Der VfL Wolfsburg erzielt ein Tor nach einem knappen Abseits, doch der Video-Assistent meldet sich nicht. So kurios das auch anmutet: Er lag damit richtig. Die Zurückhaltung seines Kollegen beim Spiel in Mainz ist dagegen nur schwer zu verstehen.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne

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Mancher Beobachter der Partie zwischen dem VfL Wolfsburg und dem VfB Stuttgart (2:0) am Dienstagabend rieb sich kurz vor der Halbzeitpause verwundert die Augen.

Wout Weghorst hatte nach einem haarsträubenden Fehlpass von Santiago Ascacibar das Tor zum 2:0 für die Gastgeber erzielt. Doch die Zeitlupen zeigten, dass dem Treffer eine Abseitsstellung von Yannick Gerhardt vorausgegangen war.

Trotzdem reagierte weder der Schiedsrichter-Assistent an der Seitenlinie noch der Video-Assistent in Köln. Ein Fehler der Unparteiischen?

Unstrittig ist, dass sich Gerhardt beim Zuspiel von Daniel Ginczek knapp im Abseits befand. Doch ob er aus dieser Abseitsposition heraus ins Spiel eingriff – und nur dann wäre es strafbar gewesen –, ist keineswegs eindeutig.

Den Ball berührte er jedenfalls nicht, der Stuttgarter Marc-Oliver Kempf kam vor ihm an die Kugel. Allerdings ist es auch nicht gestattet, im Abseits einen Gegner zu beeinträchtigen.

Strafbares Abseits von Gerhardt?

Eine solche Beeinträchtigung liegt laut Regel 11 dann vor, wenn der im Abseits befindliche Spieler entweder einen Gegner "angreift, um den Ball spielen zu können", oder "eindeutig versucht, den Ball in seiner Nähe zu spielen, wenn diese Aktion einen Gegner beeinflusst", oder "eindeutig aktiv wird und so klarerweise die Möglichkeit des Gegners beeinflusst, den Ball zu spielen".

Den Ball hat Gerhardt nicht zu spielen versucht, er lief lediglich in kurzem Abstand hinter Kempf her. Wurde er bereits dadurch "eindeutig aktiv", hat er den Stuttgarter also "klarerweise beeinflusst"? Darüber kann man diskutieren. Einiges spricht dafür, denn passiv verhielt sich Gerhardt nicht.

Kempf beförderte den Ball aus dem Strafraum, die Kugel kam zu seinem Mitspieler Ascacibar. Dieser wollte sie zu Timo Baumgartl spielen, doch ihm unterlief unbedrängt ein Fehlpass. Der Ball kam zu Weghorst, der ins Tor der Schwaben traf.

Schiedsrichter Robert Hartmann gab den Treffer. Auch der Video-Assistent hatte keine Einwände. Und das war richtig so, denn er hätte in dieser Situation gar nicht eingreifen dürfen. Selbst dann nicht, wenn er es für klar und offensichtlich falsch gehalten hätte, das Abseits von Yannick Gerhardt nicht zu ahnden.

Dem Video-Assistenten waren die Hände gebunden

Denn nach einem Tor darf nur die Angriffsphase überprüft werden, die dem Treffer unmittelbar vorausgegangen ist. Wann eine solche Angriffsphase beginnt und wann sie beendet ist, hat das International Football Association Board (Ifab) in einem Handbuch für die Video-Assistenten festgelegt.

Demnach endet sie zum Beispiel, wenn das verteidigende Team kontrolliert in Ballbesitz gelangt. Verliert sie den Ball dann bei einem Klärungsversuch durch einen Fehlpasses an den Gegner, beginnt eine neue Angriffsphase.

Das bedeutet: Mit der Klärung von Kempf, spätestens aber mit der unbedrängten Ballannahme von Ascacibar war nach den Leitlinien des Ifab eine Angriffsphase der Gastgeber abgeschlossen.

Eine neue begann, als Weghorst den Ball eroberte. Das war auch der Moment, bei dem der Video-Assistent mit seiner Überprüfung des Tores einsetzte. Das Abseits in der Angriffsphase zuvor durfte er somit nicht mehr unter die Lupe nehmen.

Gewiss: Man könnte argumentieren, dass es zu Ascacibars Schnitzer nicht gekommen wäre, wenn vorher auf Abseits entschieden worden wäre. Aber das hatte den Video-Assistenten nicht zu kümmern. Ihm waren einfach die Hände gebunden.

Korrekte Abseitsentscheidung in Freiburg

Anders verhielt es sich in der Partie zwischen dem SC Freiburg und Hannover 96 (1:1). Da köpfte kurz vor der Pause der Freiburger Robin Koch den Ball nach einer hohen Flanke ins Tor der Gäste.

Der Schiedsrichter-Assistent hob jedoch die Fahne und zeigte so eine Abseitsstellung an. Nicht vom Torschützen, sondern unmittelbar zuvor, also in derselben Angriffsphase, von dessen Mitspieler Janik Haberer.

Dieser hatte den Ball zwar, genau wie Gerhardt in Wolfsburg, nicht berührt. Aber er hatte womöglich den Hannoveraner Felipe beeinträchtigt.

Der Video-Assistent empfahl dem Unparteiischen Christian Dingert schliesslich ein Review am Spielfeldrand. Die Abseitsstellung von Haberer als solche war dabei unstrittig. Es ging ausschliesslich um die Frage, ob sie strafbar war.

Der Referee blieb nach dem Begutachten der Bilder bei seiner Abseitsentscheidung, und das war richtig so. Denn Haberer war zum Kopfball hochgestiegen und hatte versucht, den Ball zu spielen, wodurch er den direkt hinter ihm befindlichen Felipe beeinflusste.

Der Schiedsrichter-Assistent hatte die Situation also richtig beurteilt und der Unparteiische die korrekte Entscheidung getroffen.

Dennoch kam es zum Review, was daran lag, dass diese Situation sehr unübersichtlich war, weil sich mehrere Spieler beider Mannschaften auf engstem Raum ballten. Dingert war dadurch keine ungehinderte, vollständige und zweifelsfreie Beurteilung möglich.

Verwunderung in Mainz

Im Gegensatz dazu hatte Schiedsrichter Daniel Siebert in der Begegnung des 1. FSV Mainz 05 gegen Eintracht Frankfurt (2:2) freie Sicht, als der Mainzer Caricol Aaron in der 75. Minute den Ball aufs Tor der Gäste schoss und Carlos Salcedo ihn im eigenen Strafraum mit dem Oberarm abwehrte.

Der Frankfurter Verteidiger hatte seinen Arm zwar am Körper angelegt, doch seine Bewegung ging eindeutig zum Ball. Trotzdem stufte der Schiedsrichter dieses Handspiel nicht als strafbar ein.

Auch der Video-Assistent intervenierte nicht, und das war überraschend. Zwar ist seine Eingriffsschwelle hoch, wenn der Unparteiische zu verstehen gibt, dass er eine Szene vollständig erfasst hat.

Doch hier sprach viel dafür, dass der Referee einen klaren, offensichtlichen Fehler begangen hatte. Deshalb wäre es gerechtfertigt gewesen, ein Review zu empfehlen. Warum das nicht erfolgte, ist schwer zu verstehen.

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