise ordentlich bestückte Trainingsgemeinde. Und im Hintergrund ist da ja noch Ralf Rangnick.
Der weiss spätestens seit der Episode mit Hoffenheim, wie er gegensteuern muss. Das ist ein gravierender Unterschied: Damals war er mit 1899 sein eigenes Rollenmodell, musste am offenen Herzen operieren. Jetzt dürfte er fast alle Stolperfallen kennen.
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