Der Traum vom "Finale dahoam" zerplatzt für die Bayern nicht wegen der Stärke des Gegners, sondern weil die Mannschaft ihren Abwärtstrend der letzten Wochen nicht mehr umkehren konnte. Die Enttäuschung über das erneute Aus im Viertelfinale hält sich aber in Grenzen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

94 Minuten und 50 Sekunden waren gespielt im Giuseppe-Meazza-Stadion, als die Geschichte auf ihren vermeintlichen Höhepunkt zusteuerte: Thomas Müller drängelte sich ein paar Meter vor dem Tor in die beste Position, erwischte eine Flanke dann mit dem Kopf. Der FC Bayern benötigte einen Treffer, um sich gegen Inter doch noch in die Verlängerung zu retten.

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Momente wie dieser haben Thomas Müllers Mythos definiert und nun, in seinem 163. und letzten Spiel in der Königsklasse für die Bayern, wäre es doch nur logisch, wenn dieser Müller seinem Klub einen vorerst letzten grossen Gefallen getan hätte.

Sein Kopfstoss flog auch in Richtung Tor, im Rückwärtslaufen hatte Müller aber nicht mitbekommen, dass Inters Keeper Yann Sommer einfach auf der Linie stehen blieb und nicht, wie erhofft, aus dem Tor gestürmt war. Sommer hatte deshalb wenig Mühe mit dem weder platzierten noch energischen Versuch.

Es war der letzte Schuss der Bayern aufs Mailänder Tor, wenige Momente später war die Partie vorbei. Und damit auch der Traum von Finale im eigenen Stadion.

Bayerns Ausscheiden erinnert an 1999

Der FC Bayern ist raus aus der Champions League, ohne in beiden Spielen gegen den FC Internazionale die schlechtere Mannschaft gewesen zu sein. Der Unterschied zwischen zwei Mannschaften nahezu auf Augenhöhe war die unerbittliche Effizienz, mit der Inter den Vergleich für sich entschied. Und die Fähigkeit, sich nach einem Rückschlag umgehend wieder zu erholen.

In beiden Spielen hatten die Bayern das oft zitierte Momentum auf ihre Seite gezogen. Im Hinspiel nach Müllers Tor zum Ausgleich kurz vor Schluss, in Mailand nach Harry Kanes Führungstreffer, der in der Gesamtwertung den Ausgleich bedeutete. Aber beide Male waren die Bayern nicht in der Lage, diese Phase des Spiels für sich zu nutzen.

"Dieses Gegentor im Hinspiel, das zweite, da muss man den Finger in die Wunde legen", sagte Müller nach dem Spiel bei "DAZN". "Das war plump, so nach dem Ausgleich..." Fast mit dem Schlusspfiff rannten die Bayern da ins Verderben, im Rückspiel nun brachen zwei Standards den Münchenern das Genick.

Drei Minuten und zwei Eckbälle genügten Inter, um aus einem 0:1 einen 2:1-Vorsprung zu machen. Erinnerungen wurden wach an die dunkelste Stunde der bayerischen Champions-League-Geschichte: Ans Finale 1999 gegen Manchester United. Und tatsächlich war es das erste Mal seit jener historischen Nacht, dass eine Bayern-Mannschaft in der Königsklasse zwei Gegentore nach einem Eckball kassierte.

Der Abwärtstrend bestätigt sich

Die Bayern sind seit dem Triumph 2020 nun zum vierten Mal in fünf Jahren im Viertelfinale gescheitert und für dieses eine Mal lässt sich konstatieren, dass die Mannschaft ihre durchaus vorhandenen Möglichkeiten naiv und auch ein wenig vorhersehbar aus der Hand gegeben hat.

Der Trend der letzten Monate und Wochen hat sich jedenfalls bestätigt: Nach der Machtdemonstration im Achtelfinal-Hinspiel gegen Bayer Leverkusen schienen die Bayern in der Spur und Fahrt aufzunehmen für den Endspurt der Saison, das "Finale dahoam" immer fest im Blick.

Dann schlich sich erneut erst der Leichtsinn ein, wie schon zu Beginn des Jahres mit knappen Siegen gegen Kiel oder in den Playoffs gegen Celtic, danach kamen die Verletzungen wichtiger Spieler dazu und plötzlich war der schöne Flow schon wieder vorbei. Seitdem haben die Bayern nur noch drei Pflichtspiele gewonnen, darunter die beiden schwer erkämpften Siege gegen St. Pauli und Augsburg. Dazu gab es drei Remis und zwei Niederlagen.

In der Bundesliga hatte das bisher kaum Auswirkungen, weil Verfolger Bayer Leverkusen die Münchener Nachlässigkeiten nicht für sich nutzte. In der Königsklasse werden Fehler aber ganz anders bestraft - diese Lektion mussten die Bayern nun gleich zweimal gegen Inter lernen. Und sie werden das Finale in der Allianz Arena in ein paar Wochen dann wirklich von "dahoam", nur eben von der Couch aus, verfolgen.

Müller: "So emotional fühl ich’s grad gar nicht"

Fast schon bemüht blickten Trainer Vincent Kompany und Sportchef Max Eberl schon voraus auf die anderen Aufgaben, den Gewinn der Meisterschaft und die im Sommer stattfindende Klub-WM. Keiner wollte zu viel Schmerz zulassen, auch Thomas Müller nicht.

"So emotional fühl ich’s grad gar nicht. Ich bin auch gar nicht so enttäuscht", sagte Müller angesprochen auf die Chance, den Malus von 2012 bei der Niederlage gegen Chelsea in diesem Sommer für sich und den Klub zu tilgen. "Das Finale wäre halt in München gewesen...", wurde der Routinier nur kurz nachdenklich, vollendete den Satz dann aber nicht. Stattdessen: "Inter ist weiter, das heisst: Sie haben etwas besser gemacht als wir. Aber so ist Fussball."

Den Bayern fehlen entscheidende Qualitäten

Man kann es Müller nicht verdenken, dass er an Rührseligkeit sparte und wie so oft eine ebenso nüchterne wie präzise Analyse lieferte. Aber so ein bisschen passte das alles zum Gefühl der jüngeren Vergangenheit: Es hätte ja klappen können mit dem Finaleinzug, vielleicht sogar mit dem Gewinn der Champions League.

Aber diese totale Konzentration, die fast schon manische Gier, das unbedingte Überwinden aller Widrigkeiten: Das ging und geht dieser Bayern-Mannschaft in ihrer Gesamtheit ab. Einige Wenige mit dieser Qualität reichen nicht aus. Und den Anführer schlechthin wird man im Bayern-Trikot auf europäischer Bühne jetzt nie wieder sehen.