Es ist ein seit Monaten zu beobachtender Trend, der auch beim Champions-League-Spiel des FC Bayern München gegen den FC Barcelona auffiel: Immer wieder halten sich Spieler und Trainer während einer Partie die Hand vor den Mund, bevor sie etwas sagen. Doch warum eigentlich?

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"Mit Feuer auf Subotic" - diese taktische Marschrichtung gab Bayern-Trainer Pep Guardiola dem zur Einwechslung bereitstehenden Franck Ribéry auf den Weg, kurz bevor der Franzose im November 2014 gegen Borussia Dortmund ins Spiel kam. Das hatte zumindest ein für den Pay-TV-Sender Sky arbeitender Lippenleser behauptet, der diese Anweisung Guardiolas - als Service für die Zuschauer - entschlüsselte. Bei den Klubs kam dies überhaupt nicht gut an. "Wir sind mit dieser Art der Berichterstattung nicht einverstanden", beklagte sich Bayerns Mediendirektor Markus Hörwick kurz darauf in der "Sportbild". BVB-Manager Michael Zorc pflichtete Hörwick bei und bezeichnete das Vorgehen Skys als "affig".

Lippenleser arbeiten für spanische TV-Sender

Die Bayern scheinen mittlerweile aus dem Vorfall gelernt und eine Lösung für das Problem gefunden zu haben. Wie im Halbfinale der Champions League gegen den FC Barcelona erneut zu sehen war, hielten sich die Profis stets die Hand vor den Mund, sobald sie mit ihren Teamkollegen diskutierten. Bei den Barca-Spielern war dieser Trend, der bereits bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien extrem auffiel, sogar noch häufiger zu beobachten - aus gutem Grund. Schliesslich ist es in Spanien seit einigen Jahren gang und gäbe, dass Lippenleser für TV-Sender arbeiten. Diese sollen dem Zuschauer nahe bringen, was auf den Sportplätzen des Landes besprochen und getuschelt wird. Im Mai 2013 habe beispielsweise ein für den spanischen TV-Sender "Cuatro" arbeitender Lippenleser herausgefunden, dass Cristiano Ronaldo seinen damaligen Trainer José Mourinho bei einem Torjubel mit den portugiesischen Worten für "F*** dich" beleidigt haben soll.

Doch auch in anderen Ländern, wie beispielsweise England und Italien, gehört das Lippenlesen mittlerweile zum Sport bzw. zur Sportberichterstattung dazu. In den USA arbeiten Lippenleser sogar in der Football-Profiliga NFL. Ihre Aufgabe ist es, gegnerische Teams auszuspionieren und im Idealfall angesagte Spielzüge vorab zu erkennen.

In Deutschland können sich Fussballprofis ebenfalls nicht mehr sicher sein, dass das, was auf dem Platz besprochen wird, geheim bleibt. Sky holte bereits nach der Europameisterschaft 2012 die gehörlose Julia Probst an Bord, um die kleinen und grossen Geheimnisse, die die Profis auf dem Spielfeld von sich geben, weiterzugeben.

Probst arbeitete nur sporadisch für den Pay-TV-Sender, den Fans bietet sie ihre Expertise immer noch via Twitter an. Unter dem Hashtag "Ableseservice" entschlüsselt sie Gespräche von Spielern und Trainern - so auch bei den Duellen zwischen Bayern und Barca. Das Lippenlesen während Live-Übertragungen sei allerdings nicht einfach, sagte Probst in einem im Sommer 2012 geführten Interview mit "meedia.de": "Ablesen auf so einem hohen Niveau und über einen so langen Zeitraum erfordert extrem hohe Konzentration", sagt sie. "Oft bin ich hinterher so K.o., dass ich nur noch schlafen will."

Sky rechtfertigt sich für Einsetzen von Lippenlesern

Trotz immer wieder aufflammender Kritik rechtfertigt Sky-Sportchef Burkhard Weber das Zusammenarbeiten mit Lippenlesern. In der "tz" sagte er wenige Tage nach dem Spiel der Bayern beim BVB: "Wir wollen unseren Kunden einen weiteren Service bieten, um auch taktische Feinheiten und Veränderungen zu erfahren. Wir wollen keinen blossstellen, also muss niemand etwas befürchten." Dass jedoch taktische Anweisungen weitergegeben werden könnten, ist einer der Kritikpunkte der Gegner des Lippenlesens.

Eine rechtliche Handhabe gegen das Veröffentlichen der auf dem Platz gesprochenen Worte haben Spieler in Deutschland nach Ansicht eines Experten übrigens nicht. Dr. Tim Bagger schrieb im November 2014 für "Legal Tribune online": "In ihren Arbeitsverträgen räumen sie [die Spieler, Anm. d. Red.] dem Club umfassende Persönlichkeitsrechte zur kommerziellen Verwertung ein. Hierzu gehört neben Bild- und Namensrechten auch das Recht am gesprochenen Wort. Der Verein wiederum lizenziert diese Rechte an die Deutsche Fussball Liga (DFL) zur Verwertung durch Fernsehen, Internet und dergleichen." Dementsprechend könne nur der Verband darüber mit den Fernsehsendern verhandeln. Bagger weiter: "Da diese Form der medialen Verwertung durch die Bundesliga aber auch nicht im Medienrechtevertrag zwischen dem Ligaverband und Sky geregelt - und daher dem TV-Sender auch nicht untersagt - sein dürfte, können die Beteiligten auf lizenzrechtlicher Basis nichts tun."

Mit anderen Worten: Auf den Fussballplätzen wird auch in Zukunft kräftig getuschelt werden.

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