Wegen eines vermeintlichen Fouls am Torhüter wird ein Treffer von Union Berlin im Spiel gegen den VfL Wolfsburg annulliert. Dabei liegt eigentlich keine Regelwidrigkeit vor, denn die Keeper werden im Torraum nicht mehr bevorzugt behandelt.
Was sich in der Partie zwischen dem FC Union Berlin und dem VfL Wolfsburg (2:2) nach rund einer Stunde zutrug, war wirklich äusserst kurios.
Einen Eckstoss zirkelte Christopher Trimmel direkt auf das Gästetor. Der Ball flog an allen Mit- und Gegenspielern vorbei und landete schliesslich im Unterleib des Berliners Taiwo Awoniyi, der auf der Torlinie stand.
Von dort prallte die Kugel in den Wolfsburger Kasten. Doch die Freude der Gastgeber währte nicht lange, denn Schiedsrichter Patrick Ittrich verweigerte dem Tor zum 3:1 die Anerkennung.
Der Unparteiische aus Hamburg hatte ein Foulspiel von Awoniyi am Wolfsburger Torwart Koen Casteels gesehen. Der Schlussmann der Niedersachsen befand sich direkt hinter dem Stürmer, der damit ein Hindernis für den Keeper auf dem Weg zum Ball war.
Trainer Fischer sieht kein Vergehen
Casteels bemühte sich zwar noch, den Ball zu erreichen, indem er seine Arme links und rechts an Awoniyi vorbeiführte, doch das war vergeblich. Hatte der Angreifer des FC Union sich in dieser Situation tatsächlich regelwidrig verhalten?
Sein Trainer
Tatsächlich heisst es im Regelwerk: "Jeder Spieler darf seine Position auf dem Feld selbst bestimmen. Er darf dem Gegner zwar im Weg stehen, sich ihm jedoch nicht in den Weg stellen."
Ausserdem darf ein Spieler "den Ball abschirmen, indem er sich zwischen Gegner und Ball stellt, wenn der Ball in spielbarer Distanz ist und der Gegner nicht mit den Armen oder dem Körper abgedrängt wird".
Der Torwart geniesst keinen besonderen Schutz mehr
Ja, ein bisschen hatte Awoniyi schon die Arme nach hinten geführt, aber nur kurz und nicht besonders nachdrücklich. Doch existiert nicht eine Sonderregelung für die Torhüter im eigenen Torraum? Die gab es tatsächlich viele Jahre, bis sie im Sommer 2012 gestrichen wurde.
Auf der Website des DFB ist in einem Beitrag mit dem Titel "Der Torwart und die Fussballregeln" nun zu lesen: "Eine weit verbreitete Meinung auf nahezu jedem Fussballplatz der Republik ist, dass der Torwart in seinem Torraum einen besonderen Schutz geniesst. Blickt man ins Regelwerk, stellt man fest, dass dem gar nicht so ist."
Neben dem Schutz, dass der Torwart nicht angegriffen werden darf, wenn er den Ball hält, gebe es keine weiteren Bestimmungen dazu, fährt der Text fort. "Lediglich in den FIFA-Auslegungen findet man noch den Hinweis, dass der Torwart nicht unfair bedrängt werden darf. Dies gilt beispielsweise bei einem Eck- oder Freistoss."
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Wäre gepfiffen worden, wenn Casteels ein Feldspieler wäre?
Doch wurde Casteels wirklich unfair bedrängt? Taiwo Awoniyi hat eigentlich weder geschoben noch gedrückt, er war lediglich im Weg. Als der Ball in die Nähe kam, hat er ihn abgeschirmt – und schliesslich im Tor untergebracht.
Hätte der Schiedsrichter dieses Verhalten geahndet, wenn Awoniyis Gegenspieler kein Torhüter gewesen wäre, sondern ein Feldspieler? Wahrscheinlich nicht.
Denn es kommt oft vor, dass sich ein Stürmer mit dem Rücken zum Tor befindet und in Erwartung des Balles ein wenig seinen Körper und die Arme einsetzt, während er von einem hinter ihm befindlichen Verteidiger bedrängt wird, der das Gleiche tut.
Die Unparteiischen greifen in solchen Fällen nur ein, wenn es zu einem eindeutigen Halten oder Stossen kommt. Warum sollte das anders sein, wenn der Gegner ein Torwart ist und die Regeln ihm keine besondere Stellung (mehr) einräumen?
Der Unterschied zwischen Regeltheorie und Regelpraxis
Nun, vielleicht deshalb, weil er eben doch eine besondere und aufgrund seiner Funktion auch eine exponierte Figur im Fussballspiel ist, die in der Praxis ein bisschen anders behandelt wird. Und die von den Schiedsrichtern auch mal einen Freistoss bekommt, der für einen Feldspieler nicht unbedingt gepfiffen werden würde.
Es ist kein Zufall, dass Spieler häufig besonders emotional reagieren, wenn ihr Torwart attackiert wird. Das beeinflusst natürlich auch die Regelauslegung und -anwendung der Referees. Selbst wenn die Theorie mittlerweile etwas anderes vorsieht, pfeifen die Unparteiischen bei Zweikämpfen der Schlussleute oft immer noch kleinlicher.
Daher ist es durchaus verständlich, dass Patrick Ittrich das Duell zwischen Awoniyi und Casteels als Blockieren, regeltechnisch als "Sperren mit Körperkontakt" durch den Berliner bewertet hat. Durch diesen Ermessensspielraum lag auch kein klarer und offensichtlicher Fehler vor, der den Video-Assistenten zum Eingreifen gezwungen hätte.
Trotzdem gab es hier bessere Argumente dafür, das Tor anzuerkennen. Denn Urs Fischer hat Recht: Awoniyi konnte sich nicht in Luft auflösen und musste dem Torhüter auch nicht freundlich Platz machen. Es gibt gute Gründe, sein Zweikampfverhalten als regulär zu bewerten.
Berechtigte Eingriffe des Video-Assistenten
So kam Wolfsburg am Ende noch zu einem 2:2. Denn nach einem Handspiel von Marcus Ingvartsen im eigenen Strafraum gab es in der 65. Minute einen Elfmeter für die Gäste, den Wout Weghorst verwandelte.
Das Handspiel hatte auf dem Rasen fast niemand bemerkt, auch Referee Ittrich nicht. Doch der Video-Assistent überprüfte die Szene und stellte dabei den schwer zu sehenden, aber dennoch eindeutigen Regelverstoss von Ingvartsen fest, der seine Körperfläche vergrössert hatte.
15 Minuten zuvor hatte der VAR schon einmal interveniert: Als der Wolfsburger Maximilian Arnold durch ein kurzes, aber wirkungsvolles Halten an der Schulter den davoneilenden Taiwo Awoniyi zu Fall brachte, ahndete der Unparteiische diese Verhinderung einer offensichtlichen Torchance mit einem Strafstoss für Union.
Die Überprüfung ergab allerdings, dass sich das Vergehen ausserhalb des Strafraums ereignet hatte. Patrick Ittrich korrigierte seine Entscheidung deshalb und gab statt des Elfmeters einen Freistoss, den Robert Andrich zum 2:1 verwandelte. Bei der Roten Karte gegen Arnold blieb es jedoch – und das zu Recht.
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