Auf Schalke übertreibt der Gladbacher Lars Stindl die Folgen einer leichten Tätlichkeit derart, dass sich die Frage stellt: Müsste er für dieses Theater nicht auch bestraft werden? Christoph Kramer hält den Handelfmeter gegen sein Team derweil für eine Konzessionsentscheidung. Hat er Recht?
In der Gelsenkirchener Arena waren am Samstag zwölf Minuten gespielt, da wurde es in der Partie des FC Schalke 04 gegen Borussia Mönchengladbach (1:1) erstmals richtig hitzig. Nabil Bentaleb brachte den Gladbacher
Der deutsche Nationalspieler glaubte jedoch, dem Schalker auch unbedingt selbst die Meinung geigen zu müssen, und schob ihn ein Stück mit den Händen weg. Bentaleb versetzte Stindl daraufhin einen leichten Schlag gegen den Kopf. Nach kurzem Zögern ging Stindl mit lautem Wehklagen zu Boden, als hätte er eine schwere Gerade kassiert.
Referee Osmers bekam davon allerdings nichts mit, weil er sich gerade die Verwarnung notierte. Aber sein Assistent an der Seitenlinie hatte die Situation beobachtet und schaltete sich nun ein.
Bentaleb wurde schliesslich des Feldes verwiesen, was zwar hart, aber auch vertretbar war.
Warum Rot für Bentaleb vertretbar war
Denn in der Regel 12 (Fouls und unsportliches Betragen) heisst es: "Ein Spieler, der ohne Kampf um den Ball einem Gegner oder einer anderen Person absichtlich mit der Hand oder dem Arm an den Kopf oder ins Gesicht schlägt, begeht eine Tätlichkeit, es sei denn, die eingesetzte Kraft war vernachlässigbar."
Wobei unter "vernachlässigbar" beispielsweise ein leichter Wischer zu verstehen ist oder das nicht immer freundlich gemeinte, aber letztlich harmlose Tätscheln der Wange eines Gegners. Ein kurzer, gezielter Hieb auf die Schläfe dagegen rechtfertigt eine Bestrafung als Tätlichkeit, selbst wenn der Schlag für den Getroffenen nicht schmerzhaft ist – und dieser die Auswirkungen ausserdem schauspielerisch übertreibt.
Genau das hat Lars Stindl getan, weshalb so mancher sich gewünscht hätte, dass auch er nicht ungeschoren davonkommt. Die Schiedsrichter entschliessen sich allerdings nur selten und nur sehr ungern dazu, das Übertreiben der Folgen einer Unsportlichkeit ebenfalls als unsportliches Verhalten zu ahnden.
Denn das könnte so aussehen, als ob sie von der Bestrafung des ursprünglichen Vergehens selbst nicht so recht überzeugt wären und wirken wie eine Konzessionsentscheidung, irgendwie halbgar und nicht richtig konsequent.
Weshalb es kein Gelb für Stindl gab
Aus dem gleichen Grund gibt auch kein Unparteiischer einen Strafstoss und verwarnt trotzdem den Gefoulten, wenn dieser zwar tatsächlich unfair gestoppt wurde, aber auch mit grosser Theatralik hinfiel. Denn der Spielleiter würde unweigerlich gefragt werden: Ja, was denn nun? Foul oder Schwalbe? Es kann doch nicht beides vorliegen!
Regeltechnisch ist die Sache ausserdem nicht ganz einfach. "Ein Spieler ist wegen unsportlichen Betragens zu verwarnen, wenn er versucht, den Schiedsrichter z.B. durch das Vortäuschen einer Verletzung oder eines Fouls (Schwalbe) zu täuschen (Simulieren)", steht in der Regel 12 geschrieben.
Hat Stindl das getan? Immerhin ist er tatsächlich von Bentaleb geschlagen worden. Zwar nur leicht, aber doch so, dass eine Rote Karte gerechtfertigt war. Dennoch versteht man den allgemeinen Ärger über die bühnenreife, lächerlich wirkende Einlage des Mönchengladbachers, die einer Simulation gleichkam.
In einem solchen besonders grotesken Fall sollte deshalb auch das "Opfer" verwarnt werden. Der Schiedsrichter hätte alle Argumente dafür auf seiner Seite.
War Kramers Handspiel eindeutig strafbar?
Video-Assistent Benjamin Cortus hatte mit dieser Entscheidung übrigens nichts zu tun. Dafür aber umso mehr mit dem Handelfmeter, den die Schalker in der Nachspielzeit der ersten Hälfte zugesprochen bekamen und den Daniel Caligiuri zum 1:1 verwandelte.
Auf einen Hinweis aus der Zentrale in Köln schaute er sich die Szene allerdings in der Review Area selbst noch einmal an – und erkannte dann auf Strafstoss. Tatsächlich spricht manches für ein strafbares Handspiel. Zum Beispiel die Tatsache, dass der Schuss nicht unerwartet kam und Kramers Arm vom Körper abgewinkelt war.
Es gibt aber auch Gegenargumente, etwa die kurze Distanz und dass der Arm nicht unter Spannung stand, was ein Zeichen dafür ist, dass der Ball nicht aufgehalten werden sollte.
Die ursprüngliche Entscheidung des Schiedsrichters, weiterspielen zu lassen, war somit eigentlich nicht klar und offensichtlich falsch. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich der Video-Assistent einschaltete.
Christoph Kramer selbst – der für das Handspiel die Gelbe Karte sah, weil er damit einen Torschuss blockiert hatte – vermutete eine Konzessionsentscheidung von Harm Osmers als Grund: "Wenn es die Rote Karte nicht gibt, pfeift er auch den Elfmeter nicht."
Das kann man zwar bezweifeln. Dennoch waren beide Entscheidungen zumindest strenger, als der Unparteiische ansonsten pfiff. Und fielen insoweit etwas aus dem Rahmen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.