Die Schiedsrichter kommen bei der Bewertung von Handspielen wieder in die Spur. Allerdings gibt es Streit über ein Abseits vor dem zweiten Mainzer Tor und über zu viel Nachsicht für einen jungen Profi des BVB. Ein besonderer Fairness-Rekord wird derweil nicht ausgebaut.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
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Am vorletzten Spieltag wurde das Spitzenspiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München (2:3) bekanntlich durch einen umstrittenen Handelfmeter entschieden. Prompt flammte die leidige Diskussion über das Thema Handspiel im Strafraum erneut auf.

Dabei hatten die Schiedsrichter bis zu diesem Zeitpunkt die vor der Saison erneut geänderte Handspielregel, bei der nun wieder die Absicht stärker berücksichtigt wird, gut und konsistent umgesetzt. Doch wenn etwas funktioniert, wird das in der Öffentlichkeit häufig deutlich weniger beachtet als das Gegenteil.

Deshalb sei hier betont, dass Handspiele an diesem 16. Spieltag von den Unparteiischen nachvollziehbar und regelkonform bewertet wurden. Die wichtigsten Beispiele:

Nicht nur der Handelfmeter für Augsburg war berechtigt

  • Arminia BielefeldVfL Bochum (2:0): In der 86. Minute springt der Ball nach einer Flanke in den Strafraum der Gastgeber gegen den linken Arm von Joakim Nilsson. Der Bielefelder wird davon überrascht, dass sein direkt vor ihm postierter Gegenspieler Anthony Losilla den Ball verfehlt. Ausserdem ist sein Arm nahe am Körper und in einer natürlichen Haltung, am Ende versucht Nilsson sogar noch, ihn aus der Flugbahn des Balles zu nehmen. Schiedsrichter Benjamin Brand lässt weiterspielen und liegt damit völlig richtig.
  • FC Augsburg – RB Leipzig (1:1): Wenige Minuten vor Schluss kommt es im Leipziger Strafraum gleich zweimal zu einem Handspiel der Gäste, jeweils nach einem Eckstoss: Zunächst lenkt Willi Orban den Ball mit dem Arm ab, der aber fast am Körper angelegt ist. Danach trifft Benjamin Henrichs die Kugel mit dem Ellenbogen seines vorgestreckten Arms. Referee Florian Badstübner entscheidet beide Male korrekt: Nach Orbans Handspiel lässt er weiterspielen, nach Henrichs‘ Handspiel dagegen gibt er einen Strafstoss für die Augsburger.
  • Borussia Dortmund – SpVgg Greuther Fürth (3:0): Nach einer halben Stunde fliegt der Ball im Strafraum der Gäste nach einem Schuss von Erling Haaland gegen den ausgefahrenen Arm des Fürthers Maximilian Bauer. Schiedsrichter Daniel Schlager nimmt das Handspiel auf dem Feld jedoch nicht wahr, deshalb schaltet sich Video-Assistent Günter Perl ein. Zu Recht, denn Bauers Armhaltung entspricht keiner natürlichen, für die Situation normalen Bewegung. Nach dem On-Field-Review erkennt Schlager deshalb auf Strafstoss.

Bellingham und Diaby kommen glimpflich davon

In einer anderen Situation in dieser Partie zeigte der Unparteiische dagegen weniger Konsequenz. Dabei hatte er Jude Bellingham nach 43 Minuten noch richtigerweise verwarnt, als dieser den Fürther Torwart Sascha Burchert beim Stellen der Freistossmauer abzulenken versucht hatte. Unmittelbar vor der Pause ersparte Schlager dem 18-Jährigen jedoch die zweite Gelbe Karte, die den Feldverweis bedeutet hätte.

Bellingham hatte sich den Ball etwas zu weit vorgelegt und ihn dann beim folgenden Tackling mit viel Risiko zwar noch einmal gespielt, anschliessend jedoch mit voller Dynamik den Fürther Max Christiansen rustikal abgeräumt. Gelb-Rot wäre hier eine bessere Entscheidung gewesen, denn Bellinghams Einsatz war rücksichtslos.

Dafür endete in zwei anderen Begegnungen die längste Serie an Bundesliga-Spieltagen ohne Feldverweis seit der Einführung von Gelb-Rot in der Saison 1991/92. In den vergangenen fünf Spielrunden stellten die Referees keinen einzigen Spieler vom Platz, nun aber erwischte es den Frankfurter Tuta beim 3:2-Sieg der Eintracht in Mönchengladbach und den Leverkusener Moussa Diaby beim 2:2 von Bayer 04 gegen die TSG 1899 Hoffenheim. Beide mussten wegen wiederholten Foulspiels mit Gelb-Rot vorzeitig vom Feld.

Diaby hätte für seinen "Wischer" ins Gesicht von Sebastian Rudy nach 20 Minuten statt der Gelben auch die Rote Karte sehen können. Allerdings gewährt das Regelwerk den Unparteiischen bei solchen Handlungen einen gewissen Ermessensspielraum.

In der Regel zwölf, die sich mit "Fouls und sonstigem Fehlverhalten" befasst, heisst es: "Ein Spieler, der ohne Kampf um den Ball einem Gegner oder einer anderen Person absichtlich mit der Hand oder dem Arm an den Kopf oder ins Gesicht schlägt, begeht eine Tätlichkeit, es sei denn, die eingesetzte Kraft war vernachlässigbar."

Durch die Einschränkung im letzten Halbsatz war es gerade noch zu vertreten, Diaby für sein Vergehen nur zu verwarnen. Später wurde der Leverkusener für ein Foul an Florian Grillitsch dann aber doch vorzeitig zum Duschen geschickt.

Beim 2:0 für Mainz spricht viel für ein strafbares Abseits

Im Spiel des 1. FSV Mainz 05 gegen Hertha BSC (4:0) wiederum liess sich leidenschaftlich über das zweite Tor der Gastgeber streiten. Denn bevor Alexander Hack nach 41 Minuten traf, hatte sich Moussa Niakhaté in der Strafraummitte im Abseits befunden und beim Versuch, den Ball zu erreichen, die Kugel mit dem Fuss nur knapp verfehlt.

Schiedsrichter Harm Osmers erkannte den Treffer jedoch an, auch aus der Videozentrale in Köln gab es keine Einwände. Dabei sprach viel dafür, Niakhatés Verhalten als ahndungswürdige Beeinflussung eines Gegners zu bewerten.

Eine solche Beeinflussung liegt laut Regelwerk zum Beispiel vor, wenn ein Spieler im Abseits mit einem Gegner einen Zweikampf um den Ball führt. Oder wenn er eindeutig versucht, den Ball in seiner Nähe zu spielen, und dadurch Einfluss auf den Gegner nimmt. Oder wenn er eindeutig aktiv wird und so die Möglichkeit des Gegners beeinträchtigt, den Ball zu spielen.

Niakhaté führte mit Davie Selke ohne Zweifel einen Zweikampf um den Ball. Allerdings konnte der Berliner den hinter ihm positionierten Mainzer dabei nicht sehen. Andere Herthaner in der Nähe wie Suat Serdar und Niklas Stark dagegen reagierten mit ihrem Verteidigungsverhalten auf Niakhatés Versuch, den Ball zu spielen.

Doch vermutlich war Harm Osmers und auch seinem Video-Assistenten Sascha Stegemann die mögliche Beeinflussung nicht konkret, nicht greifbar genug, um die Abseitsstellung als strafbar zu bewerten.

Die deutliche Aktivität von Niakhaté in Richtung des Balles und die Reaktion der Abwehrspieler darauf, auch durch ihre Positionierung, sind aber wesentliche Argumente für ein ahndungswürdiges Abseits.

Bei Starks Foul liegt der Unparteiische ganz richtig

In einer weiteren äusserst kniffligen Situation, die sich nach knapp einer Stunde ereignete, lagen der Unparteiische und der VAR dagegen völlig richtig.

Niklas Stark hatte den Mainzer Angreifer Karim Onisiwo an der Strafraumgrenze mit einer Grätsche zu Fall gebracht. Ob sich das Foulspiel innerhalb oder ausserhalb des Strafraums zugetragen hatte, war dabei sehr schwer zu erkennen.

Referee Osmers verortete es ausserhalb – und damit lag er genau richtig. Zwar war Onisiwo mit der Fussspitze bereits auf der Strafraumlinie, die bekanntlich zum Strafraum gehört. Doch bei typischen Kontaktvergehen wie dem Beinstellen oder dem Treten kommt es auf den exakten "point of contact" an, den genauen Ort des Treffers also.

Dieser lag hier ganz knapp ausserhalb des Strafraums, denn Stark traf seinen Gegner mit dem Knie an der Fussseite, die sich anders als die Fussspitze nicht auf der Strafraumlinie befand. Das mag vielleicht allzu theoretisch klingen. Doch wenn technische Hilfsmittel zur Überprüfung einer Entscheidung eingesetzt werden, sind solche Details wesentlich.

Und wem das ein Stück zu weit geht, der wird sich vielleicht von dem Argument überzeugen lassen, dass die Bilder jedenfalls nicht zeigen, dass der Schiedsrichter mit seiner Entscheidung falsch lag. Und dass der VAR schon deshalb keinen Grund hatte, einzugreifen.

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