Tor-Durststrecke beendet, zweites Kind auf dem Weg und mit dem FC Augsburg vielleicht sogar auf dem Weg nach Europa: Für Phillip Tietz läuft es gerade. Im Interview spricht er über das Geheimnis des ewigen Abstiegskandidaten. Ausserdem erzählt er eine besondere Fan-Geschichte und verrät, welches persönliche Ziel er noch hat.

Ein Interview

Rein sportlich läuft es für den FC Augsburg aktuell beinahe makellos. Zehn ungeschlagene Bundesligaspiele in Folge, in elf Partien in der Rückrunde ist der FCA achtmal ohne Gegentor geblieben und in der Tabelle hat man mit dem Abstiegskampf überhaupt nichts zu tun. Vielmehr richtet sich der Blick nach oben auf die europäischen Plätze.

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Nach langer Wartezeit hat am Wochenende auch Augsburg-Stürmer Phillip Tietz endlich wieder getroffen. Das Warten ist ihm doppelt so lange vorgekommen, weil er mit seinem Torjubel schon lange auch die zweite Schwangerschaft seiner Frau verkünden wollte.

Im Interview mit unserer Redaktion gibt der 27-Jährige Einblicke in seine Gefühlswelt und erklärt, warum der FC Augsburg aktuell so erfolgreich ist und welche Rolle dabei Trainer Jess Thorup spielt.

Herr Tietz, Sie haben am Wochenende im Spiel gegen den VfL Wolfsburg zum ersten Mal seit über drei Monaten wieder ein Tor geschossen und damit gleich das Spiel zugunsten ihres FC Augsburg entschieden. Wie ist die Stimmung bei Ihnen?

Phillip Tietz: Bei mir persönlich natürlich gut. Es lässt sich besser schlafen, vor allem jetzt auch mit der kommenden Länderspielpause. Es ist ein schönes Gefühl, dass ich die Durststrecke beenden konnte. Aber letztendlich steht natürlich die Mannschaft im Vordergrund und da haben wir die Serie ausgebaut. Es ist umso schöner, dass dann beides an einem Tag passiert ist.

"Das war schon mit meiner Frau abgeklärt."

Phillip Tietz über seinen Baby-Torjubel

Mit ihrem Torjubel haben Sie verraten, dass Sie und Ihre Frau Nachwuchs erwarten. Herzlichen Glückwunsch dazu! Geschah der Torjubel aus einem spontanen Impuls heraus oder war das geplant?

Nein, das war schon mit meiner Frau abgeklärt. Ich musste mir da die Bestätigung holen, dass ich das machen darf. Sie hat ein bisschen länger gewartet, weil ich ja die lange Leidenszeit hatte, wenn man das so nennen kann. Ich habe auch ein paar Spiele nicht von Anfang an gemacht. Da war also eine gewisse Zeit, in der sie auf einen Treffer warten musste, damit ich es verkünden konnte.

Phillip Tietz
Mit seinem Torjubel gegen den VfL Wolfsburg verrät Phillip Tietz: seine Frau und er erwarten ihr zweites Kind. © IMAGO/kolbert-press/Christian Kolbert

Bei ihrem Torjubel haben Sie eine weitere Sache angedeutet: Kaum hatten Sie sich Ihre Haare wieder blond gefärbt, hat es wieder geklappt mit dem Toreschiessen. Welche Rolle spielen Rituale beziehungsweise Aberglaube wie diese für Sie?

Phillip Tietz
Mit gefärbten Haaren trifft es sich besser, glaubt Phillip Tietz. © IMAGO/kolbert-press/Martin Agüera

Aberglaube spielt bei mir definitiv eine Rolle. Ich habe in der Zeit, in der ich die Haare blond hatte, viele Tore geschossen. Und dann, als die Haare wieder normal waren, habe ich nicht mehr getroffen. Da habe ich gedacht: Komm, jetzt gegen Wolfsburg ist ein guter Zeitpunkt, um meine Haare wieder blond zu färben.

Und klar hat da Aberglaube eine Rolle mitgespielt, weil ich schon sehr abergläubisch bin. Und dass es natürlich jetzt letztendlich belohnt wird, kann man positiv sehen. Andererseits vielleicht aber auch negativ, weil ich jetzt an meinem Aberglauben festhalten werde (lacht).

Fannähe: Tietz gratuliert jungem Fan persönlich zum Geburtstag

Sie haben am Wochenende von einer schönen Geschichte beim Friseur erzählt, wo sie mit einem jungen Fan gesprochen haben. Nach dem Spiel gegen Wolfsburg einen Tag später haben Sie dem Jungen dann Ihre Fussballschuhe gegeben. Gibt es in ihrem Alltag als Bundesligaprofi auch weniger schöne Beispiele, in denen Fans zu fordernd und dadurch vielleicht unverschämt sind?

Nein, ich bin so gestrickt, dass ich mir sage, dass das auch einfach dazugehört. Ich glaube, vor allem auch die jungen Fans schauen zu einem auf und da soll man sich immer vorbildlich und respektvoll verhalten. So gehe ich auch mit der gesamten Situation in meinem privaten Umfeld um. Vor ungefähr drei Monaten gab es in meiner Nachbarschaft eine Frau, die bei mir geklingelt und gefragt hat, ob ich in drei Monaten um 18 Uhr – das war jetzt vor einer Woche – bei ihrem Sohn, der 16 Jahre alt wird, vorbeischauen könnte. Das habe ich mir direkt im Terminkalender eingetragen und habe es dann gemacht. Ich glaube, das zeigt, dass ich da schon offen bin und damit eigentlich keine Probleme habe. Ich kann schwer Nein sagen, wenn mich ein Kind nach einem Trikot fragt, weil ich damals selbst in dieser Haut steckte als kleiner Junge. Da wollte ich auch immer ein Trikot haben und war enttäuscht, wenn ich keines bekommen habe. Als Kind nimmst du so etwas auch anders auf als als Erwachsener.

Der FC Augsburg hat den Klassenerhalt nach dem 26. Spieltag bereits so gut wie geschafft. Sie haben jetzt schon fast so viele Punkte wie am Ende der Vorsaison. Seit zehn Bundesligaspielen ist der FCA ungeschlagen. Was ist jetzt noch das Ziel? Planen Sie noch den Angriff auf Europa?

Wir tun gut daran, von Spiel zu Spiel zu denken. Klar wollen wir die Serie ausbauen, das ist kein Geheimnis. Nichtsdestotrotz gehe ich persönlich von Woche zu Woche in die einzelnen Spiele rein. Das habe ich auch in der Aufstiegssaison mit Darmstadt 98 so gemacht. Da haben wir nicht darüber gesprochen und uns intern wirklich keine Ziele gesetzt. Ich habe jetzt auch hier in der Kabine noch niemanden von Europa sprechen hören. Wir freuen uns einfach auf die Trainingswoche, konzentrieren uns auf das nächste Spiel und wollen wieder das Maximum raushauen. Alles andere bringt nur Unruhe rein. Die Medien müssen diese Fragen stellen, das wissen wir auch. Aber wir lassen uns davon nicht verrückt machen. In der Kabine herrscht ein sehr gutes Mannschaftsklima. Keiner redet oder träumt von irgendwelchen Dingen. Wir schauen von Woche zu Woche. Das Trainerteam stellt uns so gut darauf ein, dass wir für das Spiel gut gewappnet sind. Wir sind sehr glücklich, wie es momentan läuft. Wenn wir noch ein, zwei Plätze hochgehen, ist das schön. Aber unser Ziel ist es, dass wir gesund durch die Länderspielpause kommen und uns dann komplett auf das nächste Spiel gegen die TSG Hoffenheim fokussieren.

Interessant ist: Seit Cédric Zesiger im Winter gekommen ist, steht die Defensive des FCA nochmal stabiler. In der Rückrunde haben Sie gerade mal zwei Gegentore kassiert – und die ausgerechnet in den Spielen ohne Zesiger. Ihren Treffer am Wochenende hat er ausserdem mit einem sehr guten Pass vorbereitet. Wie gross ist sein Anteil am aktuellen Erfolg des FCA?

Cesi ist auf jeden Fall eine Maschine, soviel kann ich sagen. Ein super Spieler. Man muss aber auch sagen, der Konkurrenzkampf belebt das Geschäft. Er hat mit beispielsweise Keven Schlotterbeck einen hinter sich, der eine unfassbare Qualität hat. Aktuell läuft es für ihn einfach super. Er hat noch kein Gegentor bekommen, das können nicht viele von sich behaupten. Aber man darf auch den Spieler Schlotterbeck nicht vergessen, der ihm da wirklich von Woche zu Woche sozusagen in den Hintern tritt, sodass er wirklich nicht weniger macht. Das merkt man auch im Training. In der Defensive sind wir auf der linken Innenverteidiger-Position sehr gut aufgestellt. Der Trainer hat immer die Qual der Wahl. Aber ich glaube, dass ein Schlotterbeck auf der Bank sitzt, ist Wahnsinn. Aber daran sieht man die Qualität, die wir mittlerweile hier beim FC Augsburg haben. Und mit Cesi bin ich persönlich ganz gut. Er ist für mich und die Mannschaft natürlich ein wichtiger Bestandteil da hinten in der Verteidigung. Er macht es die letzten Wochen überragend, haut sich in jeden Ball rein, hat Offensivaktionen, spielt sehr gute Pässe nach vorne, gewinnt viele Kopfballduelle und viele Zweikämpfe. Dass er eine defensive Stabilität gibt, zeigen nicht nur die Statistiken. Das sieht man auch, wenn man mal ein FCA-Spiel sieht.

Tietz: Das ist das Erfolgsgeheimnis des FC Augsburg

Der FC Augsburg gilt gefühlt vor jeder Saison als Abstiegskandidat, bestreitet aktuell aber trotzdem bereits seine 14. Bundesliga-Saison in Folge. Was ist das Geheimnis des Klubs?

Die Mentalität der Truppe. Hier gibt es viele Charaktere in der Mannschaft, die super zusammenpassen. Es gibt Charaktere, die mal auf den Tisch hauen, und welche, die locker sind, aber auch die gewisse Ernsthaftigkeit an den Tag legen. Und es gibt welche, die sehr in sich gekehrt sind. Es gleicht sich hier vieles aus. Wir sind eine verschworene Einheit geworden. Jeder passt auf den anderen auf. Jeder läuft für den anderen auf dem Trainingsplatz und am Spieltag im Stadion. Das Ganze hier läuft mit sehr viel Harmonie ab. Ob es in der Geschäftsstelle ist, ob es innerhalb der Mannschaft ist. Momentan läuft es hier einfach super. Ich kann nur von der Zeit sprechen, die ich beim FC Augsburg bin. Seitdem läuft aber wirklich vieles richtig. Ich fühle mich hier wohl und es macht grossen Spass. Auch die Leute, die nicht spielen, kommen in die Kabine und hauen sich rein. Das ist ein super Mannschaftsklima und man hat hier eine charakterstarke Mannschaft. Wir stehen verdientermassen da, wo wir jetzt stehen. Das zeigt einfach, dass wir breit aufgestellt sind, nicht nur von der Qualität, sondern auch von den Charaktereigenschaften der Mannschaft.

Trainer Jess Thorup hat den Klub im Oktober 2023 übernommen und seitdem für Stabilität und Ruhe gesorgt. Was macht ihn in der täglichen Arbeit aus?

Ihn macht die Ruhe aus. Er weiss ganz genau, an welchen Stellschrauben er drehen muss, damit es wieder passt. Klar gibt es mal Phasen – das gibt es bei jeder Mannschaft in der Bundesliga oder auf der Welt –, wo es mal nicht läuft. Aber er weiss genau, wo er ansetzen und was er sagen muss. Das dauert dann vielleicht mal ein, zwei Spieltage. Aber es funktioniert dann letztendlich. Das hat man letzte Saison gesehen und das sieht man auch in dieser Saison. Es gibt viele Trainer, die schnell nervös werden in heiklen Situationen. Unser Trainer aber behält die Ruhe. Er ist ein Trainer, der auch mit den Spielern spricht, der die Mannschaft greifen möchte mit dem, was er tut. Das merkt man halt auch auf dem Platz, dass wir da alles raushauen. Es ist nicht so, dass das einfach aus Glück passiert, sondern es kommt von Trainer Jess Thorup.

Sie sind jetzt in ihrer zweiten Saison beim FCA. Was war Ihr bisheriges Highlight, seit Sie da sind – sportlich oder emotional?

Die Tatsache, dass meine Frau und ich ein zweites Kind kriegen.

"Wenn es mal nicht läuft im Fussball, kann ich auch mal auf den Tisch hauen. Ich bin aber auch ein Quatschkopf, der gute Stimmung in die Kabine reinbringt."

Phillip Tietz über seine Persönlichkeit

Mit Braunschweig, Paderborn, Jena, Wiesbaden, Darmstadt und jetzt Augsburg haben Sie schon einige Stationen in Ihrer Karriere durchlaufen. Ist der FC Augsburg ein Klub, bei dem Sie sich langfristig sehen?

Definitiv, wir fühlen uns hier wohl. Der Klub versteht, wie ich ticke. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Wenn es mal nicht läuft im Fussball, kann ich auch mal auf den Tisch hauen. Ich bin aber auch ein Quatschkopf, der gute Stimmung in die Kabine reinbringt. Der Verein nimmt mich so, wie ich bin, und will mich nicht verändern. Meine Frau fühlt sich hier auch pudelwohl. Unsere Tochter geht hier zur Kita. Jetzt kriegen wir ein zweites Kind und der Junge wird Fuggerstädter. Momentan passt hier einfach alles. Man weiss aber nie, wo der Weg hinführt. Da gibt es auch ein, zwei Ziele, die ich persönlich noch habe. Dennoch bin ich im Hier und Jetzt und muss einfach sagen, dass ich mich hier wohlfühle. Ich bin auch so ehrlich, dass ich sagen muss, man weiss es nicht. Von daher gibt es diesbezüglich keine anderen Gedanken.

Sie meinten, sie hätten noch ein oder zwei Ziele. Welche sind das?

Seit meiner Kindheit träume ich davon, irgendwann mal in England Fussball zu spielen. Was ich auch immer noch vorhatte, irgendwann in meiner Karriere nochmal in meiner Heimat zu spielen. Das sind aber auch Dinge, die ich hinten anstellen würde, weil ich jetzt auch eine eigene Familie habe und ich das nicht mehr alles allein zu entscheiden habe.

Die meisten Fussballspieler haben in ihrer Jugend oder auch noch während ihrer Karriere bestimmte Vorbilder. Haben Sie da auch jemanden?

Mein Vorbild fussballerisch gesehen ist Olivier Giroud. Das ist einfach mein Lieblingsspieler. Ich mag seine Spielweise und seine Mentalität. Er ist ein grossartiger Stürmer, der heutzutage auch noch Fussball spielt, wenn auch "nur" in der MLS.

Tietz denkt aktuell nicht an seinen Traum Nationalmannschaft

In der Nationalmannschaft werden auch unter Bundestrainer Julian Nagelsmann immer wieder neue Spieler eingeladen. Auch ihr Name wurde bereits hin und wieder als möglicher Kandidat genannt. Ist das etwas, womit sie sich beschäftigen? In gut einem Jahr steht immerhin wieder eine WM an.

Momentan spielt das keine Rolle für mich. Ich sehe mir gerne die Spiele der Nationalmannschaft an, ich bin Deutschland-Fan. Momentan sind wir da gut aufgestellt. Wir haben sehr gute Stürmer. Ich drücke denen auf jeden Fall die Daumen. Klar, es ist ein Traum für mich. Aber ich glaube, in der jetzigen Situation, in der ich mich befinde, ist es falsch, so zu denken. Erst einmal muss ich meine Leistung auf den Platz bringen und mich für das Schaufenster überhaupt qualifizieren. Und das habe ich noch lange nicht. Da ist noch viel Luft nach oben, bis es hoffentlich irgendwann mal passieren könnte.

Zur Person

  • Phillip Tietz wechselte im Sommer 2023 von Darmstadt 98 zum FC Augsburg. Der Stürmer erzielte seitdem in 65 Spielen für den FCA 15 Tore und bereitete sechs weitere Treffer vor. Mit den Augsburgern befindet er sich in der Bundesligatabelle derzeit im gesicherten Mittelfeld und kann sich sogar noch Hoffnungen auf die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb machen.