Mal trifft es seine Stars, mal trifft es die Vereinsführung, mal tadelt er sich selbst: Mit seiner radikalen Offenheit eckt Dortmunds Trainer Thomas Tuchel immer öfter an - und macht sich damit selbst zum Gegenstand hitziger Debatten.

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Selbst aus dem fernen Manchester ereilten Thomas Tuchel zuletzt aufmunternde Worte. "Ich weiss, was er kann. Er ist ein wirklich guter Trainer, der zu vielen Vereinen passen würde - aber zu Borussia Dortmund ganz besonders. Für mich ist die Diskussion um ihn völlig unverständlich", sagte Ilkay Gündogan in einem Gespräch mit "Eurosport". Gündogan war einer der grossen Gewinner in Tuchels erster Saison bei Borussia Dortmund. Einer Saison mit einer famos aufspielenden Dortmunder Mannschaft - die dieser Leistung jetzt hinterrennt.

"Thomas Tuchel" und "Diskussionen", diese Begriffe gehören in diesen Tagen offenbar zusammen wie noch nie zuvor in der Karriere des 43-Jährigen. Der Trainer steht im Zentrum vieler Debatten: die Diskussion über das Kapitänsamt; der Umgang mit Mario Götze; die Verpflichtung von Alexander Isak; die stockende Entwicklung der Mannschaft. Und zuletzt die umstrittene Auswechslung von Pierre-Emerick Aubameyang.

Nicht alles liegt an Thomas Tuchel, für einige Dinge kann er nichts. Aber das Dauerthema der Arbeitsatmosphäre - zwischen Trainerteam und Mannschaft auf der einen und Trainerteam und Klubführung auf der anderen Seite - fällt permanent auf ihn zurück. Ebenso wie die regelmässige öffentliche Schelte für seine Mannschaft oder einzelne Spieler.

Differenzierte Ausführungen

Tuchel spielt das übliche Medienspielchen nicht mit. Kaum ein Trainer der Liga unternimmt den Versuch, seine taktischen Überlegungen zu erklären. Tuchel gibt dazu bei entsprechender Fragestellung Auskunft, manchmal sogar ausufernd und detailliert.

Er unterscheidet sich damit von fast allen seiner Kollegen, die sich eher auf vorgestanzte Worthülsen verlassen oder über fussballerische Details lieber schweigen. Tuchel dagegen nimmt auch im Falle des Misserfolgs kein Blatt vor den Mund.

Wenn klar definierte Absprachen nicht eingehalten werden, spricht Tuchel das an. Wenn die Einstellung nicht stimmt, spricht Tuchel das an. Wenn Spieler offensichtliche Fehler begehen, spricht Tuchel das an. Das mag man naiv finden oder unangemessen, aber zumindest ist es ehrlich und geradeheraus. Auf konkrete Fragen gibt er in den meisten Fällen konkrete Antworten.

Damit eckt er an, nicht nur bei seinen Spielern - und auch sich selbst schont er nicht. Oft genug hat er die Verantwortung übernommen, zuletzt für die Nominierung zweier Youngster bei der Niederlage in Darmstadt.

Kritik an Aubameyang-Auswechslung

Mittlerweile wird jede seiner Handlungen tausendfach kommentiert - und häufig hart kritisiert. Dass er Aubameyang, der in Lissabon wohl auch in acht Stunden Spielzeit keinen Möbelwagen getroffen hätte, aus der Partie nahm, sorgte für Empörung.

Ottmar Hitzfeld setzte bei "Sky" sofort zur grossen Schelte an, Michael Ballack schob auf Twitter nach. "62. Minute! Wirklich?! Das sind die Momente, wo du zu 100 Prozent hinter deinen grossen Spielern stehen musst", schrieb Ballack da. Ballack war selbst ein grosser Spieler, aber er war und ist kein Trainer.

Vielleicht hat er damit Recht, vielleicht hätte ein Festhalten an Aubameyang das Verhältnis zwischen Trainer und Star gestärkt. Aber in Lissabon ging es nicht um Tuchel oder Aubameyang, es ging um eine gute Ausgangsposition für Borussia Dortmund.

Niemand weiss, ob Tuchel mit seiner Massnahme richtig oder falsch gelegen hat. Doch bei vielen Fans werfen Tuchels Massnahmen Fragen auf. Seine Überlegungen kommen oft schief an, vielleicht auch beim einen oder anderen Verantwortlichen. Nach offizieller Sprachregelung gibt es in Dortmund kein angespanntes Verhältnis, aber in Sachen Kommunikation hat der gesamte Klub in den letzten Wochen einige Fettnäpfchen mitgenommen.

Überlegte Äusserungen

Tuchel ist nach Dieter Hecking der Trainer mit den meisten Bundesligaspielen auf dem Buckel, obwohl er ja selbst noch einer der Jüngeren ist. Man kann also getrost davon ausgehen, dass er nicht besonders oft aus der Emotion heraus antwortet, sondern seine Äusserungen wohl überlegt sind.

Er empfinde die Situation als Prüfung für sich, hat Tuchel neulich gesagt, die Kritik an ihm "diffus und unklar". Es ist eine durchaus schwierige Phase seiner Laufbahn. Aber vielleicht will Tuchel ja auch losgelöst sein. Und vielleicht ist ihm seine Aussenkommunikation auch herzlich egal.

Damit würde er sich kaum von seinem "Bruder im Geiste" Pep Guardiola unterscheiden. Der gibt seit Jahren schon keine Interviews mehr und absolviert nur die vorgeschriebenen Pressetermine. Gegen den Katalanen ist Thomas Tuchel immer noch ein redseliger Plauderer.

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