Wenn heute im Halbfinale der Champions League Atletico Madrid und der FC Chelsea aufeinandertreffen, dann ist das nicht nur der Clash der Trainer-Titanen Diego Simeone und Jose Mourinho, sondern auch das Spiel des Träumers Andre Schürrle. Und ein Spiel, das für so manche Überraschung sorgen kann.

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Die Trainer: Diego Simeone vs. Jose Mourinho

"Man sollte Trainer eigentlich nicht vergleichen", sagte Jose Mourinho auf der Pressekonferenz vor dem Halbfinale der Champions League, in der heute (20:45 Uhr, LIVE bei uns im Ticker und auf Sky) sein FC Chelsea bei Atletico Madrid antreten muss. Eine nette Empfehlung, die jedoch der Grossteil der sportjournalistischen Branche geflissentlich überhören wollte. Der Vergleich zwischen "the special one" und Diego Simeone, dem Trainer des überraschendsten aller Überraschungsteams, drängt sich nämlich geradezu auf. Viel zu ähnlich sind die Systeme, die beide spielen lassen. Diego Simeone selbst fasst das in der Pressekonferenz herrlich übersichtlich zusammen: "Wir sind in unseren Ligen beide die Mannschaften mit den wenigsten Gegentoren, wir haben beide gute Defensivreihen und wir spielen beide schnell nach vorne. Wir sind beide auch gut bei Standards."

Der ähnliche Spielstil kommt nicht von ungefähr. Bereits zu Beginn des Jahres gab Simeone zu: "Ich mochte Mourinhos Madrid sehr. Das war eine Mannschaft mit einer ganz klaren Vorstellung davon, wie sie Fussball spielen wollte." Inzwischen hat Simeone den Mourinho-Stil längst zu seinem eigenen gemacht. Sein Atletico ist kampfstark, leidenschaftlich und taktisch mindestens ebenso so gut geschult wie Mourinhos Chelsea.

Simeones Devise lautet "Stärken nutzen und Schwächen verstecken". Seine Spieler könnten nicht wie der FC Barcelona unter Pep Guardiola spielen. Denn "um schnell fahren zu können, muss man ein schnelles Auto haben". Wenn Barcelona unter Guardiola also einen Ferrari zur Verfügung hatte, dann ist Atletico ein kleiner Geländewagen, der zur Not auch noch den grössten Dreck durchpflügt.

Weil Simeone seine Spieler hervorragend einschätzen kann, den Spielstil deren Fähigkeiten anpasst und eine sehr zielstrebige Taktik verfolgt, wird er von vielen bereits als ein neuer, ein besserer Mourinho gehandelt. Das ist "Mou" gegenüber etwas gemein, denn immerhin hat der Portugiese schon so ziemlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, darunter zweimal die Champions League. Das muss Simeone erst einmal nachmachen.

Der Träumer: Andre Schürrle

Während die einen noch damit beschäftigt sind, die Trainerfüchse miteinander zu vergleichen, ist Andre Schürrle, "the big German" in den Reihen des FC Chelsea, längst einen Schritt weiter. Er träumt bereits vom Finale gegen den FC Bayern München. "Ich glaube, dass es für uns ein psychologischer Vorteil wäre, denn die Bayern haben vielleicht noch das verlorene Finale 2012 im Kopf", orakelt der Offensivspieler bei "Sky". Dass man in dieses Finale jedoch erst einmal einziehen muss, hat Schürrle zumindest noch nicht ganz vergessen: "Klar müssen wir erst mal gegen Atletico bestehen. Aber wir sind eine unangenehm zu spielende Mannschaft."

Man würde dem bisher titellosen Schürrle den Finaleinzug glatt gönnen. Der Ex-Leverkusener ist nach anfänglichen Schwierigkeiten beim FC Chelsea angekommen - zumindest zu 95 Prozent. Denn noch hat er nicht das "Mourinho-Gen", das Gewinnenwollen mit allen Mitteln. Das meint Mourinho, wenn er sagt: "Er muss seine Mentalität noch verbessern". Dennoch, Schürrle schiesst Tore, er ist schnell und äusserst lernwillig. Und dafür gibt es sogar ein bisschen Lob vom Trainer: "Für seine erste Saison in England sind wir zufrieden mit ihm."

Weil Eden Hazard wohl ausfällt, darf Schürrle gegen Atletico wahrscheinlich sogar von Beginn an ran. Dann kann der Deutsche das Seinige zum Final-Traum beitragen.

Das Überraschungsmoment

Den Final-Traum träumt jedoch auch Atletico Madrid. "Bis in die Haarspitzen motiviert" wäre noch eine Untertreibung für den Geisteszustand, in dem sich die Spanier derzeit befinden. Mittelfeldstratege Koke denkt "dass das das wichtigste Spiel meiner Karriere sein könnte" und Stürmer Diego Ribas will sich nicht einmal von Mourinhos berüchtigten Psychotricks einschüchtern lassen: "Nichts und niemand kann unsere Konzentration brechen oder uns von dem Ziel in unseren Köpfen abbringen". Atletico strotzt vor Selbstvertrauen. Seit zwölf Spielen sind sie ungeschlagen.

Chelsea hingegen hat am Wochenende gegen Sunderland verloren. Mal wieder verloren. Das ist den Londonern in dieser Saison dann doch öfter passiert. Den Spaniern aufgrund dieser Statistik die Favoritenrolle zuzuschieben, wäre jedoch zu simpel. Denn da ist ja doch dieses lästige Überraschungsmoment, mit dem man bei Mourinho immer rechnen muss. "Wir haben einen guten Plan für die Partie", sagt David Luiz in der Pressekonferenz und schweigt sich, genau wie sein Trainer, über weitere Details dieses geheimen Plans aus. Man kann sich jedoch sicher sein: "The special one" hat sich in allergrösster Ausführlichkeit mit dem Gegner beschäftigt. Er wird die Schwächen gefunden haben, so sehr sie Atleticos Trainer Simeone auch verstecken will. Die Überraschung wird für Atletico keine angenehme sein.

Atletico Madrid sollte jedenfalls gewarnt sein. Denn "Mourinho ist nie gefährlicher als nach einem Rückschlag", wie der englische "Telegraph" schreibt. Und Mourinho hat die wohl mental stärkste Mannschaft Europas unter sich - das haben Schürrle und Co. in der Champions League schon oft genug bewiesen. Ein Tor gegen Chelsea heisst noch gar nichts. Denn diese Mannschaft kann tatsächlich jedes Spiel drehen. Und das überrascht auch die Gegner immer wieder.

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