Für die Absage des vermeintlichen Wunschkandidaten stecken die Bayern verbale Prügel ein. Ein Engagement Thomas Tuchels in München wäre bei allen positiven Aspekten aber durchaus auch gefährlich gewesen.

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Die Referenzen hätten eigentlich kaum besser sein können: Thomas Tuchel war als Nachfolger von Jupp Heynckes auserkoren, der 44-Jährige hätte inhaltlich das Erbe Pep Guardiolas antreten sollen.

So jedenfalls wollten es Granden des Fussballbetriebs: Jupp Heynckes und Pep Guardiola. Die beiden bestimmenden Trainerfiguren des FC Bayern in den letzten Jahren hätten sich Tuchel als Dauerlösung an der Säbener Strasse sehr gut vorstellen können, legten ihre Empfehlungen auch den Bayern-Bossen nahe.

Nun hat sich die offensichtlichste aller Optionen für den Rekordmeister aber quasi über Nacht in Luft aufgelöst. Tuchel hat den Bayern abgesagt und will sich stattdessen einer anderen Grossbaustelle widmen. Vielleicht dem Neuaufbau des darbenden FC Arsenal, vielleicht den Champions-League-Fantasien der Scheichs aus Paris. Jedenfalls aber nicht der Weiterentwicklung des Münchener Ensembles.

Tuchel hat zwar erst einen grossen Klub trainiert, er hat noch keine Meisterwürden empfangen oder international etwas vorzuzeigen. Und trotzdem gilt er als Grosskaliber auf dem Trainermarkt, als Visionär, Entwickler, vielleicht auch als Projektleiter wie Pep Guardiola. Mit Trainern dieser Art hatten die Bayern zuletzt jede Menge Erfolg, aber zumindest auf Sicht auch allerhand Probleme.

Heynckes hingegen ist seinen Freundschaftsdienst ja nicht als Entwickler angetreten, sondern um nach dem Ancelotti-Fauxpas die Form der Mannschaft neu zu entdecken und diese wenn möglich bis in die Schlussphase der Saison zu konservieren. Im Prinzip führte Heynckes damit jene Aufgabe fort, die eigentlich Carlo Ancelotti zugedacht war.

Probleme mit Querdenkern

Der war nach Guardiolas Abgang mit die grösste mögliche Lösung. Ein Titelsammler auf internationalem Parkett, erfahren im Umgang mit Stars und schwierigen Charakteren. Ancelottis Mission scheiterte aber in der Nacht von Paris einigermassen krachend. Gerade bei seinen Kernkompetenzen hatte der Italiener geschlampt, die Zügel zu sehr schleifen lassen und am Ende die Rückendeckung wichtiger Spieler verloren.

Aber auch mit den letzten Entwicklern beim FCB, Guardiola, Louis van Gaal und auch Jürgen Klinsmann gab es früher oder später Stress in München.

Klinsmann eckte mit fast allen an, Uli Hoeness jagte nach grossen Erfolgen plötzlich Van Gaal vom Hof, Guardiolas distanzierte Art und die Differenzen mit Bayern-Urgesteinen wie Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt widersprachen dem Folkloregedanken und dem familiären Habitus der Bayern.

Potenzielle Konfliktherde

Tuchel wäre ganz gewiss kein Verwalter gewesen. Schwierige Personalentscheidungen wäre er wohl weniger romantisch und sehr kühl und rational angegangen. Etwa die mögliche Vertragsverlängerung von Franck Ribéry. Der Franzose hat merklich nachgelassen, ist kaum noch ein 90-Minuten-Spieler für die wirklich grossen Partien und hat in Kingsley Coman längst den legitimen Nachfolger im Nacken sitzen.

Tuchel hat schon in Dortmund bewiesen, dass er vor unpopulären Massnahmen nicht zurückschreckt und wenig gibt auf frühere Verdienste einiger Spieler. Vielmehr steht der Leistungsgedanke über allem. Nuri Sahin kann ein Lied davon singen.

Das ist aus sportlicher Sicht für einen Trainer komplett vertretbar. Es birgt auf zwischenmenschlicher und emotionaler Ebene und auch im Zusammenspiel mit den Fans aber ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotenzial.

Dazu kommt, dass Ribéry und der von Tuchel zunächst ohnehin schon wenig überzeugte Hoeness eine Freundschaft über den Job hinaus verbindet. Man konnte sich förmlich schon vorstellen, wie Ribéry in Hoeness‘ Büro marschiert, wenn er sich vom neuen Trainer nicht genügend wertgeschätzt fühlte ...

Dass zudem Tuchels Verhältnis zu Mats Hummels zu Dortmunder Zeiten am Ende auch arg strapaziert war, ist kein grosses Geheimnis. Wahrscheinlich ist es Hummels ganz recht, dass Tuchel nun doch nicht kommt und den Bayern bleibt ein potenzieller Brandherd erspart.

Schwierige Suche

Mit Tuchel hätten die Bayern garantiert nicht den einfachsten aller Trainer bekommen. Gerade für den Wohlfühl-Klub FC Bayern mit seinem allzu deutlich propagierten "Mia san Mia", der sich stets zwischen globaler Marke und bodenständigem Verein mit Basisnähe bewegen muss, gehört aber eine gute Portion Empathie und Volksnähe dazu. Heynckes ist ein Meister darin, sich diese stets bewahrt zu haben und gleichzeitig zwischen den grossen Köpfen Hoeness und Karl-Heinz Rummenigge seine Standpunkte zu vertreten und diese auch durchzusetzen.

Einen Trainer dieser Art zu finden, der dem nur sehr grob umrissenen Anforderungsprofil - der neue Trainer soll zwingend deutschsprachig sein - auch gerecht wird, dürfte nun unglaublich schwierig werden.

Ralph Hasenhüttl traut sich die Aufgabe in München nach eigener Auskunft noch nicht zu, von Julian Nagelsmann haben sich die Bayern-Bosse im Laufe der letzten Monate verabschiedet. Niko Kovac hat Stallgeruch, er kennt den Bayern-Betrieb, leistet in Frankfurt hervorragende Arbeit - allerdings mit einem Fussball, der den jahrelang über die Massen verwöhnten Bayern-Fans auf Anhieb nicht besonders gefallen dürfte.

Jürgen Klopp würde geradezu perfekt passen. Aber Klopps Vorgeschichte bei Borussia Dortmund und die Tatsache, dass der in Liverpool glücklich ist und noch einen langfristigen Vertrag besitzt, lässt auch diese Option unmöglich erscheinen. Und die ganz verwegene Lösung Joachim Löw war seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr als Vereinstrainer tätig.

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