Weil das Opfer so unbeeindruckt ist, dass der Schiedsrichter von einer Bagatelle ausgehen muss, wird auf Schalke eine Tätlichkeit nicht mit der Roten Karte geahndet. Strenger ist der Unparteiische dafür in zwei anderen Situationen. In München überschreiten die Spieler derweil die Toleranzgrenze des Referees bei der Elfmeterausführung.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne

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Im Spiel des FC Schalke 04 gegen den 1. FC Köln (2:2) am Samstagabend lief die 81. Minute, als sich die Szene zutrug, über die nach dem Schlusspfiff am meisten gesprochen wurde.

Dabei hatte sie während der Partie auf den ersten Blick unspektakulär ausgesehen und auf dem Platz auch nicht für erwähnenswerte Diskussionen gesorgt.

Leon Goretzka war vom Kölner Salih Özcan im Mittelfeld zunächst unsanft von den Beinen geholt worden. Schiedsrichter Tobias Stieler hatte deshalb auf Freistoss für die Gastgeber entschieden.

Nun stand der gefoulte Schalker auf, den Kopf nach vorne gebeugt, und stiess gegen die Brust von Özcan, der einen Schritt auf ihn zugegangen war.

Der Kölner zeigte sich davon unbeeindruckt. Er gab Goretzka zwar noch ein paar Worte mit auf den Weg, doch das war nicht mehr als das handelsübliche Tête-à-Tête.

Der Unparteiische ermahnte beide Spieler kurz, die Begegnung wurde schnell fortgesetzt, die Sache schien erledigt.

Doch dann zeigte das Fernsehen die Zeitlupen. Und man fühlte sich an das Endspiel der Weltmeisterschaft 2006 zwischen Frankreich und Italien erinnert, als Zinedine Zidane seinen Gegenspieler Marco Materazzi mit einem Kopfstoss niedergestreckt hatte und dafür des Feldes verwiesen worden war.

Goretzka wie einst Zidane

Eine vergleichbare Tätlichkeit hatte sich auch Leon Goretzka geleistet, selbst wenn er das nach dem Spiel bestritt: Er habe lediglich "impulsiv aufstehen" wollen, auch wenn er zugeben müsse, "dass es unglücklich aussieht", sagte er.

Absicht sei der Kopfstoss jedenfalls "mit Sicherheit" nicht gewesen, denn: "Ich heisse nicht Zinedine Zidane."

Sein Trainer Domenico Tedesco sah das kritischer. "Das geht nicht, das weiss er selber auch", befand er.

Warum aber blieb dem 22-Jährigen die Rote Karte erspart? Die kuriose Antwort ist: Weil sein Gegner so wenig auf die grobe Unsportlichkeit reagiert hatte, dass sie dem Unparteiischen wie eine Bagatelle vorgekommen sein muss.

Vermutlich hat Tobias Stieler den Kopfstoss zwar gesehen, seiner Wahrnehmung jedoch misstraut, als Özcan den Eindruck vermittelte, dass nichts Schlimmes geschehen war.

Und deshalb beschlossen, den Konflikt gänzlich ohne Karte zu lösen, zumal auch kein anderer Spieler protestierte.

Wohl keine nachträgliche Sperre

Dass sich auch der Video-Assistent nicht meldete, dürfte ebenfalls am fehlenden Anfangsverdacht gelegen haben.

Die Fernsehbilder sind gleichwohl eindeutig: Ein Platzverweis war unumgänglich. Dass es ihn nicht gab, lag an Salih Özcans erstaunlicher Reaktion.

Die Schiedsrichter sind es gewohnt, dass die Folgen eines unsportlichen Verhaltens vom Opfer übertrieben dargestellt werden.

Ist zur Abwechslung einmal das Gegenteil der Fall, kommt der Täter vielleicht glimpflicher davon, als es richtig wäre. Befriedigend ist das sicherlich nicht.

Eine nachträgliche Sperre dürfte Goretzka trotzdem nicht zu befürchten haben. Denn sie wäre nur möglich, wenn der Referee die Szene nicht gesehen und somit auch nicht bewertet hätte.

Doch seine Reaktion auf dem Platz, vor allem die Ermahnung sowohl gegenüber dem Schalker als auch gegenüber Özcan, lässt darauf schliessen, dass Tobias Stieler sich bewusst gegen eine härtere Sanktion entschied. Damit aber läge eine unanfechtbare Tatsachenentscheidung vor.

Der Handelfmeter für Köln war korrekt

Es war nicht die einzige heikle Situation für den Unparteiischen. Nach 75 Minuten wehrte der Schalker Benjamin Stambouli aus kurzer Distanz einen Schuss von Sehrou Guirassy mit dem Arm ab.

Stieler liess weiterspielen, trat in der unmittelbar darauf folgenden Unterbrechung jedoch mit seinem Video-Assistenten in Kontakt.

Nach einer kurzen Unterredung schaute sich der Referee die Szene schliesslich selbst auf dem Monitor am Spielfeldrand an - und entschied auf Strafstoss für die Gäste. Für einen "Witz" hielt das der Schalker Coach.

Auch Sportvorstand Christian Heidel war nicht einverstanden: "Ich habe von vielen Experten gelernt, dass Absicht gegeben sein muss."

Die aber habe nicht vorgelegen. Heidel verwies insbesondere auf den geringen Abstand, der die Reaktionszeit in der Tat verkürzte.

Bei der Beurteilung von Handspielen ist die Distanz für die Schiedsrichter jedoch schon seit einiger Zeit weniger wichtig als die Frage, ob ein Spieler mit dem Ball rechnen kann oder nicht.

Das war hier der Fall, denn die Kugel war lange zu Guirassy unterwegs, dessen Torschuss sich abzeichnete.

Stambouli warf sich mit dem vom Körper abgewinkelten rechten Arm in den Ball.

Die Armhaltung diente dabei nicht nur dem Halten des Gleichgewichts und wirkte daher unnatürlich. Die Elfmeterentscheidung war deshalb korrekt.

Sehr harte Gelb-Rote Karte für Osako

Noch schwieriger zu beurteilen war der Zweikampf, den Stambouli und Yuya Osako in der Nachspielzeit im Strafraum der Hausherren führten.

Der Schalker stellte sein linkes Bein heraus, der Kölner fiel - und der Schiedsrichter entschied: Das war eine "Schwalbe" von Osako, der bereits verwarnt war und deshalb nun die Gelb-Rote Karte sah.

Tatsächlich liess sich kein Kontakt feststellen, Osako war von sich aus abgesprungen.

Andererseits ist dem Regelwerk zufolge bereits der Versuch des Beinstellens strafbar, und den Ball hatte Stambouli nicht gespielt. Womöglich wäre es deshalb salomonischer gewesen, einfach weiterspielen zu lassen.

Weshalb der Elfmeter für Hannover wiederholt wurde

In München gab es derweil einen gänzlich unstrittigen Strafstoss, den Bayern-Torhüter Sven Ulreich durch ein Foul am Hannoveraner Felix Klaus verursacht hatte.

Ungewöhnlich war allerdings, was geschah, nachdem Niclas Füllkrug den Elfmeter verwandelt hatte: Schiedsrichter Guido Winkmann liess ihn wiederholen.

Denn gleich zehn Akteure hatten sich im Moment der Ausführung unerlaubt im Strafraum befunden, der bekanntlich erst nach dem Schuss von anderen Spielern als dem Schützen und dem Torwart betreten werden darf.

Üblicherweise sind die Referees bei dieser Regelung nicht übermässig kleinlich, hier jedoch wurde der Spielraum, den sie meist gewähren, eindeutig überstrapaziert.

Dabei gilt: Wenn Spieler deutlich zu früh in den Strafraum eindringen, wartet der Schiedsrichter stets ab, was der Elfmeter erbringt.

In keinem Fall darf der Mannschaft, die es zu eilig hat, ein Vorteil entstehen.

Deshalb sehen die Regeln Folgendes vor: Wird der Strafstoss verwandelt, obwohl sich Spieler des verteidigenden Teams vorzeitig in den Sechzehnmeterraum begeben haben, dann zählt das Tor natürlich.

Laufen dagegen Mitspieler des Schützen zu früh vor, dann wird der Elfmeter wiederholt.

Eine Wiederholung gibt es auch, wenn Abwehrspieler zu schnell im Strafraum sind und der Strafstoss nicht verwandelt wird.

Befinden sich Angreifer zum Zeitpunkt des Schusses im Strafraum und der Elfmeter geht nicht ins Tor, dann wird auf indirekten Freistoss für die verteidigende Mannschaft entschieden.

Und wenn beide Seiten zu ungeduldig sind, dann wird der Strafstoss unabhängig vom Ausgang immer wiederholt.

So wie in München, wo sowohl Münchner als auch Hannoveraner den Sechzehnmeterraum zu früh bevölkerten. Schiedsrichter Winkmann hatte also völlig korrekt gehandelt.

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