Der FC Bayern München macht im Sturm eine 180-Grad-Wende. Er lässt Robert Lewandowskis Stellvertreter Sandro Wagner Richtung China ziehen. Ein Fehler?

Steffen Meyer
Eine Kolumne
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Überraschen konnte es niemanden mehr. Schon seit Wochen hatte sich abgezeichnet, dass der unzufriedene Sandro Wagner den FC Bayern über kurz oder lang verlassen würde. Zu gering waren die Einsatzzeiten für den gebürtigen Münchner, der nun seine Karriere beim chinesischen Klub Tianjin Teda vergolden darf.

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Ein frustrierter Bankdrücker wechselt den Verein. So weit so normal, könnte man meinen. Doch Wagners Abgang ist für den FC Bayern nicht ohne Risiko. Denn es ist gerade einmal ein Jahr her, dass sich die Münchner auf der Stürmerposition bewusst für einen Strategiewechsel entschieden.

Kehrtwende nach nur einem Jahr

Nach dem Abgang von Altmeister Claudio Pizarro im Jahr 2015 war Robert Lewandowski lange der einzige echte 9er im Bayern-Kader geblieben. Meist ging das gut, weil Lewandowski selten verletzt ist. Doch im Frühjahr 2017 fehlte der Pole im Champions League-Habfinale gegen Real Madrid angeschlagen. Müller musste ihn im Hinspiel und in der Verlängerung des Rückspiels ersetzen. Bayern schied aus.

Lewandowski selbst sagte wenig später der "Sport-Bild": "Es wäre schon von Vorteil, in der entscheidenden Saisonphase eine Alternative auf der Bank zu haben." Spätestens da entschieden sich die Münchner Bosse, nach einem geeigneten Backup Ausschau zu halten. In Hoffenheim bei Sandro Wagner wurden sie fündig.

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Der Plan ging zunächst auf. Unter Jupp Heynckes Wagner in fünf Monaten 14 Spiele bestreiten. Acht Mal traf er dabei. Sogar auf den WM-Zug sprang er beinahe noch auf.

Unter Kovac wandelte sich dieses Bild nur ein halbes Jahr später völlig. Gerade einmal 264 Spielminuten stehen in dieser Spielzeit für Wagner zu Buche. Der Edel-Backup ist auf einmal nicht mehr gefragt. Nun also die Trennung.

Europäische Konkurrenz geht anderen Weg

Klar ist: Der FC Bayern geht mit dieser Entscheidung im europäischen Spitzenfussball einen Sonderweg. Der FC Barcelona hat gerade erst auf einen Engpass im Sturm reagiert und mit Kevin Prince Boateng einen Ersatzmann für Stammkraft Luis Suárez geholt.

Der FC Liverpool hat mit Salah, Firmino, Sturridge und Origi gleiche eine ganze Reihe von Kandidaten. Gleiches gilt für Tuchels Paris Saint Germain. Mbappé, Cavani und Choupo-Moting sind alle schon in der Sturmspitze aufgelaufen.

Der FC Chelsea verstärkte sich jüngst mit Gonzalo Higuaín. Und Álvaro Moarata steht nun als weitere Option bei Atlético Madrid bereit. Alternativen über Alternativen. Möglichkeiten über Möglichkeiten.

Auch der FC Bayern selbst hat hervorragende Erfahrungen mit zwei starken Stürmern gemacht. Mit Mario Mandzukic und Mario Gomez konnte Heynckes in der Triple-Saison zwischen zwei unterschiedliche Stürmertypen mit unterschiedlichen Fähigkeiten wählen.

Als Mandzukic, der meist den Vorzug bekam, im Halbfinale gegen Barcelona fehlte, zeigte Gomez mit einem Treffer und einer herausragenden Leistung beim 4:0 Hinspiel-Erfolg wie wertvoll er ist.

Im Jahr 2019 ist man beim FC Bayern nun gezwungen, zu improvisieren, sollte der einzige Weltklasse-Stürmer Lewandowski doch einmal ausfallen. Aus dem Nachwuchs kommt kurzfristig keine Alternative in Frage. Natürlich können Thomas Müller oder Serge Gnabry die Position in vorderster Front spielen. Beide sind aber für die Partien gegen meist tiefstehende Gegner nicht optimal.

Müller und Gnabry die einzigen Alternativen

Müller hat ein ordentliches Kopfballspiel. Gnabry eher nicht. Müller weicht gern auf den Flügel aus, um sich von dort wieder in den Strafraum anzuschleichen. Gnabry wäre eher der Typ falsche 9. Beide brauchen Räume, um ihre volle Qualität zu entfalten.

Wuchtig wie Wagner oder geschmeidig-kräftig wie Lewandowski sind beide im Duell mit den Abwehrkanten der Konkurrenz nicht. Auch als Passstation am Strafraum sind sie - anders als Lewandowski - nicht optimal geeignet. Wagner konnte hier zumindest immer Bälle abschirmen und ablegen, wenn es notwendig war.

Es ist schon etwas verwunderlich, dass die Münchner ihre 180-Grad Wende im Sturm nicht wirklich erklären. Die Argumente von vor einem Jahr sind ja nicht falsch geworden.

Selbst wenn Lewandowski sich nicht verletzen sollte, könnten ihm Pausen in einem arbeitsintensiven Frühling durchaus gut tun. Es ist der anstrengendere Weg, die Situation mit zwei ambitionierten Stürmern zu moderieren und auszubalancieren. Heynckes ging dies im vergangenen Jahr entschlossen an. Kovac entscheidet sich nun dagegen.

Die Bayern gehen ins Risiko. Lewandowski ohne Netz und doppelten Boden? Das kann schon alles irgendwie gut gehen. Doch die meisten Spitzenteams investieren lieber Geld, um die Ungewissheit, die in diesem "irgendwie“ mitschwingt, möglichst zu vermeiden.

Sandro Wagner wechselt vom FC Bayern München zu Tianjin Teda in China

Für Sandro Wagner war beim FC Bayern München schon ein Jahr nach der Rückkehr des Eigengewächses zum Rekordmeister kein Platz mehr. Der ehemalige Nationalstürmer versucht sein Glück deshalb bei Tianjin Teda in China. © ProSiebenSat.1
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