Einen Tag vor dem gestrigen Relegationsspiel wurde bekannt, dass Frankfurt-Kapitän Marco Russ einen Tumor hat. Trotzdem stellte er sich seiner Mannschaft zur Verfügung. Die Mentaltrainerin Maike Koberg erklärt, wieso Russ' Einsatz positiv war.
Normalerweise weckt ein Eigentor bei den gegnerischen Fans Schadenfreude. Als gestern Eintracht-Kapitän Marco Russ ins eigene Tor traf, war die Situation anders.
Selbst auf der Facebook-Seite vom 1. FC Nürnberg herrschte keine ungeteilte Freude. Der Grossteil der User bedauerte, dass ausgerechnet Russ das Missgeschick passierte.
Trotz Tumor in der Startaufstellung
Der Hintergrund: Kurz vor dem Spiel wurde bekannt, dass der Innenverteidiger schwer krank ist.
Bei einer Dopingprobe wurde ein auffällig hoher Wert des Wachstumshormons HCG festgestellt. Meist ist das ein sicheres Anzeigen für Doping, manchmal aber auch für einen Tumor. Leider bewahrheitete sich Letzteres.
Trotz der Schock-Diagnose erklärte sich der 30-Jährige dazu bereit, seine Mannschaft in den Relegationsspielen zu unterstützen.
Dass
Auch die Mentaltrainerin Maike Koberg aus Hamburg sieht es positiv, wenn ein Sportler direkt nach einem Schicksalsschlag wieder aktiv wird.
"Klar ist, dass ein Mensch so eine Diagnose noch nicht verarbeitet haben kann. Aber wenn die Ärzte das Okay geben, kann der Sport ein gutes Ventil sein. Abgesehen davon zeichnet es Teamsportler aus, dass sie ihr Team nicht hängen lassen", sagte Koberg im Gespräch mit unserer Redaktion.
Koberg weiss, wovon sie spricht: Sie hat die Handballerin Sabine Heusdens vom Erstligisten SGH Rosengarten-Buchholz trainiert, die einen Tumor im Kopf hatte.
Rund vier Jahre lebte sie mit dieser Diagnose. Weil der Tumor sehr klein und gutartig war und zudem keine Beschwerden entstanden, wurde von einer Operation zunächst abgesehen. Bis herauskam, dass der Tumor schneller wächst als gedacht. Eine OP war plötzlich unvermeidbar.
"Im ersten Moment ist der Schock immer gross", weiss Koberg. "Doch auch Sabine hatte sich dafür entschieden, weiterzuspielen. Ende des vergangenen Jahres fand die Operation statt. Einige Wochen später stand sie schon wieder auf dem Handballfeld. Das ist die individuelle Entscheidung eines jeden Sportlers. Jeder geht damit anders um."
Mentaltrainerin: Diagnose "kann sogar Energie freisetzen"
Eine Schock-Diagnose muss laut Koberg keineswegs dazu führen, dass die sportlichen Leistungen abnehmen. Im Gegenteil: "Das kann sogar Energie freisetzen und dazu führen, dass man ein besonders gutes Spiel abliefert. Im Wettkampf ist es möglich, die schlimmen Gedanken fast auszublenden."
Die Motivation kann laut Koberg auf die Mitspieler abfärben. "Wenn jemand sieht, dass der Mitspieler sich trotz eines Tumors voll reinhängt, wird man sich selber erst recht nicht hängen lassen. Man wird mindestens genauso viel leisten wollen wie der Betroffene."
Tatsache ist: Frankfurt war im Relegations-Hinspiel die dominierende Mannschaft. Auch Russ machte ein ordentliches Spiel. Am Eigentor trug er keine Schuld. Allerdings liess er sich in der 56. Minute zu einem unnötigen Foul hinreissen. Aufgrund der Gelben Karte ist er für das Rückspiel gesperrt.
Schäfer und Weiler mit irritierenden Aussagen
Weniger Sympathiepunkte sammelte am gestrigen Abend der 1. FC Nürnberg. Trainer René Weiler sagte in der ARD: "Es tut mir leid, wenn er krank ist. Das wünscht man niemandem. Aber wenn man das am Spieltag publiziert, finde ich das nicht ideal. Der Fussball darf nicht hinhalten für irgendwelche Inszenierungen." Torhüter Raphael Schäfer ergänzte auf Sky: "Ich glaube, wenn einer wirklich schwer krank ist, dann kann er keinen Fussball spielen."
Später entschuldigte sich der 1. FC Nürnberg für die Aussagen von Trainer und Torhüter. "Meine Worte waren dumm, dafür kann ich mich nur aufrichtig entschuldigen. Ich habe mich voreilig geäussert, ohne Bescheid zu wissen. So etwas darf mir nicht passieren, das ist absolut nicht in Ordnung", so Schäfer in der Vereinsmitteilung.
Russ wird sich damit wohl nicht gross beschäftigt haben. Hand in Hand ging er nach Abpfiff mit seinen beiden Kindern über das Spielfeld. Die Familie dürfte für ihn momentan das Wichtigste sein. Im Rückspiel wird er von der Tribüne aus mitfiebern, dass die Eintracht den Klassenerhalt packt. In den Wochen darauf geht es für ihn um weit mehr.
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