Mario Götze befindet sich bei Borussia Dortmund auf dem Abstellgleis. Ein Sportpsychologe verrät, wie ein Profisportler damit umgehen sollte und wo die grossen Herausforderungen liegen.
Vom WM-Helden zum Dauerreservisten:
Dr. René Paasch von Netzwerk die Sportpsychologen kennt den Umgang mit Fussballprofis. Er arbeitet beim VfL Bochum täglich mit ihnen zusammen. Im Interview spricht er über das Götze-Dilemma.
Herr Paasch, was macht es psychologisch mit einem Sportler wie Mario Götze, vor Kurzem noch ein hochgejubelter Superstar gewesen zu sein und plötzlich nur noch auf der Bank zu sitzen?
René Paasch: Wenn ich als junger Spieler immer die Rückmeldung bekam, dass ich ein guter und erfolgreicher Fussballer bin, definiere ich mich darüber. Die grosse Schwierigkeit besteht darin, dass diese Säule auf einmal wegbricht.
Deshalb ist es auch so wichtig, dass Fussballspieler weitere Säulen im Leben haben, sich als Persönlichkeit weiterentwickeln oder vielleicht sogar einen akademischen Abschluss erlangen. Definiert sich ein Profi nur über den Fussball, ist eine sportliche Durststrecke schwer zu verarbeiten.
Können Selbstzweifel entstehen, wenn der Trainer ebenfalls an einem zweifelt?
Das ist von Spieler zu Spieler unterschiedlich. Ein Mario Götze hat in seiner Karriere bereits grosse Höhen und Tiefen erlebt. Es gab bei ihm ja zum Beispiel auch die gesundheitliche Problematik.
Ich denke, dass ihn diese Tiefen geprägt haben und ihm jetzt dabei helfen, mit der aktuellen Situation umzugehen. Trotzdem wird ihn die Situation belasten. Er definiert sich schliesslich auch über seinen Beruf.
Wenn er zu einem seiner wenigen Einsätze kam, konnte er die Chance nicht nutzen. Ist der Wunsch, es nun dem Trainer und allen Zuschauern beweisen zu wollen, hinderlich?
Manche Spieler nutzen den Druck als zusätzliche Motivation, andere werden dadurch nervös. Ich denke, dass ein Spieler wie Mario Götze aufgrund seiner Erfahrung mit dem Druck umgehen kann.
Ein Problem kann allerdings sein, wenn man aufgrund der Situation auf dem Platz zu viel nachdenkt. Ein Fussballspieler handelt intuitiv, muss loslassen und sich völlig der Situation hingeben. Wenn ich anfange, darüber nachzudenken, beeinflusse ich meine Fähigkeiten.
Das ist auch in vielen anderen Lebenssituationen so, zum Beispiel bei Prüfungen: Wenn ich zu viel nachdenke, vertraue ich nicht auf die Dinge, die ich mir vorher erarbeitet habe. Hinzu kommt, dass der Denkprozess gerade im schnellen Fussball viel zu lange dauert.
Wie könnte ein Trainer wie Lucien Favre vorgehen, um Mario Götze Selbstvertrauen zu vermitteln, auch wenn er ihn momentan kaum einsetzt?
Wichtig ist, dass der Trainer viel mit dem Spieler spricht und ihm auch zuhört. Wie geht der Spieler mit der Situation um? Welche Gedanken hat er? Als Trainer muss ich den Spieler ernst nehmen. Wichtig ist zudem, dem Spieler während des Trainings immer wieder kleine Erfolge aufzuzeigen.
Was hat der Spieler taktisch gut gemacht? In welchen Situationen eines Trainingsspiels hat er sich gut verhalten? Umso mehr ich das als Trainer hervorhebe, desto mehr Selbstvertrauen hat der Spieler – auch wenn er letztendlich wieder auf der Bank sitzt.
Und das Selbstvertrauen ist extrem wichtig. Ein Spieler kann nicht immer beeinflussen, wie ihn der Trainer oder die Öffentlichkeit sehen. Aber er kann beeinflussen, wie er sich selber sieht.
Was würden Sie Götze aus sportpsychologischer Sicht empfehlen, um wieder an alte Erfolge anzuknüpfen? Ist dazu vielleicht ein radikaler Neuanfang, also ein Vereinswechsel, nötig?
Das lässt sich nicht pauschalisieren. Eine Flucht ist aber nur selten hilfreich. Schliesslich könnte es bei anderen Vereinen ähnlich laufen. Zudem sinkt das Selbstvertrauen, wenn man wegläuft.
Er sollte sich lieber Gedanken darüber machen, was bei seinem Verein möglich ist. Dazu muss er Gespräche führen. Und der Trainer sollte ihm erklären, was er besser machen muss, um vielleicht bald wieder zur ersten Elf zu gehören.
Es könnten aber viele Monate vergehen, bis er wieder zur ersten Elf gehört – wenn überhaupt. Wie muss man diese Zeit angehen?
Es hilft, sich selber Ziele zu setzen, diese zu verfolgen und sich selber zu reflektieren. Ist mein Schlafverhalten gut? Wie kann ich mich besser ernähren? Wie war das Training? Was könnte ich anpassen?
Es ist eh nicht möglich, die Mannschaft oder den Trainer zu verändern. Man sollte sich vielmehr fragen: Wie kann ich mich selber weiterentwickeln? Wenn er dann feststellt, dass einzelne Veränderungen eine positive Wirkung haben, kann er umso mehr Positives an die Mannschaft weitergeben.
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