Werder Bremen befindet sich auf Talfahrt. Das Scheitern im DFB-Pokal toppt zudem die Verletzung des Leistungsträgers Ömer Toprak. Das Schreckensszenario 2. Liga droht. Die Gründe für den Absturz sind vielfältig. Eine Bestandsaufnahme.

Eine Analyse

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Ein Bonusspiel, wie schön. Werder Bremens Ausflug ins DFB-Pokal-Viertelfinale bei Eintracht Frankfurt sollte einen Kontrast zum brutalen Alltag bilden, der Werder in den tiefsten Abstiegskampf geführt hat und eine ganze Stadt in Aufruhr hält.

Doch nach dem 0:2 am Main und der Verletzung von Ömer Toprak stellt sich nur noch drängender die Frage: Was ist da los in Bremen und vor allem: Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Die Lage in Bremen

Weil die Zahlen nicht lügen, muss man so hart konstatieren: Werder Bremen spielt eine ganz fürchterliche Bundesliga-Saison. Bei einem Spiel weniger steht Werder derzeit auf Rang 17, kein anderes Team hat weniger Siege geholt (erst vier aus 23 Spielen), niemand schiesst so wenige Tore (erst 25) und kassiert so viele (schon 53).

Die Mannschaft riss in den letzten Wochen einen Negativrekord nach dem anderen, unter anderem den für die meisten Heimniederlagen am Stück (sechs). Noch nie stand eine Bremer Mannschaft in der Bundesliga zu diesem Zeitpunkt so schlecht da, nicht mal in der bisher einzigen Abstiegssaison 1979/80.

Das letzte selbst erzielte Tor liegt 786 Minuten zurück, danach gab es nur noch zwei Eigentore in den Spielen gegen Düsseldorf und Augsburg. Der Rückstand auf Relegationsplatz 16 beträgt vier Punkte, auf den ersten Nichtabstiegsplatz sind es schon acht. Kurzum: Es sieht ziemlich finster aus. Aber was sind die Gründe für den Absturz?

Die vielen Verletzten

Im Pokal-Viertelfinale bei Eintracht Frankfurt lief die Schlussphase, als Frankfurts Filip Kostic gegen Werders Toprak hart einstieg. Kostic kam von hinten und hatte keine Chance, den Ball zu spielen. Er sah die Rote Karte.

Toprak wurde nach dem Foulspiel mit Verdacht auf Wadenbeinbruch ins Krankenhaus gebracht. "Das ist für uns ein schwerer Rückschlag", kommentierte Werders Trainer Florian Kohfeldt bei Sky. Er erhob aber keinen Vorwurf gegen den Übeltäter Kostic: "Er war selber geschockt."

Mittlerweile gibt es immerhin Entwarnung. Entgegen erster Befürchtungen hat sich Toprak nicht das Wadenbein gebrochen, sondern lediglich eine Riss-Quetschwunde zugezogen. Das teilte der Verein am Donnerstagmorgen mit.

"Eine sehr schmerzvolle Angelegenheit für Ömer, aber zum Glück ist nichts gebrochen. Die Wunde wurde gestern Nacht im Krankenhaus genäht und Ömer ist wenig später ins Teamhotel zurückgekehrt. Gegen Hertha wird er jedoch ausfallen", erklärt Werders Cheftrainer Florian Kohfeldt.

Mit Verletzungspech kennen sie sich in Bremen bestens aus. Werder hatte gerade in der Hinrunde tatsächlich eine fast schon unheimliche Serie an verletzten Spielern. Wöchentlich meldeten sich einer oder gleich mehrere Spieler ab, von der Erkältung bis zum Kreuzbandriss war da alles dabei.

Zeitweise fehlten Kohfeldt elf Spieler, was nicht nur an den Wochenenden zu erheblichen Engpässen führte, sondern auch den Trainingsbetrieb und damit die Trainingsqualität ganz entscheidend beeinflusste. Von den vielen Verletzungen trafen die Mannschaft jene der Aussenverteidiger Theo Gebre Selassie und Ludwig Augustinsson sowie die von Abwehrchef Niklas Moisander, die jeweils mehrere Wochen ausfielen, schon hart.

Am schlimmsten wird aber Niclas Füllkrug vermisst. Der Zugang war als zentraler Fixpunkt auf dem Platz und in der Kabine gedacht, die schwere Knieverletzung macht eine Rückkehr in dieser Saison aber unmöglich.

Nach und nach kamen und kommen die Verletzten zurück, mittlerweile konnte Werder die Zahl auf ein erträgliches Mittelmass reduzieren. Ob es pures Pech war oder aber auch die falsche Handhabe gerade in der Rehabilitation verletzter Spieler, eine falsche Trainings- und Belastungssteuerung oder am Ende sogar der Hybridrasen, ist bis beute nicht geklärt.

Tatsache ist, dass sich Werder erst von seinem Mannschaftsarzt und nun vor einigen Tagen von seinem Chefphysiotherapeuten und dem Sportpsychologen getrennt hat. Dazu wurde der Athletiktrainer zum Nachwuchs versetzt.

Die Transferpolitik

Geschäftsführer Frank Baumann hat für Bremer Verhältnisse durchaus viel Geld in die Hand genommen, um den Kader im Sommer aufzuwerten und im Winter Löcher zu stopfen. Fast 16 Millionen Euro gingen und gehen für Ablösesummen und Leihgebühren drauf, die Einnahmeseite steht dagegen bei Null.

Werder ist ein kalkuliertes Risiko eingegangen und kriegt das derzeit ziemlich um die Ohren gehauen. Jeder getätigte Transfer war in sich logisch und nachvollziehbar, nur bleiben die erwünschten Erträge aus.

Füllkrug ist verletzt, Ömer Toprak war es lange genug. Marco Friedl ist immer noch ein Ausbildungsspieler, Michael Lang schon längst keine Option mehr. Leo Bittencourt hilft als Rollenspieler auf allen möglichen Positionen aus, die Winterzugänge Davie Selke und vor allem Kevin Vogt machen aber Hoffnung.

Trotzdem fallen Baumann und auch Trainer Kohfeldt die Personalentscheidungen auf die Füsse, wobei die Debatte um Max Kruse und wie dieser am besten zu ersetzen sei, niemals final geklärt werden kann. Tatsache ist aber auch hier: Werder hat sich offenkundig nicht verbessert.

Die Spielidee von Florian Kohfeldt

Kohfeldt verfolgt einen spielerischen, aktiven und mutigen Ansatz. Die Verletztenmisere war der Anfang vom vorübergehenden Ende dieser Idee. Ohne Training keine Abläufe und ohne Abläufe keine Ergebnisse und ohne Ergebnisse keine Weiterentwicklung.

So geht der rote Faden, der zwischenzeitlich dazu geführt hat, dass Werder gefühlte Lichtjahre von seinem eigenen spielerischen Anspruch entfernt war. Die Rückkehrer sollen nun nicht nur die Trainingsqualität wieder erhöhen, sondern so schnell wie möglich auch den Werder-Fussball wieder beleben.

Das Problem: Es bleibt keine Zeit mehr, um auf eine schrittweise Verbesserung gerade des Bremer Offensivspiels zu warten. Werder erspielt sich seit Monaten kaum noch Torchancen, Kohfeldt müsste nun schon Aussergewöhnliches gelingen, wenn er aus einer kaum noch funktionierenden Offensive in der Schlussphase der Saison ein Konstrukt basteln will, das in jedem Spiel für zwei oder sogar drei Tore gut ist.

Die Leistungsträger

Ein Ansatz bei Kruses Abgang im Mai lautete: Ohne den omnipräsenten Kopf der Mannschaft wird Entfaltungsraum für andere Spieler dahinter frei. Davy Klaassen, Maximilian Eggestein, Yuya Osako - jene Riege der Führungskräfte in Kruses grossem Schatten sollte nach vorne gehen und die Mannschaft anleiten.

Das Trio - und noch der eine oder andere Spieler mehr - hängt aber seit Monaten im Leistungsloch fest. Selbst vor Torhüter Jiri Pavlenka, davor ein Inbegriff von Konstanz und Souveränität, machte die grassierende Unsicherheit nicht Halt.

Milos Veljkovic oder die jungen Johannes Eggestein und Joshua Sargent stagnieren, selbst Übervater Claudio Pizarro ist kein Unterschiedspieler mehr. Die Routiniers können die Mannschaft nicht immer wie gewünscht anleiten, am meisten Hoffnung macht derzeit Leihspieler Vogt.

Die neue Ausgangslage

Nach einer starken letzten Saison lag die Zielsetzung vor dieser Spielzeit auf der Hand: Werder wollte nicht nur eine sorgenfreie Runde spielen, sondern die internationalen Plätze angreifen. Das war der selbstgemachte Standard, unterfüttert von den Erfahrungen der Spielzeit davor.

Allerdings wurde da geflissentlich übersehen, dass Werder auch ein bisschen über seinen Verhältnissen spielte und auch ein wenig von der Schwäche anderer Klubs profitierte. Auch deshalb war Platz acht möglich.

Der Kader, die Spielidee, die Ausgangslage und auch die erzeugte Euphorie waren auf Kurs obere Tabellenhälfte ausgelegt. Den Schalter dann aber umzulegen, war lange Zeit ein sehr grosses Problem.

Ohne Füllkrug und den ebenfalls dauerverletzten Philipp Bargfrede fehlen echte "Beisser" auf dem Platz, Selke und Vogt sollen diese Rollen ausfüllen, auch Bittencourt ist giftig genug für den Abstiegskampf. Der Rest der ohnehin schon recht braven Mannschaft hat zwar kein Mentalitäts- oder Einstellungsproblem, aber diese letzte Konsequenz, die Gier auf Verteidigen und Toreschiessen und damit letztlich auch Erfolg könnte gefühlt dann doch grösser sein.

Und vor allem: Sobald die Mannschaft mit einem Negativerlebnis konfrontiert ist, fällt das Kartenhaus in sich zusammen. Werder hat bis jetzt nicht gelernt, mit Rückständen umzugehen. Ein fatales Nebenprodukt der Talfahrt, das gerade im Abstiegskampf mit seinem negativen Druck aber überlebenswichtig ist.

Das Krisenmanagement

Selbst nach dem zwölften Spieltag Mitte November, nach einem 1:2 zu Hause gegen Schalke, wollten Spieler und Verantwortliche den Ernst der Lage nicht einsehen. Werder stand damals schon auf Platz 14, Tendenz fallend.

Trotzdem wurde krampfhaft am Ziel Europa festgehalten, das böse Wort vom "Abstiegskampf" stand auf dem Index. Auch das mag für den Moment nachvollziehbar gewesen sein, zumal Baumann später erzählte, intern würde längst anders gesprochen werden als in der Öffentlichkeit.

Schon da wurden Erfolge gebaut, die Werder noch lange nicht in der Tasche hatte. Die nachfolgenden Spiele unter anderem gegen vermeintlich leichte Gegner wie Mainz, Paderborn oder Köln waren als sichere Beute ausgemacht, Kohfeldt sprach von "20 Punkten", die man bis zur Winterpause habe.

Nun, elf Spieltage später, steht Werder bei 17 Punkten. Die "schonungslose" Analyse in der Winterpause förderte in letzter Konsequenz immer wieder die Verletzten als Ursache allen Übels zutage. Das ist selbstverständlich nicht falsch, verklärt(e) aber auch den Blick auf andere Missstände.

Selbst jetzt, bei "nur" noch sechs verletzten Spielern, taucht dieser Erklärungsansatz permanent auf. Damit machen es sich die Verantwortlichen aber zu leicht. Die Partie am Wochenende in Berlin wird zu einem absoluten Knackpunktspiel: Werder muss für sich selbst dreifach punkten und damit die Hertha vielleicht doch noch mit in den Schlamassel ziehen.

Und Trainer Kohfeldt hatte vor der Spielabsage gegen Frankfurt angedeutet, dass die kommenden beiden Spiele, im DFB-Pokal bei der Eintracht und die Hertha, von essenzieller Bedeutung sein werden. Der Druck ist - mal wieder - selbst gemacht. Und er ist brutal. Seit dem Pokal-Aus nur noch brutaler.

Mit Material der dpa
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