Hannover 96 beschwert sich bei DFB und DFL über den Schiedsrichter und dessen Video-Assistenten - dabei lagen die Unparteiischen im entscheidenden Moment des Spiels gegen RB Leipzig richtig. Die Niedersachsen finden trotzdem, dass die Referees nicht anweisungsgemäss gehandelt haben, und äussern ihre Unzufriedenheit mit dem Videobeweis.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne

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André Breitenreiter war sich ganz sicher, dass seine Hannoveraner im Spiel gegen RB Leipzig (2:3) von Schiedsrichter Guido Winkmann um einen verdienten Punktgewinn gebracht worden waren.

Denn beim nicht anerkannten Ausgleichstreffer der 96er zum 3:3 habe sich der Torschütze Niclas Füllkrug keineswegs im Abseits befunden, glaubte der Trainer der Niedersachsen.

Der Ellenbogen des Leipzigers Yussuf Poulsen sei schliesslich "auf gleicher Höhe mit dem Fuss von Füllkrug" gewesen.

Ein Blick ins Regelwerk hätte Breitenreiter nicht geschadet. Dort nämlich heisst es zur Frage, mit welchen Körperteilen sich ein Angreifer im Abseits befinden (oder ein Abwehrspieler ein Abseits aufheben) kann, klipp und klar: "Die Hände und Arme aller Spieler, einschliesslich der Torhüter, werden nicht berücksichtigt."

Das ist nicht neu und sollte dem Coach eines Bundesligisten bekannt sein. Vor allem, wenn dieser es für nötig hält, den Schiedsrichter in dessen ureigenem Metier zu belehren.

Referee Winkmann lag jedenfalls richtig, als er das Tor mit Unterstützung des Video-Assistenten annullierte.

Dabei war Füllkrugs Abseitsstellung äusserst knapp und deshalb ohne Hilfslinien - die den Helfern in der Kölner Videozentrale weiterhin nicht zur Verfügung stehen - kaum eindeutig zu erkennen.

Hannover verlangt Erklärung von DFB und DFL

Dass der Treffer zurückgenommen wurde, überraschte daher nicht nur die Hannoveraner. Denn eigentlich sollen die Video-Assistenten nicht intervenieren, wenn ein strafbares Abseits im Zuge einer Torerzielung nicht zweifelsfrei festzustellen ist.

Aus diesem Grund behielt beispielsweise das Führungstor, das Robert Lewandowski am Samstagabend beim 6:0-Sieg des FC Bayern München gegen Borussia Dortmund erzielte, seine Gültigkeit.

Ein Abseitsverdacht lag zwar auf der Hand, liess sich aber nach Auffassung des Video-Assistenten nicht klar beweisen.

Hannovers Manager Horst Heldt beklagt nun das aus seiner Sicht unberechenbare Vorgehen der Helfer an den Monitoren in solchen Situationen. "Einmal so, einmal so - das geht nicht und ist ein grosses Ärgernis", findet er.

Der Video-Assistent hätte nach Heldts Dafürhalten bei Füllkrugs Tor gar nicht eingreifen dürfen.

An den DFB und die DFL hat Hannover 96 jetzt einen Brief geschickt, in dem der Klub um eine Erklärung zu seiner Meinung nach zweifelhaften oder gar falschen Entscheidungen des Schiedsrichters und des Video-Assistenten in der Partie gegen Leipzig bittet.

"Wir fühlen uns benachteiligt", suchte Heldt die Schuld für die erneute Niederlage vor allem beim Spielleiter. "Der Videobeweis ist bisweilen ein gutes Hilfsmittel, aber so ist er für uns nicht mehr akzeptabel."

Warum ein Abseits im Strafraum leichter zu identifizieren ist

Tatsächlich mutet es auf den ersten Blick unverständlich an, dass der Video-Assistent bei Lewandowskis Tor nicht eingriff, bei Füllkrugs Treffer dagegen schon. Bei näherem Hinsehen stösst man aber auf zwei zumindest nachvollziehbare Gründe.

Zum einen spielen die Kameraeinstellungen eine wesentliche Rolle. Szenen in Tornähe werden von den Strafraum- und den Torlinienkameras in einem günstigen Winkel erfasst, Szenen zwischen den Strafräumen hauptsächlich von der Führungskamera aufgenommen, die einen entsprechend grossen Raum abdeckt.

Das führt dazu, dass manche Bereiche auf dem Spielfeld, vor allem die Zonen etwa 25 bis 40 Meter vor dem jeweiligen Tor, nur in relativ stark verzerrter Perspektive gezeigt werden können.

Wenn der vorletzte Abwehrspieler dann noch vom Körper des womöglich im Abseits befindlichen Angreifers verdeckt wird, erschwert das ein Urteil zusätzlich.

Deshalb war die geprüfte Szene in Hannover, wo Füllkrug sich rund zwölf Meter vor dem Tor befand, besser zu beurteilen als jene in München, bei der Lewandowski etwa 25 Meter vor dem Tor angespielt wurde und der Dortmunder Verteidiger Manuel Akanji zudem hinter dem Bayern-Stürmer verschwand.

Auch beim Abseits spielt der Faktor Mensch eine Rolle

Der zweite Grund für die unterschiedlichen Entscheidungen ist ein menschlicher: Auch wenn es bei Abseitsstellungen theoretisch keine Grauzone gibt, existiert durch das Fehlen genormter Linien und die Verzerrung ein Interpretationsspielraum, den nicht jeder Video-Assistent auf die gleiche Weise nutzt.

Das heisst: Wo der eine sich sicher ist, hat ein anderer womöglich Zweifel. Da ist es vor dem Bildschirm nicht anders als auf dem Feld. Denn die Bilder sind eben längst nicht immer eindeutig, und deshalb ist es auch nicht möglich, zu einer völlig einheitlichen Auslegung zu kommen.

Mit kalibrierten Linien oder zusätzlichen mobilen Abseitskameras, wie sie der FIFA zufolge bei der Weltmeisterschaft eingesetzt werden, kann man das Problem zwar verkleinern.

Aber vollständig lösen wird man es dadurch auch nicht. Schon weil die Aufnahmen nur zweidimensional sind und eine am Boden gezogene Linie beispielsweise einen vorgeneigten Oberkörper nicht exakt zu erfassen vermag.

Ausserdem wird es dort, wo Menschen Bilder deuten müssen, immer zu unterschiedlichen Interpretationen kommen können. Das hat nichts mit Willkür zu tun, wie gerade wieder verschiedentlich behauptet wird. Es ist schlichtweg unvermeidlich.

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