Christoph Kramers zwischenzeitliches Ausgleichstor für Borussia Mönchengladbach in Dortmund hat zum Ende der Hinrunde der Bundesliga die Gemüter erhitzt. Kramer spielte den Ball mit der Hand. Sein Treffer zählte trotzdem. Unser Schiedsrichter-Experte erklärt, warum.
Wenn ein Torschütze den Ball mit der Hand berührt hat, darf der Treffer dann anerkannt werden? So mancher Experte meint: nein. Die Regeln sagen hingegen: Ja – wenn das Handspiel unabsichtlich geschehen ist. Im März geben die Regelhüter bekannt, ob sich daran in Zukunft etwas ändert.
Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, war trotz des Sieges seines BVB gegen Borussia Mönchengladbach (2:1) am Freitagabend ausser sich. "Das Tor von Gladbach – dann müssen wir Hand einfach abschaffen", sagte er nach dem Schlusspfiff.
Und weiter: "Dann lassen wir das alles weiterlaufen. Ein klareres Handspiel habe ich noch nie gesehen. Du köpfst dir selbst an die Hand und verschaffst dir so einen krassen Vorteil, das hat mich ein bisschen aufgeregt."
Ihm zur Seite sprang
"Wenn das keine Hand ist, ist das Wahnsinn", meinte er. "Damit verschafft er sich einen klaren Vorteil. Ich glaube, dass es grundsätzlich unabsichtlich war. Aber wenn du so köpfst, ist das unnatürlich. Die Regel macht so keinen Sinn."
Ganz anders sah es
"Ich habe den Ball irgendwie an die Hand bekommen", gab der 27-Jährige zu Protokoll. "Das habe ich Herrn Zwayer auch gesagt." Felix Zwayer war der Schiedsrichter der Partie und gab den Treffer. Zu Recht, wie Kramer fand: "Das war nicht Absicht und nicht unnatürlich."
Ob sich ein Spieler einen Vorteil verschafft, ist unerheblich
Der ZDF-Experte und frühere Nationaltorwart Oliver Kahn wiederum schloss sich Watzke und Sammer an. Der Torschütze habe sich "einen Vorteil verschafft", argumentierte auch er.
Das allerdings spielt nach den Fussballregeln keine Rolle. Der Schiedsrichter hat nur zu bewerten, ob ein Handspiel im regeltechnischen Sinne absichtlich erfolgt ist.
Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Spieler eine Hand oder einen Arm zum Ball führt, wenn seine Armhaltung im Moment des Ballkontakts unnatürlich, also nicht fussballtypisch ist oder wenn er den Ball mit einem Arm aufhält, der vom Körper weggestreckt ist.
Stuft der Unparteiische ein Handspiel dagegen als unabsichtlich ein, dann soll er es nicht ahnden. Selbst dann nicht, wenn der betreffende Spieler davon einen Vorteil hat, wie es etwa bei einer Torerzielung der Fall ist.
Regelhüter erwägen Regeländerung beim Handspiel
Das sorgt immer mal wieder für Kritik und Unzufriedenheit. Deshalb erwägen die obersten Regelhüter vom International Football Association Board (Ifab) nun eine Regeländerung.
Auf ihrem jährlichen "Business Meeting" haben sie Ende November in Glasgow die Idee diskutiert, die Handspielregelung zu reformieren.
Daran gedacht ist, den Begriff der Absicht aus dem Regeltext zu streichen und ihn durch "eine präzisere und detailliertere Beschreibung der verschiedenen Arten von Handspielvergehen" zu ersetzen, wie es in einer Pressemitteilung heisst.
Erwähnt wird in diesem Zusammenhang der Vorschlag, auch unabsichtliche Handspiele zu ahnden, wenn aus ihnen ein Tor oder eine klare Torchance resultiert.
Spruchreif ist dieser Plan allerdings noch nicht. Das Ifab wird erst am 2. März 2019 auf seiner Jahresversammlung verkünden, ob eine Änderung gibt, die dann zur nächsten Saison in Kraft treten würde.
Sollte es dazu kommen, müsste ein Tor wie das von Christoph Kramer künftig annulliert werden. Bis dahin lässt sich darüber streiten, ob es regelkonform war oder nicht.
Zwayers Entscheidung war vertretbar
Der Mönchengladbacher hatte sich den Ball wenige Meter vor dem Tor des BVB nach einer Flanke seines Mitspielers Denis Zakaria selbst an den Arm geköpft. Von dort sprang die Kugel an den Arm des Dortmunders Axel Witsel, bevor sie wieder zu Kramer gelangte, der zum 1:1 traf.
Referee Zwayer gab den Treffer. Ein kurzes Gespräch mit seinem Video-Assistenten Daniel Siebert in Köln führte zu keiner anderen Entscheidung, zu einem On-Field-Review kam es nicht.
Das bedeutet: Der Schiedsrichter hatte den Ablauf der Szene genau wahrgenommen und das Handspiel als nicht strafbar bewertet, der Video-Assistent darin keinen klaren und offensichtlichen Fehler gesehen.
Das war vertretbar. Denn die Arme beim Kopfball nach vorne zu strecken, um Schwung zu holen, ist weder unnatürlich noch ungewöhnlich.
Dass Kramer sich selbst anköpfen wollte, um so den Ball aufzuhalten und unter Kontrolle zu bringen, ist sehr unwahrscheinlich. Sein Ziel war es erkennbar, die Kugel direkt auf das Gehäuse der Dortmunder zu befördern. Der Kopfball war bloss technisch schlecht ausgeführt, aber das ist nicht strafbar.
Wenn man sich die Szene in der Realgeschwindigkeit ansieht, wird deutlich, wie schnell alles ging und wie unbeabsichtigt das Handspiel war.
Die Zeitlupe ist in solchen Fällen nur bedingt hilfreich, weil sie Aktionen durch die starke Verlangsamung bewusster aussehen lässt, als sie es eigentlich waren.
International gilt eine andere Auslegung
Gleichwohl ist es auf internationaler Ebene schon seit einer Weile gang und gäbe, Tore grundsätzlich zu annullieren, wenn zuvor die Hand im Spiel war, und sei es noch so unabsichtlich.
Deshalb wurde beispielsweise einem Treffer von Neymar im Finale der Champions League zwischen dem FC Barcelona und Juventus Turin (3:1) im Juni 2015 vom Unparteiischen die Anerkennung verweigert. Der Brasilianer hatte sich den Ball ungewollt selbst an den Arm geköpft, von wo er schliesslich ins Tor sprang.
Diese Regelauslegung, die die erwartete Änderung durch das Ifab vorwegnimmt, ist in der Bundesliga jedoch nicht üblich. Dort beurteilen die Referees in jedem Einzelfall, ob ein Handspiel im Rahmen einer Torerzielung die regeltechnischen Kriterien der Absicht erfüllt oder nicht.
Wer glaubt oder gar überzeugt ist, dass ein Handspiel immer dann zu ahnden ist, wenn ein Spieler daraus einen Vorteil zieht, muss sich also noch ein wenig gedulden.
Kein Thema für das Ifab ist es übrigens, unabsichtliche Handspiele wie das von Kramer generell unter Strafe zu stellen, wenn sie von Abwehrspielern bei Klärungs- oder Rettungsaktionen begangen werden.
Man macht in dieser Hinsicht also einen Unterschied zwischen der Torerzielung und der Torverhinderung.
Für die Verteidiger ist das eine gute Nachricht, nachdem etliche Regeländerungen der vergangenen Jahre, insbesondere beim Abseits, zugunsten der Offensive ausgefallen waren.
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