• Schalke ist mit rund 160.000 Mitgliedern der zweitgrösste Fussballklub Deutschlands und der viertgrösste der Welt.
  • Und dieser Klub darf bis auf Weiteres nicht mehr in der Bundesliga mitspielen.
  • Der Abstieg ist die logische Konsequenz einer jahrelangen Fehlentwicklung.
Eine Analyse

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Die letzte Aktion war reichlich unspektakulär. Der Schalker Salif Sane, ein Innenverteidiger, der aus purer Verzweiflung als Mittelstürmer in die Partie gegen Arminia Bielefeld geworfen wurde, beging irgendwo im Mittelfeld ein Foul, meckerte, handelte sich die Gelbe Karte ein. Danach war Schluss. Man hätte sich den Schalker Abstieg ja auch ganz gut anders vorstellen können, tragikomischer, schalkiger: Mit einem entscheidenden Gegentreffer Sekunden vor Abpfiff, vielleicht sogar per Eigentor.

Das hätte doch eigentlich viel besser gepasst zum FC Schalke 04 in dieser Saison, der schlimmsten in der an Tiefpunkten wahrlich nicht armen Klubgeschichte. Schalke darf bis auf Weiteres nicht mehr in der Bundesliga mitspielen, mindestens einer halben Region wurde am Dienstagabend das Herz herausgerissen. Wer Schalke liebt, muss leiden können. Das weiss jeder, der sich wissentlich auf diesen Klub einlässt. Die meisten Fans aber hatten gar keine andere Wahl.

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Die wurden automatisch Anhänger von Thomas Student, von Ernst Kuzorra und Fritz Szepan, von Berni Klodt, von Stan Libuda, von Klaus Fischer, von Olaf Thon, von Jiri Nemec, von Ebbe Sand, von Raul Gonzalez Blanco. Da konnte sich gar niemand dagegen verwehren. Mit Schalke verlässt ein ganz grosses Stück Geschichte vorerst die Bundesliga. Was in dem einen oder anderen Kalenderjahr auf Schalke so passiert ist, erleben andere Klubs nicht in einem halben Jahrhundert.

Schalke ist mit rund 160.000 Mitgliedern der zweitgrösste Fussballklub Deutschlands und der viertgrösste der Welt. Schalke ist aber viel mehr, eine Institution und das nicht nur im Ruhrgebiet. Schalke ist ein Stadtteilklub als Moloch. Schalke ist Herzblut, Angst, Liebe, Hass, Freude, Ärger, Melancholie, Hoffnung, Begeisterung, Politik, Religion, Stolz, Trost und Trauer. Und bald ist Schalke ein Zweitligist. An eine Hauptstadt ohne Bundesligaklub hatte sich Fussball-Deutschland mit den Jahren irgendwie gewöhnt, auch wenn das in Europa lange ein Alleinstellungsmerkmal war. An eine Bundesliga ohne Schalke 04 wird man sich aber nur schwerlich gewöhnen können.

Abstieg vom FC Schalke 04: Das Missmanagement führt zum Kollaps

Schalke ist Theater, der Klub des Sonnenkönigs Eichberg und von Charly Neumann. Später von Stumpen-Rudi Assauer aus dem Nichts zurückgeführt ans Licht und von Clemens Tönnies sukzessive versenkt. Hier arteten Jahreshauptversammlungen auch schon mal aus, hier lag das Epizentrum des Bundesligaskandals. Eurofighter und Meister der Herzen wurden geboren, aber auf eine echte Meisterschaft in der Bundesliga wartet Schalke noch immer. Glückauf-Kampfbahn, Parkstadion, nun die etwas merkwürdige Turnhalle - selbst die Spielstätten waren und sind anders. Die Knappenschmiede spuckt jedes Jahr neue Talente aus, in Gelsenkirchen bleiben will aber keines davon.

Auch das ist ein Schalker Problem, vielleicht sogar das Schicksal des Klubs: Gut gemeint ist häufig das Gegenteil von gut gemacht. Schalke hat sich fulminant verhoben bei der Hatz nach der deutschen Meisterschaft. Weil die Zeiten der Skandalnudel aber vorbei sein sollten, wurden die Probleme auf einen grossen Löffel gepackt und mit reichlich Pils runtergespült. Die Umverteilung der Schulden auf zahlreiche Tochtergesellschaften hat alles nur noch verschlimmert, die Gas-Millionen vom umstrittenen Hauptsponsor Gazprom aus Russland versiegten in einem grossen schwarzen Loch.

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In der Liste der umsatzstärksten Klubs weltweit steht Schalke immerhin noch auf Rang 16, nur der BVB und die Bayern liefern im deutschen Ranking noch bessere Zahlen ab. Der Klub hat sein Silberbesteck am Transfermarkt veräussert, alleine mit den Verkäufen von Manuel Neuer, Thilo Kehrer, Julian Draxler und Leroy Sane flossen über 160 Millionen Euro in die Kassen. Und trotzdem ist der Berg an Verbindlichkeiten mittlerweile auf 217 Millionen Euro angewachsen. Schalke hat deshalb die Bauvorhaben am Klubgelände gestoppt. Das Missmanagement der vergangenen zehn, 15, vielleicht sogar 20 Jahre führte nun unweigerlich zum Kollaps.

Der traurigste und einsamste Abstieg überhaupt

Schalke hat den Menschen Trost gespendet beim wirtschaftlichen Abstieg ihrer Region. Nun müsste die Fans ihrem Klub Trost spenden. Corona aber verbietet die unmittelbare Anteilnahme. Also sitzen die Anhänger zu Hause, können sich nicht mal mit Freunden treffen und nehmen den Abstieg an einem Dienstagabend auf der Bielefelder Alm hin. Nicht mal Frustsaufen geht, ist ja Schicht am nächsten Morgen.

"Die Frage stellt sich schon, ob jeder alles getan hat für diesen Klub. Ob jeder alles getan hat, um Schalke am Leben zu halten." Das sagte Gerald Asamoah in den Minuten nach dem Abstieg in Bielefeld beim TV-Sender "Sky". Asamoah schossen die Tränen in die Augen. Dass so eine Vermutung überhaupt im Raum stehen kann bei einem Klub wie Schalke...

Schalke ist in gewisser Weise auch über sein Ego gestolpert. Weil: Was genau ist noch übrig vom Arbeiter- und Malocherklub? In der Arena durchschreiten die Profis auf ihrem Weg hinaus auf den Rasen einen Stollen aus Putz und Plastik. Der soll wohl für etwas Erdiges stehen, die Verbundenheit der neuzeitlichen Arbeitnehmer zu den Wurzeln des Klubs und seiner früheren Helden dokumentieren. Tatsächlich wirkt das aber für Aussenstehende eher kitschig als kumpelig. Und vielleicht wäre es für Schalke auch mal ganz gut, würden ein paar Schichten jenes Pathos abgetragen, der den Klub offenkundig mehr hemmt als beflügelt.

Dafür ist in der zweiten Liga aber keine Zeit. Es wird eine wahnsinnig schwere Aufgabe, aus dieser Liga wieder zu entfliehen. Eine Etage höher, wohlgemerkt, nicht noch weiter nach unten. Dass auch das möglich ist, mussten schon andere Klubs erfahren. Schalke ist nun bis auf Weiteres von der Bundesliga-Bildfläche verschwunden, hinein ins Dunkel. Glück Auf, Schalke 04 - bis demnächst dann.

Verwendete Quelle:

  • sport1.de: Tränen-Interview von Asamoah
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