In Berlin bekommt Eintracht Frankfurt in letzter Minute einen Strafstoss zugesprochen, der zunächst vertretbar anmutet. Trotzdem nimmt ihn der Schiedsrichter nach Rücksprache mit dem VAR zurück – und spricht später über seine Beweggründe. Fragen bleiben dennoch.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzung des Autors einfliesst. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten

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In der Partie zwischen Hertha BSC und Eintracht Frankfurt (1:1) lief die 89. Minute, als die Gäste aus Hessen noch einmal den Versuch unternahmen, den Siegtreffer zu erzielen. An der Strafraumgrenze passte Randal Kolo Muani den Ball zu Rafael Borré, der am linken Torraumeck an Torwart Oliver Christensen vorbeilief und danach zu Fall kam.

Schiedsrichter Frank Willenborg entschied sofort auf Strafstoss, zudem verwarnte er den Schlussmann der Hertha. Der Referee hatte dessen Einsatz als ballorientierte Vereitelung einer offensichtlichen Torchance bewertet, entsprechend zeigte er Christensen die Gelbe Karte.
Wenn es einen Strafstoss gibt, ist die Überprüfung der Entscheidung durch den Video-Assistenten obligatorisch.

Als der Check von Markus Schmidt in Köln abgeschlossen war, lief der Unparteiische nach kurzer Rücksprache mit seinem VAR an den Monitor am Spielfeldrand, um die Bilder selbst in Augenschein zu nehmen.

Genau 90 Sekunden dauerte das On-Field-Review, in dem sich Willenborg den Zweikampf zwischen Christensen und Borré mehrmals und aus unterschiedlichen Kameraeinstellungen zeigen liess. Anschliessend revidierte er seinen Elfmeterpfiff sowie die Gelbe Karte und setzte das Spiel mit einem Schiedsrichterball fort.

Es war ein Entschluss, der unterschiedliche Reaktionen hervorrief. Sandro Schwarz etwa befürwortete ihn: "Nicht jeder Kontakt ist ein Foul", sagte der Trainer der Hertha. Der Frankfurter Torwart Kevin Trapp hingegen war anderer Meinung: "Wenn der Schiedsrichter gefühlt zehn Minuten braucht, um diese Entscheidung zurückzunehmen, dann ist es für mich keine klare Fehlentscheidung."

Oliver Christensen hatte in der betreffenden Szene den Ball knapp verpasst und Borré kurz mit der linken Hand am rechten Fuss getroffen. Eine klassische "Schwalbe" lag also nicht vor.

Willenborg: Kein "Wegziehen", sondern nur ein "Streifen"

Im Interview des Senders Sky äusserte sich der Referee später ausführlich. "Meine Wahrnehmung auf dem Spielfeld war die, dass der Torwart dem Spieler den Fuss wegzieht", erklärte er. Doch diese Wahrnehmung sei durch die Bilder widerlegt worden.

Zwar habe es eine Berührung gegeben, doch die sei "nicht ursächlich für das Fallen des Spielers" gewesen, so Willenborg. Es habe sich lediglich um ein "Streifen" gehandelt und nicht um ein "Wegziehen" des Fusses – das heisst: um einen erheblich geringeren Impuls.

Der Schiedsrichter verwies darüber hinaus auf seine insgesamt grosszügige Linie bei der Zweikampfbewertung in dieser Begegnung und merkte nachvollziehbar an: "Diese kleine Berührung hätte ich im Mittelfeld auch nicht gepfiffen." Dennoch stellt sich die Frage, ob die getroffene Entscheidung so klar und offensichtlich falsch war, dass sie auf keinen Fall bestehen bleiben durfte. Oder ob es nicht doch Argumente für sie gab, selbst wenn mehr für eine andere Entscheidung sprach.

In der Sendung "Doppelpass" nannte Willenborg diesen Strafstoss einen "cheap penalty", einen "billigen Elfmeter" also, den man als Unparteiischer möglichst nicht geben sollte. Diese Bezeichnung passt in der Tat zur ursprünglichen Entscheidung. Trotzdem soll es einen VAR-Eingriff nun einmal nur bei eindeutigen Fehlern geben und nicht, um eine umstrittene Entscheidung in eine weniger strittige zu verwandeln.

Wie Schiedsrichter und VAR klären, ob ein eindeutiger Fehler vorliegt

Es ist allerdings hilfreich zu wissen, wie zwischen VAR und Referee ermittelt wird, ob ein klarer und offensichtlicher Fehler vorliegt. Dies geschieht wesentlich dadurch, dass der Unparteiische dem VAR seine Wahrnehmung schildert und der Video-Assistent sie mit dem vorliegenden Bildmaterial abgleicht. Wenn sich dabei eine deutliche Diskrepanz ergibt, dann folgt oftmals der Rat zum On-Field-Review.

Im konkreten Fall hatte Frank Willenborg kommuniziert, ein "Wegziehen" des Fusses wahrgenommen zu haben. Das aber gaben die Bilder nicht her, sie zeigten nur einen kurzen Kontakt zwischen Christensens Handinnenfläche und Borrés Sprunggelenk, den man sicherlich nicht unbedingt als ursächlich für den Sturz des Eintracht-Stürmers bewerten musste.

Von aussen betrachtet nimmt man dagegen eher die Entscheidung in ihrer Gesamtheit wahr, weil ja nicht bekannt ist, welche Beobachtung der Schiedsrichter dem VAR genau übermittelt hat. Das kann dazu führen, dass man beispielsweise einen Elfmeterpfiff für zumindest vertretbar hält, dessen Zustandekommen dennoch auf einer falschen Wahrnehmung des Schiedsrichters beruhte, was wiederum den VAR in Gang setzte.

Ohne Kenntnis der üblichen Abläufe und dessen, was Frank Willenborg im Interview erklärt hat, erscheint Kevin Trapps Äusserung nach dem Spiel zumindest verständlich. Denn ist eine Entscheidung wirklich unzweifelhaft falsch, wenn der Schiedsrichter am Monitor einige Zeit benötigt, um zu einem endgültigen Urteil zu gelangen?

Eines muss man dazu allerdings ebenfalls wissen: Wenn der Unparteiische in die Review Area eilt, bewertet er die Bilder, die ihm gezeigt werden, noch einmal ganz neu. Natürlich wird er nur an den Monitor laufen, wenn der VAR ihm dazu rät, weil er eine falsche oder fehlende Wahrnehmung des Referees festgestellt hat. Und natürlich wird der Schiedsrichter eine Entscheidung nur ändern, wenn er davon überzeugt ist, dass er sich zuvor geirrt oder etwas Wesentliches übersehen hat. Aber zentral ist eben, dass seine ursprüngliche Entscheidung keine Hürde darstellt, die er erst überwinden müsste.

Besser ein On-Field-Review zu viel als eines zu wenig?

Vor dem Beginn der Saison hatten Schiedsrichter-Chef Lutz Michael Fröhlich und der Projektleiter der Video-Assistenten, Jochen Drees, auf einem Medienworkshop in Frankfurt geurteilt, dass die Kritik am VAR in der Öffentlichkeit immer dann besonders stark sei, wenn dieser vermeintlich oder tatsächlich zu Unrecht auf einen Eingriff verzichtet habe.

Dem Schiedsrichter, so heisse es dann oft in den Medien und vonseiten der Klubs, möge doch zumindest noch einmal die Gelegenheit gegeben werden, sich die Bilder selbst anzusehen, bevor er sich endgültig festlegt. Eine vermeintlich oder tatsächlich unberechtigte Intervention aus Köln sorge dagegen seltener für Debatten.

Deshalb habe man die Video-Assistenten angewiesen, den Unparteiischen gegebenenfalls eher einmal zu oft als einmal zu selten zum On-Field-Review zu raten. Einerseits ist das nachvollziehbar, weil so der Referee in besonders strittigen Fällen derjenige ist, der vor der endgültigen Entscheidung als Letzter die Bilder sieht.

Andererseits kann das die Eingriffsschwelle für den VAR womöglich in einem Masse herabsetzen, dass das Prinzip, nur bei klaren und offensichtlichen Fehlern zu intervenieren, aufgeweicht wird. Das aber würde dem Grundgedanken des Video-Assistenten widersprechen. Ungeachtet dessen muss man Frank Willenborg dankbar dafür sein, dass er seine Gedanken und sein Vorgehen so ausführlich und verständlich erklärt hat. Er wollte keinen potenziell spielentscheidenden Strafstoss stehen lassen, von dem er nach der Rücksprache mit VAR Markus Schmidt nicht mehr überzeugt war.

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"Mir ist es wichtig, dass am Ende die richtige Entscheidung getroffen wird", sagte Willenborg zu Sky. Die "Zeit, das richtig zu bewerten", habe er sich deshalb genommen. Gründlichkeit geht nun mal vor Schnelligkeit. Und Transparenz, wie sie der Spielleiter aus Osnabrück gezeigt hat, sorgt für mehr Akzeptanz.

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