"Ein absurdes Schauspiel, was da veranstaltet wurde." Jan-Henrik Gruszecki, langjähriges Mitglied der Dortmunder Ultraszene, fasst gut zusammen, was am 29. Februar 2020 in Sinsheim geschah.

Christopher Giogios
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Wir erinnern uns: nach beleidigenden Spruchbändern der Bayernfans gegen Dietmar Hopp wird die Partie beinahe abgebrochen. Die letzten Minuten verkommen zu einer inszenierten Solidarisierung der Spieler und Bayern-Funktionäre mit dem Mäzen der TSG Hoffenheim. Die mediale Empörung nimmt ungeahnte Formen an: Vergleiche mit rassistischen Vorfällen sind nur die Spitze des Eisbergs. Das Verhältnis zwischen Vereinen, Verbänden und aktiven Fans erreicht einen neuen Tiefpunkt.

In einer sehenswerten ZDF-Sport-Dokumentation von Jochen Breyer und Jürn Kruse wurden die Ereignisse mitsamt ihrer Vorgeschichte aufgerollt. Sehenswert deshalb, weil erstmalig auch die Fans zu Wort kommen. Vor allem mit der Teilnahme von Gruszecki, heute in beratender Funktion beim BVB tätig, und zwei Mitgliedern der Ultras von der Schickeria München wird eine Sichtweise präsentiert, die in der Öffentlichkeit bislang untergegangen war.

Die Eskalation des Konflikts ist vielschichtig

Die Position der Fans ist klar: Ja, es gab beleidigende Gesänge und Spruchbänder gegen Hopp, der als Sinnbild des kommerziellen Fussballs gilt. Allerdings habe dieser durch zahlreiche juristische Massnahmen die Eskalationsspirale eigenhändig vorangetrieben. Strafbefehle aufgrund von Schmähgesängen und Spruchbändern, die in der Fankurve seit je her üblich sind? Die Wiedereinführung von Kollektivstrafen für ganze Fanszenen? All das wurde als Tabubruch wahrgenommen. Da muss selbst Uli Hoeness, der in seiner Zeit als Bayern-Boss regelmässig Anfeindungen ausgesetzt war, schmunzelnd zugeben: "Im Grossen und Ganzen habe ich es überlebt."

Wenn aber neben Hoeness mit Hopp-Anwalt Christoph Schickhardt und DFB-Vize Rainer Koch absolute Hardliner zu Wort kommen, bekommt man einen Eindruck davon, welche Welten in den Stadien aufeinanderprallen. Da ist etwa davon die Rede, Übeltäter mal einen Tag lang "wegzusperren" (Schickhardt) oder verdeckte Ermittler in die Kurven einzuschleusen, um Ultraszenen von innen zu zerschlagen (Koch). Die Dokumentation zeichnet nach, wie Dietmar Hopp seit seinem Einstieg in die Welt des Profifussballs versucht, unliebsame Kritik mit schärfsten Mitteln zu unterbinden – mit tatkräftiger Unterstützung vom DFB.

Neue Erkenntnis: Vereine und DFB wussten von den Protestaktionen

Diese und andere Statements der Akteure liefern eine gute Grundlage, um sich individuell eine Meinung zu den Geschehnissen zu bilden – sie sprechen für sich.

Eine für die Öffentlichkeit wichtige neue Erkenntnis liefert der Film aber auch: Die Reaktion der Vertreter von Bayern und Hoffenheim, die Spielunterbrechung der Schiedsrichter und auch die Erregung von Sky-Kommentator Kai Dittmann waren alles andere als spontan.

Vielmehr wussten alle Beteiligten bereits Tage zuvor, dass Protestaktionen gegen eine Kollektivstrafe für Dortmunder Fans aufgrund von Anti-Hopp-Gesängen geplant waren. Kollektivstrafen, die vom DFB eigentlich als Zeichen der Dialogbereitschaft ausgesetzt wurden. Wie sehr auch der DFB an diesem Konflikt zu zerbrechen drohte, zeigen die bemerkenswert offenen Äusserungen von Ex-Präsident Reinhard Grindel. Der konstatiert schmunzelnd, dass sein eingeschlagener Weg der Kompromissbereitschaft mit den Fanszenen rückblickend wohl erfolgversprechender war als der harte Kurs von Koch und Co. Unrecht hat er nicht.

Haben sich die Medien vereinnahmen lassen?

Einen entscheidenden Faktor lässt der Film allerdings vermissen: die Rolle der Medien. Zwar wird ein Interview mit Sky-Kommentator Kai Dittmann geführt. Dessen Äusserung ist jedoch geradezu bizarr: Dittmann gibt zu, dass seine nicht-spontane Tirade gegen die Münchener Fans (die er sinngemäss als Feinde von Demokratie und zivilisiertem Zusammenleben brandmarkte) dem Framing bei Vorgesprächen mit Vereinsvertretern geschuldet war. Was ihn aber damals davon abgehalten hat, sich umfassender zu informieren, bleibt sein Geheimnis.

Auch der Macher des Films, Jochen Breyer, hätte sich kritischer mit seiner Rolle auseinandersetzen können: Schliesslich war er es, der unmittelbar nach den Ereignissen erst DFB-Präsident Fritz Keller und anschliessend Dietmar Hopp interviewte, besser gesagt, eine Bühne bot. Kritische Nachfragen? Fehlanzeige. So spricht es auch Bände über das Selbstverständnis von Hopp und Co., wenn Uli Hoeness dem Journalisten Breyer vorwirft (!), dass dieser nun auch den Ultras Gehör schenkt. Breyer zumindest hat in einem sehr offenen Statement auf Twitter deutlich gemacht, dass er seine damalige Rolle bedauert.

Der Konflikt hat damit sicherlich noch kein Ende gefunden. Auch juristisch laufen nach wie vor Verfahren gegen einzelne Fans, die in die nächsthöhere Instanz gehen.

Fazit: In der Auseinandersetzung geht es um viel grundlegendere Dinge als die Person Hopp. Es geht um extrem unterschiedliche Vorstellungen, wie der Fussball zukünftig aussehen soll. Mit aktuellen Themen wie der WM in Katar 2022 oder der Einführung der Super League wird es auch zukünftig reichlich Zündstoff geben. Hoffentlich wird die Berichterstattung dann häufiger so wie am Samstagabend aussehen.

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