Nach einem Eingriff des Video-Assistenten wird in Dortmund ein falscher Strafstosspfiff in eine falsche Freistossentscheidung umgewandelt. Was sich merkwürdig anhört, folgt der Logik der Regularien. Eine Änderung sollte es trotzdem geben.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Alex Feuerherdt dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In der Auftaktpartie des 19. Spieltags zwischen Borussia Dortmund und dem 1. FC Köln (5:1) am Freitagabend waren elf Minuten gespielt, da kam es zu einer Szene, die regeltechnisch höchst kurios enden sollte.

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Bei einem raschen Angriff der Westfalen wollte Achraf Hakimi gerade mit dem Ball am Fuss in den Strafraum ziehen, als ihn der Kölner Sebastiaan Bornauw durch ein energisches Tackling stoppte.

Schiedsrichter Harm Osmers erkannte darin ein Foulspiel und entschied auf Strafstoss für den BVB, weil er den Tatort innerhalb des Sechzehnmeterraums ausgemacht hatte. Die Kölner protestierten, während sich Video-Assistent Tobias Stieler an die Überprüfung der Situation machte.

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Es kam zu einer kurzen Kommunikation zwischen Referee und VAR via Headset, dann änderte Osmers seine Entscheidung: Statt des Elfmeters gab er einen Freistoss für die Dortmunder vor dem Strafraum, ausserdem zeigte er Bornauw die Gelbe Karte.

Warum Bornauws Tackling kein Foul war

Das bedeutet: Stieler war beim Betrachten der Bilder zu dem Schluss gekommen, dass sich das von seinem Kollegen auf dem Rasen wahrgenommene Vergehen ausserhalb des Strafraums ereignet hatte.

Die Verwarnung ergab sich daraus zwangsläufig: Wird ein aussichtsreicher Angriff durch ein Foulspiel unterbunden, bei dem der Ball nur knapp verfehlt wird, dann führt das gemäss dem Regelwerk zwar innerhalb des Strafraums nicht zu einer Gelben Karte – ausserhalb hingegen schon.

Doch war es überhaupt ein Foul von Bornauw? Viel spricht dagegen, denn der Kölner Verteidiger hatte bei seiner Grätsche gezielt und kontrolliert zuerst den Ball getroffen, und zwar ausserhalb des Strafraums.

Erst danach kam es durch die Rutschbewegung zum Kontakt mit Hakimi – innerhalb des Strafraums. Dieser Kontakt war jedoch trotz Bornauws Dynamik nicht strafbar. Das muss auch Tobias Stieler so beurteilt haben, ansonsten hätte er Osmers‘ Elfmeterentscheidung bestätigt.

Logisch, aber merkwürdig – und umgekehrt

Aber warum gab es dann den Freistoss und sogar die Gelbe Karte, wenn das Tackling doch regulär war? Und weshalb schaute sich der Unparteiische die Bilder nicht selbst am Spielfeldrand an?

Die Antwort liegt in den Regularien und Abläufen begründet, an die sich der VAR halten muss: Nach einer Elfmeterentscheidung sieht er, falls erforderlich, erst einmal nach, ob sich das vom Schiedsrichter wahrgenommene Vergehen wirklich im Strafraum ereignet hat.

Denn der Ort des Kontakts ist, anders als das Foul- oder Handspiel selbst, eine faktische, also eine Schwarz-Weiss-Entscheidung – weshalb es auch keines On-Field-Reviews bedarf – und lässt sich im Regelfall schnell und zweifelsfrei feststellen.

Kommt dabei heraus, dass dieser Ort ausserhalb des Strafraums liegt, ist der Check für den Video-Assistenten auch schon wieder vorbei. Denn laut Protokoll wird die Berechtigung von Freistössen nicht geprüft.

Die Regelhüter mussten eine Grenze setzen

Osmers muss also gegenüber dem VAR deutlich gemacht haben, dass er die Aktion, in der Bornauw den Ball traf, als Foulspiel wahrgenommen hat. Und da diese Aktion vor dem Kölner Sechzehnmeterraum stattfand, durfte Stieler nicht mehr tun, als dem Referee mitzuteilen, dass sie sich eben nicht im Strafraum abspielte.

Das mag eigenartig scheinen, ist aber eine Folge davon, dass die Regelhüter des International Football Association Board (Ifab) eine Grenze setzen mussten, damit das Spiel nicht zu häufig wegen Überprüfungen durch den VAR unterbrochen ist.

Aus diesem Grund sind Freistossentscheidungen genauso wie Eckstoss-, Abstoss- und Einwurfentscheidungen von den Checks und Reviews generell ausgenommen.

So kam es, dass ein falscher Elfmeterpfiff in eine falsche Freistossentscheidung einschliesslich der dazu gehörigen falschen Verwarnung umgewandelt wurde. Aus einer gravierenden Fehlentscheidung wurde also eine weniger schwerwiegende.

Womöglich sinnvoll, in den Regularien nachzubessern

Das passt irgendwo zwar noch zur Idee, dass der VAR dafür da ist, (nur) möglicherweise spielverändernde Fehler zu verhindern. Auf der anderen Seite ist so etwas natürlich unbefriedigend.

Weiterhelfen können hätte hier ein On-Field-Review durch den Schiedsrichter, denn nach dessen Abschluss muss immer die komplett richtige Entscheidung stehen. Wenn es nur um den Ort eines mutmasslichen Vergehens geht, ist ein solches Review allerdings nicht vorgesehen.

Womöglich wäre es sinnvoll, her in den Regularien nachzubessern und eine Review-Empfehlung zu ermöglichen, wann immer der Video-Assistent bei der Überprüfung einer Schwarz-weiss-Entscheidung feststellt, dass sich diese Entscheidung zusätzlich in einer Grauzone abspielt.

Schliesslich darf der Video-Assistent ja auch ein On-Field-Review empfehlen, wenn sich nach einem eindeutig falschen Freistosspfiff herausstellt, dass das angebliche Vergehen innerhalb des Strafraums stattfand und deshalb eigentlich ein Elfmeter verhängt werden müsste.

Wenn es sich umgekehrt verhält wie in Dortmund, sollte genauso vorgegangen werden können.

Was sonst noch wichtig war

Als nach 68 Minuten in der Begegnung des VfL Wolfsburg gegen Hertha BSC (1:2) die Niedersachsen in Führung gingen, fragten sich viele: War das nicht Abseits? Die Bilder des Fernsehens legten jedenfalls nahe, dass Wout Weghorst mit einem Teil seines Körpers der gegnerischen Torlinie näher war als der Ball und zwei Herthaner, als Admir Mehmedi die Kugel von aussen in den Strafraum der Gäste brachte.

Weghorst duckte sich in letzter Sekunde weg, als der Ball auf ihn zuflog, und beeinflusste so die Möglichkeit von Rune Jarstein, an den Ball zu kommen. Denn der Torwart reagierte aufgrund dessen verzögert und hatte so keine Möglichkeit mehr, das Gegentor zu verhindern.

Ein Standbild mit Abseitslinien aus der Videozentrale in Köln hätte Aufklärung schaffen können, doch im Fernsehen wurde zumindest keines gezeigt. Lag keine Abseitsstellung vor? Oder hatte der Unparteiische entschieden, dass es keine Beeinflussung durch Weghorst gab? Und hatte der VAR in diesem Urteil keinen klaren und offensichtlichen Fehler gesehen? Die schnelle Spielfortsetzung würde sich so erklären, als Bewertung wäre es allerdings eine Überraschung.

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