Der Frankfurter Trainer Oliver Glasner begeht eine Unsportlichkeit, für die er mit einer Verwarnung rechnet, aber richtigerweise mit einer Roten Karte bedacht wird. Auch beim brisanten Spiel zwischen Mainz 05 und Schalke 04 erklärt Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck eine schwierige Entscheidung nachvollziehbar.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Alex Feuerherdt sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Zur Saison 2019/20 wurde das Fussball-Regelwerk dahingehend geändert, dass auch Teamoffizielle die Gelbe und die Rote Karte bekommen können. Bei manchen Trainern löste das seinerzeit grossen Unmut aus, der sogar noch wuchs, als bekanntgegeben wurde, dass sie nach vier Verwarnungen das folgende Spiel ihrer Mannschaft nicht von der Bank aus verfolgen dürfen.

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Einige Übungsleiter äusserten die Befürchtung, nun schon für Kleinigkeiten mit einer persönlichen Strafe bedacht zu werden und in ihrem Agieren dadurch zu stark eingeschränkt zu werden. Doch schon bald arrangierten sich die Trainer mit dem neuen Strafkatalog, die Unparteiischen sanktionieren die Coaches keineswegs übermässig oft, zu Gelbsperren kommt es nur gelegentlich.

Womöglich ist das der Grund, warum selbst im Profifussball augenscheinlich nicht alle Teamoffiziellen wissen, für welches Fehlverhalten die Regeln welche persönliche Strafe vorsehen. Oliver Glasner, der Trainer von Eintracht Frankfurt, räumte nach seiner Roten Karte im Spiel seines Teams bei der TSG 1899 Hoffenheim (1:3) jedenfalls ein, nicht auf diese Sanktion durch Schiedsrichter Harm Osmers gefasst gewesen zu sein.

Glasner hatte in der Nachspielzeit der ersten Hälfte in einer Spielunterbrechung einen zweiten Ball auf das Spielfeld gekickt und war dafür vom Referee auf die Tribüne verwiesen worden. "Das war mein stiller Protest gegen die Leistung des Schiedsrichters", sagte er später. "Ich wusste nicht, dass es dafür Rot gibt. Ich dachte, dass ich die Gelbe in Kauf nehme. Doch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Und wenn das Rot ist, dann war das gerechtfertigt."

Der Referee hat bei Glasners Roter Karte keinen Ermessensspielraum

Das war es tatsächlich, denn in der Regel 12 (Fouls und sonstiges Fehlverhalten) ist bei den Vergehen, die für Teamoffizielle zu einer Roten Karte führen, das "absichtliche Werfen/Treten von Gegenständen auf das Spielfeld" aufgeführt. "Da gibt es auch keinen Spielraum", erklärte Osmers im Interview des Senders Sky.

Der Schiedsrichter hätte in dieser Situation sogar noch einen weiteren Grund gehabt, Glasner des Innenraums zu verweisen. Denn auch die "Verzögerung der Spielfortsetzung durch das gegnerische Team" führt nach den Regeln zu einer Roten Karte. Und da Hoffenheim im Begriff war, einen Freistoss auszuführen, war eine solche Verzögerung gegeben.

Ein Auswechselspieler oder ausgewechselter Spieler, der auf der Bank sitzt, hätte für das gleiche Vergehen übrigens nur die Gelbe Karte gesehen. Im Regelwerk sind weitere Verstösse aufgeführt, für die ein Spieler oder Reservist lediglich verwarnt wird, ein Teamoffizieller hingegen die Rote Karte bekommt.

Dieser Unterschied ist offenbar nicht allen Trainern bewusst. Er begründet sich durch die besondere Vorbildfunktion, die Teamoffizielle haben. Sie führt dazu, dass manche Vergehen – so beispielsweise auch das Verlassen der Coachingzone, um gegen eine Entscheidung des Schiedsrichters zu protestieren – bei ihnen härter bestraft werden als etwa bei Auswechselspielern.

Der Roten Karte für Oliver Glasner war eine Entscheidung von Harm Osmers vorausgegangen, die absolut korrekt war: Der Frankfurter Buta hatte den Hoffenheimer Verteidiger Angelino im Luftzweikampf angesprungen, deshalb gab es jenen Freistoss für die TSG, dessen Ausführung sich durch Glasners Ballwurf verzögerte.

Kurz bevor der Referee das Spiel aufgrund des Fouls mit einem Pfiff unterbrechen konnte, war er allerdings versehentlich mit dem Frankfurter Djibril Sow zusammengeprallt. Die Eintracht ging offenbar davon aus, dass es einen Schiedsrichterball mit einem ihrer Spieler geben würde. Doch da lagen die Gäste falsch, ihre Reklamationen waren somit unberechtigt.

Kramarićs Finte beim Strafstoss ist regelkonform

Das gilt auch für die Proteste gegen die Art und Weise, wie Andrej Kramarić wenige Minuten zuvor einen Elfmeter für Hoffenheim ausführte und zum 2:0 für die Hausherren verwandelte. Kramarić hatte während des Anlaufs kurz abgestoppt, bevor er einen weiteren Schritt machte und schliesslich den Ball ins Tor schoss.

Harm Osmers erkannte den Treffer an, Mario Götze protestierte dagegen, wofür ihm der Unparteiische die Gelbe Karte zeigte. Auch der Frankfurter Torwart Kevin Trapp äusserte nach dem Spiel im Interview leichte Zweifel daran, dass die Ausführung des Elfmeters regulär war.

Es ist ein erstaunlich zählebiges Gerücht, dass der Anlauf beim Strafstoss in einem Zug ausgeführt werden muss. Der Schütze darf während des Anlaufs verzögern, unterbrechen, sogar abstoppen – all das sind Finten, die das Regelwerk erlaubt.

Nicht gestattet ist es dagegen, nach vollendetem Anlauf – das heisst, wenn der Schütze einen Fuss neben den Ball gestellt hat und mit dem anderen Bein ausholt – die Schussbewegung nur vorzutäuschen oder abzubrechen, um erneut auszuholen. Hier haben die Regelhüter die Grenze zwischen zulässigem Trick und unsportlicher Täuschung gezogen. Gegen Kramarićs Elfmeterausführung gab es somit nichts einzuwenden.

Manche mögen es kritisch sehen, dass das Regelwerk dem Schützen beim Strafstoss erheblich mehr Freiheiten genehmigt als dem Torhüter, der mit einem Fuss auf oder hinter der Torlinie bleiben muss, bis der Schütze den Ball getreten hat. Doch dieses Ungleichgewicht ist von den Regelhütern gewollt.

Denn der Strafstoss ist eine Kompensation für eine Regelübertretung des verteidigenden Teams in der torgefährlichsten Zone des Spielfeldes. Deshalb sollen die Erfolgsaussichten beim Elfmeter für das ausführende Team grösser sein als für die Mannschaft, die das Vergehen im Strafraum begangen hat.

Jöllenbeck macht seinen Elfmeterpfiff transparent

Begonnen hatte der Spieltag am Freitagabend unter anderem mit der spektakulären Partie zwischen dem 1. FSV Mainz 05 und dem FC Schalke 04 (2:3), die mit dem späten Siegtreffer der Gäste durch einen von Marius Bülter verwandelten Foulelfmeter endete.

Noch am Sonntag dauerten die Diskussionen darüber an, ob die Entscheidung von Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck, nach dem Zweikampf zwischen Bülter und Anthony Caci im Mainzer Strafraum und dem folgenden, vom VAR empfohlenen On-Field-Review einen Elfmeter für die Schalker zu geben, korrekt war.

Der Referee selbst äusserte sich mehrmals öffentlich dazu: nach dem Spiel in Fernsehinterviews, am Sonntag in der Talksendung "Doppelpass" und auch auf seinem Twitter-Account.

Im Laufe des Zweikampfs hatten beide Spieler ihren Gegner am Trikot gehalten, Caci allerdings als Erster, deutlich länger und am Ende zudem klarer. Bülter hatte so keine Möglichkeit mehr, den Mainzer Keeper Robin Zentner beim Fangen des heranfliegenden Balles herauszufordern.

Der Knackpunkt in der Debatte war, wie man Bülters zwischenzeitlichen Griff an das Jersey von Caci bewerten sollte. Als fussballtypisches "Positionsgerangel" bezeichnete der Unparteiische diesen Einsatz, wie auch den vorherigen von Caci.

Eine nachvollziehbare Entscheidung in einer schwierigen Situation

Als der Mainzer den Versuch des Schalkers, sich Zentner zu nähern, durch ein überdeutliches Festhalten am Trikot unterband, waren für Jöllenbeck dagegen die Grenzen des Zulässigen überschritten. "Es war ein langes, klares Halten", das "den Rahmen gesprengt hat", erklärte er.

Auf dem Feld habe er es gleichwohl nicht wahrgenommen, daher habe ihm VAR Günter Perl ein On-Field-Review empfohlen. Ein weiser Rat, auch angesichts der heftigen Kritik an Schiedsrichter und VAR nach dem Spiel zwischen dem VfL Bochum und Borussia Dortmund eine Woche zuvor – und eingedenk der besonderen Tragweite der Entscheidung.

Matthias Jöllenbeck hat in einer schwierigen Situation eine begründete und nachvollziehbare Entscheidung getroffen. Bülters Einsatz war an der Grenze des Erlaubten, Caci jedoch der insgesamt aktivere Part, bei dem sich ein Regelverstoss zudem nicht von der Hand weisen liess.

Im "Doppelpass" bewertete Oliver Ruhnert, Geschäftsführer des 1. FC Union Berlin und im Amateurfussball selbst als Unparteiischer aktiv, nicht nur den Elfmeterpfiff als korrekt, er lobte auch die gesamte Spielleitung des Schiedsrichters.

Zu Recht, denn Jöllenbeck hatte diese brisante Begegnung gut unter Kontrolle, er sorgte mit seiner Linie bei der Zweikampfbewertung für Spielfluss und bewahrte auch in der hektischen Schlussphase den Überblick. Das war eine echte Herausforderung.

Alex Feuerherdt lebt in Köln und ist dort seit vielen Jahren verantwortlich für die Aus- und Fortbildung der Unparteiischen. Ausserdem wird der 52-Jährige als Schiedsrichter-Beobachter in Spielklassen des DFB eingesetzt und arbeitet für den Verband auch als Schiedsrichter-Coach.
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