Ein Frankfurter Verteidiger spielt in Mönchengladbach den Ball zweimal im Strafraum mit seinen Armen, kommt jedoch ungeschoren davon – weil der Unparteiische einmal ziemlich nachsichtig ist. Ein weiteres Handspiel reduziert derweil die Meisterchancen von RB Leipzig erheblich.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
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Schon das deutliche Ergebnis eines Fussballspiels sorgt gelegentlich dafür, dass Debatten über die eine oder andere Entscheidung des Schiedsrichters erst gar nicht wirklich aufkommen. So war es auch nach der Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt, die mit einem ungefährdeten 4:0 der Hausherren endete.

Die beiden vom Unparteiischen nicht geahndeten Handspiele des Frankfurter Verteidigers Stefan Ilsanker im eigenen Strafraum in der 37. und 54. Minute, jeweils beim Stand von 1:0 für die Borussia, waren jedenfalls nur noch in den sozialen Netzwerken ein Thema.

Dort lästerten manche, Ilsanker habe mehr Bälle gehalten als der Frankfurter Schlussmann Kevin Trapp. Und zwar im Einklang mit den Regeln, wie Referee Deniz Aytekin urteilte. Dabei führte vor allem das erste Handspiel zu Diskussionen.

Was für Aytekins Entscheidung spricht …

Nach einer Flanke von der rechten Seite hatte Ramy Bensebaini den Ball direkt aufs Tor geschossen. Die Kugel flog geradewegs auf den rund zehn Meter entfernten Ilsanker zu und sprang dann innerhalb von Sekundenbruchteilen von dessen rechtem Oberschenkel gegen die Brust und anschliessend gegen beide Arme, bevor sie auf den Boden fiel.

Sofort signalisierte Aytekin, dass weitergespielt wird, doch nach Rücksprache mit dem Video-Assistenten Günter Perl entschied er sich für ein On-Field-Review. Danach blieb er bei seiner Entscheidung, das Handspiel nicht als strafbar zu bewerten. Doch war das wirklich vertretbar?

Für diesen Entschluss spricht, dass man in Ilsankers Bewegungsablauf den etwas unbeholfenen Versuch sehen konnte, sich nicht breiter, sondern sogar kleiner zu machen.

Der Abwehrspieler krümmte sich ein wenig und zog den angewinkelten linken Arm an seine Brust. Den ausgestreckten rechten hatte er erst etwas abgespreizt, bevor er ihn ebenfalls zum Körper führte.

… und was dagegen

Dadurch bewegte er ihn allerdings auch zum Ball, den er in der Folge kurzzeitig mit beiden Armen und dem Oberschenkel einklemmte. Das war sicherlich nicht so gewollt, aber es wirkte auch nicht wie der Versuch, ein Handspiel unbedingt zu vermeiden. Sondern eher wie das Bemühen, sich vor einem schmerzhaften Treffer zu schützen.

So etwas wie "Schutzhand" gibt es im Regelwerk entgegen anders lautenden Gerüchten aber nicht. Und weil der Ball nicht aus kurzer Distanz auf Ilsanker zuflog und dieser ihn ausserdem die ganze Zeit im Blick hatte, wäre es ihm durchaus möglich gewesen, seine Hände aus der Flugbahn zu nehmen.

Die Arme eng am Körper, aber den Ball damit eingeklemmt; das unkontrollierte Abprallen des Balles von anderen Körperteilen an die Arme, aber einen Arm in die Richtung des Balles bewegt; das Handspiel nicht gewollt, aber in Kauf genommen – leicht war es für Aytekin nicht, hier abzuwägen und zu einer Entscheidung zu kommen.

Doch gerade dem vorübergehenden Arretieren des Balles mit den Armen könnte man ein grösseres Gewicht beimessen als den Aspekten, die dagegen sprechen, auf Strafstoss zu erkennen. Abwegig war das Urteil des Referees gleichwohl nicht.

Das zweite Handspiel war nicht zu beanstanden

Zweifellos richtig war es bei Ilsankers zweitem Handspiel: Nach einem Schuss von Florian Neuhaus drehte sich der Frankfurter aus der Flugbahn des Balles und bekam die Kugel aus kurzer Entfernung an den rechten Arm, den er eng an den Oberkörper gezogen hatte.

Nichts sprach hier für eine Strafbarkeit, auch wenn die Gladbacher erneut reklamierten – und Trainer Marco Rose dem Schiedsrichter gestisch anzeigte, dass Ilsanker den Arm vom Körper abgespreizt habe. Offenbar meinte er dabei dessen linken Arm.

Damit hatte dieser den Ball jedoch gar nicht berührt. Deniz Aytekin veranschaulichte diesen Sachverhalt dann auch, ebenfalls unter Einsatz von Gestik. Er lag richtig – und hatte aufgrund seiner guten Positionierung eine günstige Perspektive.

In Leipzig folgte dem Jubel die Ernüchterung

Ein Handspiel war auch in der Auftaktpartie des Spieltags zwischen RB Leipzig und der TSG 1899 Hoffenheim (0:0) ein grosses Thema. Denn es brachte die Gastgeber um zwei Punkte, die ihnen im Kampf um die Meisterschaft am Ende fehlen könnten.

Yussuf Poulsen hatte sich den Ball tief in der Nachspielzeit nach einem Eckstoss versehentlich selbst an den Unterarm geköpft, von dort ging die Kugel ins Hoffenheimer Gehäuse.

Der Jubel über den vermeintlichen Siegtreffer in allerletzter Minute wich schliesslich grosser Ernüchterung. Denn Schiedsrichter Manuel Gräfe annullierte den Treffer nach einem Eingriff des Video-Assistenten Martin Petersen – und das mit Recht.

Bei Poulsens Handspiel hatte der Referee keine Wahl

Denn im Regelwerk ist eindeutig festgelegt, dass ein strafbares Handspiel vorliegt, wenn "ein Spieler direkt mit der Hand/dem Arm (ob absichtlich oder nicht) ins gegnerische Tor trifft". Das war hier der Fall, auch wenn der Ballkontakt mit dem Arm bloss geringfügig war.

Weil in der Sportart Fussball ein Tor, bei dem die Hand oder der Arm im Spiel war, seit der Saison 2019/20 auf keinen Fall zählen darf – selbst wenn das Handspiel gänzlich unabsichtlich oder unvermeidlich war –, gab es für den Unparteiischen und seinen VAR keinerlei Ermessensspielraum.

Wenn es nicht um eine Torerzielung gegangen wäre, dann wäre das Handspiel nicht strafbar gewesen. So aber hatte der Referee keine andere Wahl, als Poulsens Tor abzuerkennen. Ihm waren regelrecht die Hände gebunden.

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