Die Corona-Pause im Fussball bietet die Gelegenheit, sich mit dem Regelwerk etwas genauer auseinanderzusetzen. Unser Autor bildet seit über 20 Jahren Schiedsrichter aus und coacht sie auch auf DFB-Ebene. Solange die Bundesliga ruht, wird er einige Regeln näher beleuchten. Schon in der vergangenen Woche ging es um das Herzstück der Spielregeln, die Regel 12. Heute wird dieser Teil fortgesetzt: Wann gibt es die Gelbe Karte, wann die Rote?

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne

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Eine halbe Stunde war im Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft 1970 zwischen dem Gastgeber Mexiko und der Sowjetunion vergangen, da kam es zu einer Premiere in der Geschichte des Fussballs: Erstmals zeigte ein Schiedsrichter eine Gelbe Karte.

Kurt Tschenscher aus Mannheim war der Unparteiische, der den sowjetischen Spieler Kachi Assatiani auf diese Art und Weise für ein rüdes Foulspiel bestrafte.

Verwarnungen und Feldverweise gab es zwar auch schon vorher, aber sie wurden von den Referees nur mündlich ausgesprochen respektive per Fingerzeig signalisiert. Das führte bisweilen zu Missverständnissen, und eines davon begünstigte die Einführung der Gelben und der Roten Karte vor 50 Jahren entscheidend. Zugetragen hatte es sich vier Jahre zuvor, im WM-Viertelfinale 1966 zwischen England und Argentinien.

Spieler rief höchstpersönlich beim Schiri-Boss an

Am Tag nach dieser Partie rief der englische Nationalspieler Jack Charlton persönlich bei Ken Aston an, dem Vorsitzenden der FIFA-Schiedsrichterkommission. Denn er hatte in der Zeitung gelesen, dass der deutsche Schiedsrichter Rudolf Kreitlein ihn verwarnt hatte.

Charlton wollte nun von Aston wissen, ob das stimmt - er selbst hatte davon in dieser turbulenten und chaotischen Begegnung nichts mitbekommen.

Das brachte Aston schliesslich auf die Idee, Verwarnungen und Feldverweise künftig mithilfe von Signalkarten zu verhängen. Auf diese Weise sollte sowohl den Betreffenden selbst als auch den Trainern, Zuschauern und Reportern unmissverständlich klar gemacht werden, wie die Sanktion lautet.

Das richtige Mass bei den Karten ist äusserst wichtig

Zunächst durften Gelbe und Rote Karten nur den Akteuren auf dem Feld gezeigt werden, viel später auch Ersatzspielern und bereits ausgewechselten Spielern. Seit dieser Saison werden zudem Strafen gegen Teamoffizielle - also Trainer, Co-Trainer, Betreuer, Mannschaftsärzte und andere auf der Bank sitzende Funktionsträger - durch die Signalkarten angezeigt. Davor wurden Sanktionen mündlich ausgesprochen.

Die Karten dienen der Disziplinarkontrolle des Unparteiischen und sind damit wichtige Mittel für ihn, um das Spiel im Griff zu behalten.

Mit Verwarnungen und Feldverweisen ahndet er Regelübertretungen vor allem bei Zweikämpfen, wobei er das richtige Mass finden muss: Ein allzu nachsichtiger Einsatz birgt die Gefahr, eine Treterei heraufzubeschwören, bei einem zu kleinlichen Gebrauch verlieren die Karten ihre Wirkung, die Strafen laufen ins Leere.

In der Regel 12 ist festgelegt, welche Vergehen - über Foulspiele hinaus - zu einer Gelben und welche zu einer Roten Karte führen. Ohne dass es dort explizit steht, hat der Schiedsrichter allerdings bei manchen Verstössen einen Interpretations- und Ermessensspielraum, bei anderen dagegen nicht.

Pflichtverwarnungen und Ermessensspielraum

So muss es etwa für das unerlaubte Betreten des Platzes, das Ausziehen des Trikots beim Torjubel oder das Umgehen der sogenannten Rückpassregel durch einen Trick zwingend eine Gelbe Karte geben. Denn es handelt sich dabei um sogenannte Pflichtverwarnungen.

Ebenfalls unumgänglich ist die Gelbe Karte, wenn der Referee einen Freistoss wiederholen lässt, weil ein Gegner den Abstand nicht eingehalten hat. Oder wenn er das Spiel unterbricht, weil er eine "Schwalbe" wahrgenommen hat. Verzichtet er in solchen Situationen auf die persönliche Strafe, dann begeht er selbst einen Regelverstoss.

Bei Vergehen hingegen, die der Interpretation durch den Schiedsrichter bedürfen, ist die situative Auslegung des Regeltextes entscheidend. So führt beispielsweise nicht ausnahmslos jedes "Protestieren durch Worte oder Handlungen" zu einer Verwarnung und auch nicht jedes "wiederholte Verstossen gegen die Spielregeln". In solchen Fällen ist vielmehr das Ermessen des Spielleiters gefragt.

Ein strafbares Handspiel führt entgegen anders lautenden Annahmen übrigens nur noch in drei Fällen zu einer Verwarnung:

  • Erstens, wenn dadurch ein aussichtsreicher Angriff des Gegners verhindert oder unterbunden wird.
  • Zweitens, wenn dadurch erfolglos versucht wird, ein Tor des Gegners zu verhindern.
  • Drittens, wenn es gezielt begangen wird, um ein Tor zu erzielen - ob erfolgreich oder erfolglos, spielt dabei keine Rolle.

Brutal, beleidigend, Tor unfair verhindert: Wann Rot fällig ist

Die Rote Karte gibt es im Wesentlichen, wenn eines der folgenden vier Vergehen vorliegt:

  • Ein grobes Foulspiel, das heisst: ein Vergehen, das nach Ansicht des Schiedsrichters durch übermässige Härte oder gar Brutalität im Kampf um den Ball gekennzeichnet ist.
  • Eine Tätlichkeit, die laut Regel 12 immer dann gegeben ist, wenn sich die übermässige Härte oder Brutalität gegen eine beliebige Person richtet, ohne dass um den Ball gekämpft wird. Hinzu kommen hinterhältige Verhaltensweisen wie Beissen und Spucken.
  • Eine anstössige, beleidigende oder schmähende Äusserung oder Geste.
  • Die Verhinderung eines Tores oder das Vereiteln einer glasklaren Torchance des Gegners durch ein strafbares Handspiel oder ein Foulspiel. Bei Fouls gibt es allerdings eine Ausnahme: Wenn die "Notbremse" innerhalb des Strafraums geschah und die Aktion ausserdem erkennbar dem Ball galt, wird nur eine Verwarnung ausgesprochen.

Die sogenannte Doppelbestrafung, bestehend aus einem Elfmeter und einem Feldverweis, ist also - anders, als manche glauben - nicht abgeschafft worden. Es gibt sie weiterhin, wenn ein Tor oder eine offensichtliche Torchance regelwidrig verhindert und dabei nicht der Versuch unternommen wurde, den Ball zu spielen.

Die FIFA hat die Zeitstrafe in der Bundesliga verhindert

Neben der Gelben und der Roten Karte gibt es noch Gelb-Rot - eine Strafe, die 1991 ins Regelwerk aufgenommen wurde. Sie wird verhängt, wenn ein Spieler, der eine Gelbe Karte gezeigt bekommen hat, im Laufe eines Spiels ein weiteres verwarnungswürdiges Vergehen begeht. Die Konsequenz im laufenden Spiel ist dieselbe wie bei einer Roten Karte, allerdings beläuft sich die anschliessende Sperre nur auf ein Spiel.

Bis zur Einführung von Gelb-Rot gab es im deutschen Amateurfussball übrigens die zehnminütige Zeitstrafe als zusätzliche Sanktion zwischen der Gelben und der Roten Karte. Weil damit durchweg positive Erfahrungen gemacht wurden, wollte der DFB die 1983 auch im Profifussball einführen. Doch das genehmigte die FIFA nicht, weil es ein nationaler Sonderweg gewesen wäre. Im Jugendfussball gibt es die Zeitstrafe, die dort fünf Minuten beträgt, jedoch weiterhin in vielen Teilen Deutschlands.

Seit dieser Saison können die Schiedsrichter auch Teamoffiziellen Karten zeigen. Diese Änderung ist gravierend: Bis dahin gab es nur die Möglichkeit einer Ermahnung und den Verweis von der Bank und aus dem Innenraum auf die Tribüne. Wann welche Sanktion auszusprechen war, darüber gaben die Regeln keinen Aufschluss. Es war in ihnen schlicht nicht festgelegt.

Gelb und Rot für Trainer: Die Aufregung hat sich gelegt

Das ist nun gänzlich anders. Im aktuellen Regelwerk wird detailliert aufgeführt, bei welchen Vergehen ein Teamoffizieller ermahnt werden soll, wann er die Gelbe Karte gezeigt bekommt und wann die Rote. Damit wird der Ermessensspielraum der Unparteiischen zwar etwas eingeschränkt. Zugleich aber ist nun transparent, welche Strafe es für welches Vergehen gibt. Und das ist wichtiger.

Eine Gelbe Karte gibt es beispielsweise, wenn ein Teamoffizieller wütend eine Trinkflasche durch die Coachingzone wirft, dem Referee höhnischen Beifall klatscht oder wiederholt die Coachingzone verlässt. Eine Rote Karte sieht er unter anderem, wenn er die Spielfortsetzung des Gegners verhindert, eine Trinkflasche auf das Feld wirft oder sich aggressiv verhält.

Als diese Regeländerung bekannt gegeben wurde und sich damit auch die Frage stellte, nach wie vielen Gelben Karten ein Teamoffizieller für ein Spiel gesperrt wird - festgelegt wurde schliesslich: nach vier Verwarnungen -, war die Aufregung in der Trainergilde gross.

Nicht wenige befürchteten, in ihrer Emotionalität eingeschränkt und von den Unparteiischen mit Karten gegängelt zu werden.

Doch das hat sich als unbegründet herausgestellt. Die Schiedsrichter beweisen Augenmass und Einfühlungsvermögen, zu einer Kartenflut ist es nicht gekommen. Eine Gelbsperre hat in der Bundesliga ebenfalls noch kein Coach absitzen müssen.

Die Aufregung hat sich gelegt, man hat sich an die Karten gewöhnt - so wie damals, vor 50 Jahren, als sie erstmals Spielern gezeigt wurden.

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